Schauspielhaus Wien macht Gewalt und Blut sichtbar

'Du Herbert' beim Dramatiker|innenfestival

Text: Robert Goessl - 27.05.2024

Rubrik: Theater
Der Container

Credit: marcelkoehler.com

Im Rahmen des Dramatiker|innen-Festival gastierte die Produktion „Du Herbert“ in einem Glascontainer im Burghof. Hier wird ein ganzes Jahr männlicher Gewalt anhand von orf.at-Chronik-Schlagzeilen nachvollzogen, mit Herbert als männlichem Synonym.

Der Texthybrid wurde gemeinschaftlich von Judith Goetz, Lydia Haider und Marina Weitgasser geschrieben. Regie führte Antje Schupp, für den ungewöhnlichen Glascontainer und dessen Ausstattung zeichnen sich Christoph Rufer, Antje Schupp und Paul Lässer verantwortlich.
Die Lesung um den Altar

Credit: marcelkoehler.com

Ein Keller voller Männlichkeit

Das Innere des Containers fühlt sich wie ein männlicher Wohlfühlkeller an. Der Kühlschrank ist mit Dosenbier befüllt, dahinter eine stolze Waffensammlung, zu der neben Äxten, Schwertern und Baseballschlägern auch ein Maschinengewehr gehört. Schon vor Beginn der Vorstellung kann man den gläsernen Kubus umrunden und zwei in schwarz gekleidete Frauen (Vera von Gunten, Clara Liepsch) beim Beobachten zusehen. Hinein darf man erst, wenn es dunkel wird. Nur 30 Menschen können hier dicht aneinander gedrängt Platz nehmen. Ein Wandkalender markiert die nächsten 70 Minuten der beobachteten zwölf Monate, in denen niemand geschont werden wird.
Der Tanz um den Altar

Credit: marcelkoehler.com

Eine Messe für männliche Gewalt

In der Mitte befindet sich eine Lehmfigur auf einer Art Altar, umgeben von Grabkerzen und Messbechern. Es werden Hostien gegessen und damit begonnen, aus dem Buch "Herbert", einem männlichen gewaltverherrlichendem Testament, zu lesen. Man weiß nicht genau, ob es sich dabei um eine Messe, eine Predigt oder ein episches Gebet handelt. Auf den Bühnenhintergrund projizierten orf.at-Artikel werden mal in gehobener, fast lyrischer Sprache vorgetragen, mal ohne viel Firlefanz einfach hinausschreien. Das ist intensiv, der körperliche Einsatz ist hoch. Die Nähe zu den Darsteller*innen und deren hochemotionales Spiel, wenn sie über Femizide, Raub, Messerattacken, Kämpfe und andere Gewalttaten berichten, tief in die männliche Gedankenwelt eintauchen, lässt einen immer wieder erschaudern. Dabei stehen sie sich gegenüber, toben durch den Raum und umrunden auch die zentrale Lehmfigur am Altar. Man fühlt sich als Publikum in diesen Momenten eingesperrt und ausgeliefert einer sprachlichen Gewaltorgie, vor der es kein Entrinnen zu geben scheint. Wobei die männliche Sprache um Ausflüchte nicht verlegen ist, schließlich gilt es nur seine Gefühle auszudrücken und wie man(n) mit seinem Besitz umgeht, sei es ein Möbel oder eine Frau, geht doch niemand anderen etwas an. Und im Zweifelsfall kann man(n) sich ohnehin alles nehmen, was man(n) will.
Die Attacke auf den Lehm

Credit: marcelkoehler.com

Das Opfer am Altar der Männlichkeit

Als Zuschauer hat man bei „Du Herbert“ das Gefühl, sich nicht nur an einem Tatort zu befinden, sondern zugleich an vielen. Einer scheint in den anderen überzugehen, während das Jahr der Gewalt, von Monat für Monat, von Ereignis zu Ereignis voranschreitet, inklusive Biertrinkpausen ob der körperlichen Erschöpfung. Doch das war noch nicht alles. Dem Publikum werden Schutzkleidung und Schutzbrillen gereicht. Auf die Lehmfigur wird in Referenz auf die der orf.at-Artikel, mit einem Baseballschläger eingeschlagen, mit Messern eingestochen und mit einer Axt eingehackt. Das Blut wird aus einem heiligen Messbecher nicht nur getrunken, sondern auch in das Publikum geschüttet. Am Altar der Männlichkeit werden die Opfer geschlachtet, bis das letzte Blatt am Monatskalender abgerissen ist. Doch im neuen Jahr gibt es auch wieder einen neuen Kalender …
Das Blut rinnt

Credit: marcelkoehler.com

Trügerische Sicherheit

Diese 70 Minuten schaffen es durch das spezielle Setting und nicht zuletzt durch die hoch konzentrierte Wucht des Spiels von Vera von Gunten und Clara Liepsch zwischen Phlegma, Pathos und grenzenloser Wut Gewalt nicht nur sichtbar, sondern auch unmittelbar spürbar zu machen, weit über das normale Maß einer Theatervorstellung hinaus. Auch wenn immer wieder Szenen ins Groteske kippen, ist es niemanden zum Lachen - im Gegenteil - wenn man dann am Ende den mit Kunstblut bespritzten Ganzkörperanzug auszieht und sich ein paar Spritzer aus dem Gesicht wischt, weiß man, dass man nicht in Gefahr war, aber: "Ich bin dein Freund, dein Mann, dein Vater, dein Sohn, dein Nachbar, [...] ich bin Herbert."
Die Verwüstung am Ende

Credit: kuma