ARTfaces: Elisabeth Gschiel

Elisabeth Gschiel - Die Poesie der Verbindungen

Text: Lydia Bißmann - 19.05.2022

Rubrik: Kulturland Steiermark

Elisabeth Gschiel (Foto: Kurt Ablasser)

Angefangen hat alles mit einem Kleber, der nicht halten wollte. Das brachte die Grazer KĂŒnstlerin Elisabeth Gschiel dazu, sich die NĂ€hmaschine als kĂŒnstlerisches Werkzeug anzueignen.

Ein GlĂŒck, wie der Blick auf ihre in den letzten 10 Jahren entstandenen Arbeiten beweist. Irgendwann um 2010 herum wollte Elisabeth Gschiel ein Bild aus Plastikverpackungen gestalten. Da chemische Klebstoffe die dĂŒnnen Kunststofffolien und Einkaufssackerln angriffen und teilweise auflösten, beschloss sie, die einzelnen Teile mit der NĂ€hmaschine zu verbinden. Entstanden ist daraus „Plastic Landscape" - jenes Bild, das die KĂŒnstlerin auch gerne als ihr „erstes Werk" mit der NĂ€hmaschine bezeichnet. Seither gehören Faden und Naht als verbindendes und inzwischen eigenstĂ€ndiges Medium fest zu ihren Arbeiten.

Foto: Elisabeth Gschiel

Raum und Zeit fĂŒr die Arbeit

Elisabeth Gschiel wurde in Hartberg geboren und besuchte die Ortweinschule in Graz, wo sie den Zweig Grafik und Design belegte. Danach studierte sie Architektur an der TU Graz und arbeitete nach Studienabschluss zehn Jahre lang in ArchitekturbĂŒros. Die Kunst blieb in dieser Zeit ihr Begleiter, wenn auch mit gewissen EinschrĂ€nkungen, da etwa Ölmalerei in einer Wohnung logistisch schwierig und umstĂ€ndlich umzusetzen ist. Das Ă€nderte sich erst durch die Begegnung mit den Betreibern vom „Schaumbad" und dem Entschluss, sich in die Ateliergemeinschaft einzumieten, die damals noch in einem ehemaligen BĂ€derschauraum in Eggenberg daheim war. Der Austausch mit anderen KĂŒnstlerinnen und KĂŒnstlern, der Platz fĂŒr Material und Denkprozesse waren ein regelrechter Booster fĂŒr Elisabeth Gschiels kĂŒnstlerische Entwicklung und bereiteten ihr den Weg in die TĂ€tigkeit als freischaffende KĂŒnstlerin. Kunst ist Arbeit, macht Mist und MĂŒhe, braucht Raum zum Atmen, zum Reflektieren und viel Zeit. Nach dem passenden Arbeitsort folgten die ersten finanziellen UnterstĂŒtzungen. 2013 erhielt Gschiel ein Auslandsatelierstipendium des Landes Steiermark in Portugal, wo sie sich in einer ehemaligen Textilfabrik und jetzigem Atelierhaus in GuimarĂŁes einquartierte, um sich zwei Monate ganz und gar der kĂŒnstlerischen Arbeit zu widmen. Seit 2016 ist sie regelmĂ€ĂŸig Gast bei nationalen und internationalen Ausstellungen, 2019 folgte ein Arbeitsstipendium der Stadt Graz fĂŒr Bildende Kunst und 2021 das Staatsstipendium Bildende Kunst des Bundesministeriums. Inzwischen kann sie von ihrer kĂŒnstlerischen Arbeit leben und hat den Architekturberuf an den Nagel gehĂ€ngt.

Foto: Elisabeth Gschiel

Die Nadel als Pinsel

Im FrĂŒhjahr 2021 war im Rahmen einer Personale im „Schaumbad", das inzwischen in der Grazer Puchstraße verortet ist, eine umfangreiche Schau ihrer kĂŒnstlerischen Auseinandersetzung mit unterschiedlichsten Themen zu sehen. Elisabeth Gschiel behauptet von sich, dass sie gar nicht nĂ€hen kann. Das muss sie auch nicht: Faden und Nadel sind die formgebenden Elemente in ihren Werken. Sie benutzt die Nadel als Pinsel, die Naht als Linie - lĂ€sst damit Strommasten, BaukrĂ€ne, Eisenbahnschienen oder einfach sparsam ausgefĂŒhrte Landschaften entstehen. Oder sie gestaltet aus feinen NĂ€hten eine dichte FlĂ€che wie bei dem Bild „escape symbol". Die Arbeit ist eine Reminiszenz anbn eine anstrengende Planung von unzĂ€hligen NotausgĂ€ngen aus der Zeit als Architektin, funktioniert aber ebenso als Anspielung auf die weltweite Corona-Krise. 2015 entstand die Serie „Portraits", die noch bis 2022 in der Ausstellung „Ladies and Gentleman" in der Neuen Galerie des Universalmuseums Joanneum zu sehen ist. Auf am Flohmarkt oder in der Familienfotokiste gefundenen Sepia-Fotografien appliziert sie den teils unbekannten Personen Haarschmuck, filigrane InsektenflĂŒgel oder Phantasie-Abzeichen auf den Kragen. Etliche dieser PortrĂ€ts sind im 2018 im Verlag Bibliothek der Provinz erschienen Katalog „Elisabeth Gschiel: strich = faden" abgebildet. Gschiel nĂ€ht auch Pflanzen maßstabsgetreu nach, etwa Disteln, die sie auf der Straße entdeckt, und erweckt diese dadurch auf der Leinwand wieder zum Leben. Die RegelmĂ€ĂŸigkeit der Stiche verleiht den vertrauten Objekten und Mustern des Alltags einen Anflug von WĂ€rme, Verletzlichkeit und Poesie. Absichtlich nicht abgeschnittene lose FĂ€den lassen die Gedanken weiterwandern, und die Geschichten, die die KĂŒnstlerin anschneidet, spinnen sich im Kopf des Betrachters fort.

Foto: Elisabeth Gschiel

Kostbares sichtbar machen

In einem ihrer drei KĂŒnstlerbĂŒcher, die gut verwahrt im Tresor der Landesbibliothek liegen, hat sie feine, goldenen Linien ĂŒber Zeichnungen von Vögeln genĂ€ht. Das gemeinsam mit der Dichterin und Übersetzerin Kate Howlett-Jones entstandene Buch „Bird Notes" enthĂ€lt Gedichtfragmente von Howlett-Jones Vater, einem Dichter und Vogelbeobachter, der zunehmend unter Demenz und GedĂ€chtnisverlust litt. In Verbindung mit den luftigen, zart ĂŒbernĂ€hten Vogelillustrationen von Elisabeth Gschiel verweisen sie auf FlĂŒchtigkeit, GedĂ€chtnis und Vergesslichkeit, Erbe und Tribut. Mit ihrem ersten KĂŒnstlerbuch „Manifesto", das 2016 bei einer Schaumbad-Ausstellung zu 100 Jahre DADA gezeigt wurde, hat Gschiel sich selbst ein Manifest in Buchform „genĂ€ht". Hier sind es einfache Linien, die die Gedanken und Intentionen der KĂŒnstlerin als eine Art Textbild ohne einzigen Buchstaben darstellen. Zum Schluss hin werden die AbstĂ€nde zwischen den Zeilen immer grĂ¶ĂŸer - „da hatte ich schon Zeitdruck und musste schneller werden", lacht Gschiel. NĂ€hen und BĂŒcher stehen auch fĂŒr Massenproduktion - umso bezaubernder ist der Gedanke, dass Gschiels kostbare Buch-Unikate nur ganz selten und nur unter ganz besonderen UmstĂ€nden im Original angesehen oder gar angefasst werden dĂŒrfen.

Foto: Elisabeth Gschiel

Sanfte Einladung, sich mit großen Themen zu befassen

FĂŒr eine Ausstellung im Grazer Kunstverein „Rotor" hat sich die KĂŒnstlerin 2021 mit dem Thema Zuckerproduktion befasst. Blaupausen, die ab 1870 fĂŒr die VervielfĂ€ltigung von ArchitekturplĂ€nen verwendet wurden, wurden hier zusammengenĂ€ht und machen Material aus den Grazer Archiven wieder sichtbar. Gemeinsam mit botanischen Bildern von RĂŒbenpflanzen erzĂ€hlen sie so die Geschichte einer lĂ€ngst vergessenen Zuckerfabrik mitten in der Stadt. Eine Naht bedeutet Verbindung, aber auch Einsatz und Verpflichtung - die NĂ€hmaschinennadel hinterlĂ€sst ja auch Löcher. In einer ihrer aktuellen Arbeiten werden diese als Stilmittel inszeniert und kommen ohne Zwirn aus: „Invisible" beschĂ€ftigt sich mit unsichtbaren, aber trotzdem elementaren Dingen, wie etwa dem Corona-Virus. Es ist ein weiteres Beispiel fĂŒr die sanfte, aber bestimmte Art der KĂŒnstlerin, die Betrachter zu einer Auseinandersetzung mit großen Themen wie Umweltverschmutzung, Globalisierung, ökonomische Übertreibungen oder Demenz einzuladen. ARTfaces ist die Online-KĂŒnstler*innen-PortrĂ€t-Reihe des Landes Steiermark.