„Zeitgenössische Kunst muss immer intellektuell sein“

Interview: Andreja Hribernik, Kunsthaus Graz

Text: Stefan Zavernik - 23.06.2022

Rubrik: Kunst

Fotocredit: J.J. Kucek

Die Slowenin Andreja Hribernik übernimmt ab Jänner 2023 die Leitung des Kunsthaus Graz. Mit KUMA spricht sie über ihre Vorstellungen von zeitgenössischer Kunst und ihre Pläne für das Kunsthaus Graz.

Wann beginnt zeitgenössische Kunst für Sie interessant zu werden?

Zeitgenössische Kunst wird für mich interessant, wenn sie mich zum Denken anregt. Wenn sie mich dazu bringt über etwas anderes nachzudenken, als ich es sonst tue. Das betrifft aber nicht nur die zeitgenössische Kunst, sondern Kunst im Allgemeinen. Kunst hat aus meiner Sicht die Funktion den Menschen aus seinen gewohnten Denkmustern herauszuholen. Von großer Bedeutung ist aber auch der visuelle Aspekt, die Ästhetik, wenn es um zeitgenössische Kunst geht. Das Visuelle regt den Geist des Betrachters als erstes an.

Was macht für Sie Qualität in der zeitgenössischen Kunst aus?

Das ist jetzt natürlich eine persönliche Einschätzung: Für mich wird ein Kunstwerk zu einem sehr guten Kunstwerk, wenn es verschiedene Ebenen abdeckt. Es sollte eine starke visuelle Aussage besitzen, sowie kunsthistorische und gesellschaftliche Bezüge in sich tragen. Auch der persönliche Anknüpfungspunkt, den eine Kunstwerk seinem Betrachter bietet, hat für mich große Bedeutung. Gute Kunst beschäftigt sich immer mit Themen, die für ihr Publikum von Bedeutung sind. Ist ein Kunstwerk auf vielen Ebenen zu spüren, wird es für mich zu einem guten Kunstwerk. Vielschichtigkeit macht Kunst generell aus.

Das Kunsthaus Graz ist mittlerweile ein Wahrzeichen der Stadt, aber auch eine Kunsteinrichtung, über die viel diskutiert wird. Besucherzahlen sind immer wieder Thema. Mit welchen Ideen wollen Sie mehr Publikum als bisher ins Haus bringen?

Nach der Pandemie ist die Zielsetzung mehr Menschen ins Haus zu bringen, als in den Jahren davor, eine noch größere Herausforderung geworden. Oft haben Menschen vor zeitgenössischer Kunst Angst. Sie begegnen ihr mit Vorurteilen; glauben, diese sei immer schwer zu verstehen, diese sei anstrengend. Das liegt aber nicht an der Kunst, sondern an den falschen Zugängen, mit der die Kunst vermittelt wird. Wir müssen mit unseren Ausstellungen einen Bezug zum Leben der Leute herstellen, wir müssen uns mit aktuellen Themen auseinandersetzen. Es geht hier in erster Linie neue Wege der Kunstvermittlung zu gehen.

Wird die Kunst zu sehr auf ihre intellektuelle Ebene reduziert, bzw. zu sehr über intellektuellen Ebene vermarktet?

Es stimmt, dass Kunst die Menschen auch auf einer emotionalen Ebene erreichen kann. Ich denke aber, dass speziell zeitgenössische Kunst immer intellektuell sein muss. Sie braucht diese Ebene, um die Menschen zum Nachdenken anregen zu können. In unserer Gesellschaft wird alles immer weiter vereinfacht. Antworten werden an jeder Ecke angeboten, kaum mehr wird von den Menschen verlangt, selbst nachzudenken. Die Kunst aber, soll das noch immer verlangen dürfen. Das bedeutet aber nicht, dass die emotionale Ebene für die Kunst nicht genauso wichtig ist. Ein gutes Kunstwerk holt seine Betrachter auch emotional ab, bringt ihn dazu erst einmal stehen zu bleiben und sich auf das Kunstwerk einzulassen. Hier bietet das Kunsthaus einen großen Vorteil. Schon als Gebäude selbst zieht es die Menschen optisch an. Seine Architektur holt seine möglichen Besucher schon von weitem ab.

…dabei wurde die Architektur des Hauses oft als Ausrede genommen. Immer wieder hieß es, die Räumlichkeiten seien für Ausstellungen schwierig. Sehen Sie das ähnlich?

Natürlich ist das Kunsthaus Graz kein White-Cube. Es ist etwas komplett anderes, als wir es von herkömmlichen Museen gewohnt sind. Es gibt praktisch keine Wände, die für ein Ausstellungshaus im Grunde das Wichtigste sind. Wo soll man die Kunstwerke sonst platzieren? Allerdings heißt das nicht, dass man für das Kunsthaus deswegen keine großartigen Ausstellungen konzipieren könnte. Vielleicht ist es schwieriger als in einem klassischen Museum, oder sagen wir aufwendiger. Dafür aber bietet es Chancen, die herkömmliche Museen nicht bieten können.

Wie stehen Sie persönlich zu Massenschauen, wie sie immer wieder für das Kunsthaus Graz von Kritikern eingefordert wurden?

Kunst ist komplex und erzeugt Reibungen. Ich will Ausstellungen machen, die gute Kunst zeigen und gute Künstlerinnen und Künstler in die Aufmerksamkeit rücken. Mit maßgeschneiderten Programmen für unterschiedliche Zielgruppen.

Kann Kunst massentauglich sein?

Massentauglich? Nicht immer. Aber ich denke, dass Kunst viel mehr Menschen ansprechen könnte, als es aktuell der Fall ist. Ich frage mich immer wieder, was passieren würde, wenn ein Kunstevent wie zum Beispiel die documenta in Kassel so vermarktet werden würde, wie die Olympischen Spiele. Wenn ein solches Kunstevent dieselbe mediale Aufmerksamkeit erhalten würde, wie eine Fußballweltmeisterschaft.

Wenn sie nicht auf das Budget achten müssten: Welchen Künstler würden sie gerne holen?

Viele! Ich würde das Geld aber nicht nur dazu verwenden große Name zu holen, sondern es dazu verwenden, um mit interessanten Künstlerinnen und Künstlern eigene Produktionen in Graz umzusetzen.

Was funktioniert Ihrer Meinung nach besonders gut im Kunsthaus?

Ausstellungen, die den Raum so gut ausnutzen, dass sich Ausstellungsbesucherinnen und Besucher fühlen, als wären sie in eine andere Welt eingetaucht. Ausstellungen, die alle Sinne der Besucher ansprechen.

Wie gut kenne Sie die steirische Kunstszene bereits?

Ich kenne die lokale Szene noch nicht sehr gut. Ich verfolge sie natürlich mit und probiere ein Gefühl für die Stadt bekommen. Aber zu sagen, ich würde die lokale Kunstszene gut kennen, wäre vermessen. Dennoch beschäftige ich mich seit vielen Jahren mit Grazer Kunsteinrichtungen und Festivals wie etwa mit dem Verein ROTOR oder dem steirischen herbst. Vieles andere muss ich erst kennenlernen. Darauf freue ich mich!