25 Jahre Kämpfen fürs freie Kollektiv

Interview: Andrea Egger-Dörres, GF Das andere Theater (DaT)

Text: Sigrun Karre - 23.08.2024

Rubrik: Theater

Edi Haberl

Andrea Egger-Dörres leitet seit einem Vierteljahrhundert die Interessenvertretung der Freien Theater in der Steiermark. Sie sprach mit KUMA über anhaltenden Idealismus, lähmende Bürokratie und den 1. „Rüssel“-Theaterpreis, der zum Geburtstagsfest erstmals verliehen wird.

Abgesehen von Wien hat kein österreichisches Bundesland eine so vielfältige und lebendige OFF-Theater-Szene wie die Steiermark. Wie hat sich das entwickelt?

Die wahrscheinlich ersten Samen hat vor rund 35 Jahren der damalige langjährige Kulturstadtrat Helmut Strobl gesät. Ihm haben wir vieles zu verdanken. Er war ein guter Kommunikator, hat die Leute angesprochen. Er war – nicht nur was Kulturpolitik betraf – ein Visionär und als Obmann der ÖVP hatte er auch was zu sagen und konnte es durchsetzen. Dass wir heute so eine spannende, vielfältige OFF-Theater-Szene haben, ist klar das Ergebnis einer politischen Willensbekundung. Er hat das Theatro, damals verwaltet von Wolfi und Doro Steinbauer (Theater Steinbauer&Dobrowski), als ersten Spielort für die Freien Theater eingerichtet. In dieser Zeit sind das Theater im Bahnhof, das Mezzanin Theater oder das Theater ASOU und einige mehr entstanden. Es hat sich ein gewisses Szene-Bewusstsein entwickelt, das nicht alle geteilt haben. Willi Bernhart oder Rudi Weikmüller haben sich damals distanziert.

1999 wurde das DaT gegründet. Du warst von Anfang an die treibende Kraft der Interessenvertretung der freien Szene. Wie kam es dazu?

Ich bin indirekt über meine Geschichte-Dissertation über steirisches Amateurtheater bei Prof. Helmut Konrad in die freie Theater-Szene tiefer eingetaucht; damals habe ich mich mit den Anfängen des Theaters im Bahnhof beschäftigt. Da gab es im früheren Landesjugendreferat das LAUT! (Landesverband für außerberufliches Theater in der Steiermark), Ed. Hauswirth vom Theater im Bahnhof, war dort Spielberater und sein Büro damals so etwas wie DAS Sammelbecken für Theaterbegeisterte, die dort ein und aus gegangen sind, Infomaterialien für Aussendungen vorbeigebracht haben usw.  Ed. hat mich von meiner früheren Beschäftigung bei der IG Kultur Steiermark gekannt und gefragt, ob ich einen Spielplan für die Freie Szene machen möchte. So bin ich eben die erste Zeit als „U-Boot“ dort gesessen. Ed. war auch so eine treibende Kraft für die gesamte Szene, in der es mehr und mehr den Ruf nach einer gemeinsamen Plattform gab. Neben dem Theatro gab es auch bereits das Probenhaus in der Orpheumgasse, ursprünglich vom Orpheum mitverwaltet. Und eines Tages hat mich der damalige Kulturamtsleiter Johann Kaspar gefragt, ob ich mir vorstellen kann, das Haus zu verwalten. Das war der Beginn des DaT, das ich die ersten 10 Jahre als One-Woman-Show geführt habe. Katharina Dilena ist dann als meine Karenzvertretung eingestiegen und geblieben – bis Ende letzten Jahres.

Das Kristallwerk in Graz ist der Spielort der Freien Theaterszene in Graz und wird vom DaT geführt. Credit: FB

Ihr habt viel erreicht. Was hat dich motiviert?

Als ich angefangen habe, habe ich erst einmal alle besucht, habe mir alles erzählen lassen, mir angesehen, wie die verschiedenen Theatermacher*innen arbeiten. Dadurch bin ich hineingewachsen. Theaterleute sind gefühlsoffene Menschen; wie sie Eindrücke in der Gesellschaft aufnehmen und verarbeiten, hat mich interessiert. Du musst verstehen, warum sie das tun, warum sie Theater machen, wenn du ihre Interessen vertreten willst. Ein starker Motor war für mich auch immer zu sehen, was da für ein hoher Idealismus und Aufwand dahintersteht.

Interessenvertretung bedeutet Kämpfen fürs Kollektiv statt fürs Ego. Du bist Idealistin. Hattest du manchmal Zweifel?

Immer wieder habe ich mir gesagt: „Such dir was anderes, mach es dir leichter!“. Die ersten sieben, acht Jahre habe ich zwischen dem 1. und 10. Jänner erfahren, ob ich meinen Job noch bezahlt machen kann oder nicht. Aber es ist eine besondere Verbindung zu den Theatermenschen entstanden, es liegt mir was an ihnen. Vielleicht bin ich da altmodisch, aber ich lasse Leute nicht im Stich. Aber ich gebe zu, ich fühle mich seit ein, zwei Jahren manchmal etwas aus der Zeit gefallen mit meinen Werten. Das Tempo hat sich gefühlt erhöht, alles ist extrem wirtschaftlich geworden.

Auch im Bereich der freien Theater?

Schau dir die Buchhaltung an, Abrechnungen, Förderansuchen und so weiter. Insbesondere für die Künstler:innen ist die überbordende Bürokratie lähmend. Ich will eigentlich keine Buchhalterinnen und Buchhalter auf der Bühne sehen, sondern Künstler:innen, die Zeit haben, sich dem voll zu widmen, was sie innerlich beschäftigt. Diese Zeit wird aber immer weniger und das ist keine gute Entwicklung. Gerade im Theaterbereich ist die Produktionsarbeit abseits des künstlerischen Arbeitens sehr hoch; heute muss man von der Schauspielerin bis zum Plakatierer alle anstellen. So frei wie wir damals gearbeitet haben, das ist heute so nicht mehr machbar. Heute beginnt man erst einmal, einen bürokratischen Krieg auszufechten.

Aber die Freie Szene ist auch in den vergangenen Jahren gewachsen?

Die Freie Szene-Generation von heute, das Planetenparty Prinzip, Si-mon Windisch vom TaO, Follow the Rabbit, Franz von Strolchen usw. haben alle im Probenhaus bei uns angefangen. Das Probenhaus ist also eine maximal niederschwellige Möglichkeit geblieben, sich im Theatermachen auszuprobieren, unabhängig da-von, ob was daraus wird, oder nicht. An der Stelle muss man schon einmal feststellen, dass die Stadt Graz und Kulturstadtrat Günter Riegler um großzügige Förderung sehr bemüht sind! Als Stadtrat Riegler 2017 zu seinem ersten Jour fixe der Freien Szene gekommen ist, wurde ihm gleich einmal „Hardcore“- Wissen über die Freie Theaterszene für neue Kulturpolitiker vermittelt (lacht). Bei uns läuft ja vieles ganz anders als in institutionellen Häusern. Er kommt immer gerne vorbei.

Edi Haberl

In der öffentlichen Wahrnehmung ist für die Freie Szene noch deutlich Luft nach oben. Das Kulturleben spiegelt sich in den Printmedien nicht oder nicht mehr adäquat wider. Wie siehst du das?

Der Anteil an der Kulturberichter- stattung ist aufgrund von Einsparun- gen insgesamt weniger geworden. Sportberichterstattung wird nichtsdes- totrotz immer ausufernder, offenbar ist das von größerem Interesse. Und dann muss man sagen: Wo gezahlt wird, wird mehr lanciert. Das muss man nüchtern feststellen und da kann natürlich die Freie Szene nicht mit, die über keine großen Budgets für Werbung verfügt. Die viel zu geringe Präsenz der Freien Szene im Verhältnis zu ihren Aktivitä- ten war auch Ergebnis einer Recher- che, die das DaT schon vor einigen Jah- ren betrieben hat. Und der Druck wird größer. Mir hat einmal ein Journalist gesagt, wir sollen halt einen Star enga- gieren, dann haben wir Publizität. Das ist, wie Medien eben funktionieren.

Wie zufrieden seid ihr mit der Auslastung im Kristallwerk bzw. in der gesamten Szene?

Die Freie Szene hat sich von Corona gut erholt, aber wir leben in Krisenzeiten. Wenn alles teurer wird, geht sich eben für viele nur noch ein Theaterbesuch im Monat aus. Es gibt natürlich Theater, die haben ihr Stammpublikum und merken davon aktuell nicht viel. Produktionen mit nur ein oder zwei Schauspieler*innen tun sich oft schwerer, da fehlen die Multiplikatoren, das sehe ich auch im Kristallwerk. Andererseits sind eben größere Produktionen auch monetär aufwendiger. Und dann hat die Krise womöglich noch einen anderen Effekt, nämlich dass die leichte Unterhaltung als Ablenkung manchen vielleicht aktuell angenehmer ist, als gesellschaftliche Fragestellungen oder zu viel Tiefgründigkeit.

Beim letzten Gespräch war die Sanierungsbedürftigkeit des Kristallwerks, das ihr seit 2016 als Spielstätte betreibt, Thema. Wie ist da der aktuelle Stand der Dinge?

Wir haben als Notfall-Maßnahme einmal einen provisorischen Boden verlegt. Es stehen aber weitere Sanierungen an, die wir als Mieter bis jetzt beim Vermieter nicht durchsetzen konnten. Die gesamten Kosten sind durch die galoppierende Inflation gestiegen, sodass es zuletzt kaum mehr zu stemmen war. Wir hoffen, dass die Stadt als Mieterin einsteigen wird. Denn es geht nicht darum, dass wir als DaT unbedingt ein eigenes Theater betreiben wollen; es geht um eine Spielstätte, die von 30 Theatern regelmäßig bespielt wird.

Foyer des Kristallwerks, Credit: Edi Haberl

Du beobachtest die Szene seit Jahrzehnten wie kaum eine andere. Wo siehst du Tendenzen und Herausforderungen für die Zukunft?

Die Tendenz ist, dass die Szene professioneller wird, dann wird es einen Generationenwechsel bei einigen Theatern geben, das wird sicher eine Herausforderung, weil das Neuland ist. Aber das Mezzanin-Theater hat ja die Übergabe bereits erfolgreich vorgemacht. Und dann ist es jetzt natürlich toll, dass es die Fair Pay-Förderung gibt, man muss jetzt aber schauen, dass das in die mittelfristigen Verträge übergeht, denn die Administration ist enorm. Das Ziel ist natürlich, bei den Leuten zu bleiben, zuzuhören, was die Themen sind. Immer im Austausch bleiben, damit man nicht beginnt, Dinge zu formulieren und anzupeilen, die womöglich gar nicht gebraucht werden. Und dann haben wir ja demnächst Landtagswahlen und wie immer die ausgehen, muss es das Ziel sein, das, was jahrelang erarbeitet wurde, zu erhalten.

Vergangenes Jahr hat das DaT gemeinsam mit Stadtrat Günter Riegler einen Preis für die Freie Theaterszene in Graz auf die Beine gestellt. Der nach Wolfi Bauer Stück benannte Preis war ein jahrelanges Ziel des DaT. Warum braucht es diesen Preis?

Wenn es eine derart vielfältige Freie Theaterszene gibt, die hohe Qualität liefert, finde ich es wichtig, einmal im Jahr eine herausragende Produktion hervorzuheben. Wichtig ist auch, dass es nicht nur eine symbolische Aner- kennung gibt, sondern der Preis auch dotiert ist, immerhin mit 10.000 Euro. Ohne die politische Ebene ginge es na- türlich nicht. Für diese Idee haben wir Stadtrat Günter Riegler gewinnen kön- nen, der den Preis auch zum ersten Mal im September im Kristallwerk überrei- chen wird.

Ihr habt euch gegen einen reinen Jury-Preis entschieden und habt das Publikum mittels Online-Voting eingebunden. Wie aufwendig war das?

Das war tatsächlich sehr aufwendig, ständig QR-Codes aushängen, die Werbung ankurbeln usw. Es war jetzt der erste Versuch und hat uns natürlich vor einige Herausforderungen gestellt. Aber wir wollten es möglichst demokratisch gestalten, indem zu je einem Drittel eine Pressejury, das Publikum und das DaT mitentscheidet. Das Ergebnis steht noch nicht fest, wir sind schon neugierig!

Der „Rüssel“ wird aus Anlass des DaT-Jubiläums erstmals an einem Freitag, den 13. September, im Kristallwerk verliehen. Eine Geburtstagsparty der Freien Szene läuft vermutlich nicht Gefahr, langweilig zu werden. Warum sollte man auch als (Theater-)Publikum vorbeischauen?

Es wird ein fröhliches, lustiges Fest der Szene werden, bei dem viele Theatermenschen mitmachen. Es wird – passend zum Motto Wetten DAT – eine Couch geben, es wird eine Moderatorin, einen Moderator geben, es wird Wetten geben, es wird verschiedene Acts, Musik und eine Torte geben. Und es wird einen Rüssel-Preis geben!