Ihre Essays verbinden sorgfältig recherchierte Fakten und Anekdoten mit lyrisch verfassten Alltagsbeobachtungen und Fragmenten aus der eigenen, geschichtsträchtigen Biografie. Immer wieder spielt die deutsche Vergangenheits- und Gegenwartsbewältigung eine Rolle.
In Berlin lebten die Geister der Vergangenheit in der sonderbaren Kartographie der Stadt fort, und wir, die wir von außerhalb dorthin kamen, spürten ihre Gegenwart besonders stark.*
In ihren Romanen beherrscht sie wie ihre Kolleginnen Annie Ernaux oder Monika Helfer perfekt das Spiel mit Nähe und Distanz. Sie gibt sich verletzlich und offen, schreibt über eine schwierige Mutterbeziehung oder eine Abtreibung, ohne je exhibitionistisch oder aufdringlich zu werden. Ihre gut konstruierten Essays, die teils über eine sehr lange Leseliste verfügen, sind nicht weniger literarisch, geben sich innig, gehen unter die Haut. Nicht nur die stimmige Struktur, auch die Beschäftigung mit Farben, Formen und Flächen lassen die bildende Künstlerin hervorblitzen. Man wird hineingezogen in Andrea Scrimas Texte, muss mit- und nachdenken, was auch schmerzlich sein kann. Sie gibt sich Gedanken und Assoziationen hin, verzichtet aber auf überflüssige Kommentare und Kinkerlitzchen, ist nie belehrend, obwohl sie die Welt mit ihrer pragmatisch-feinstofflichen Art und ihren scharfen Beobachtungen schon sehr gut erklären kann. Egal, ob es nun um Privates wie den Erhalt einer neuen Nationalität oder um Politisches wie die Auseinandersetzung mit einer falsch verstandenen Gedenkrede zur Reichskristallnacht mit Folgen 1988 geht. 1988 mag vielleicht lange her sein, die Parallelen zu aktuellen Entwicklungen und dem Umgang mit Krieg und Krisen sind fast körperlich spürbar. Eingebettet sind diese scharfen Beobachtungen und Reflexionen in sinnlich-schöne Sätze, die aber trotzdem die kluge Kritik der Denkerin Andrea Scrima in jeder Silbe in sich tragen.
Das Überdauern von Ruinen, diesen Lücken in der Ordnung der Dinge, ist sichtbares Zeugnis der Vorläufigkeit jeder politischen Ordnung: Darin liegt ihre Bedeutung. Und in diesen Ruinen, zwischen dem Efeu und dem wuchernden Gestrüpp, wohnen all die Gnome und Kobolde, die Elfen und Zwerge und erstrahlen in moosigem Grün, der einzigen Farbe des deutschen Regenbogens, der ein überirdisches Leuchten gelingt.*
Weblog von Andrea Scrima: andreascrima.wordpress.com
*manuskripte 242, Dezember 2023, Von Brachflächen, Feen und Philipp Jenningers umstrittener Rede vor dem (west)deutschen Bundestag, Andrea Scrima