Die nachhaltige Kraft der Zerbrechlichkeit

Albumkritik: Herbarium, Paul Plut

Text: Sigrun Karre - 13.03.2024

Rubrik: Musik

Albumcover Herbarium, Paul Plut

Der Künstler Paul Plut legt nach „Lieder vom Tanzen und Sterben“ und „Ramsau am Dachstein nach der Apokalypse“ sein neues Album „Herbarium“ vor. Die Sammlung ist ein Schatzkästchen mit zehn recht unterschiedlich gebauten Musikstücken, darunter erstmals auch Cover-Versionen. Für drei Songs kam Sängerin Barca Baxant im Studio vorbei.

Wie Voodoo Jürgens dem Wiener Beisl-Leben einen zeitgenössischen Soundtrack verpasste und Tulln eine bitterzarte Hymne dichtete, widmete sich Paul Plut mit derselben radikalen Authentizität in seinem letzten Album einer Art Vertonung der steirischen Alpinlandschaft rund um die Ramsau. Im Forschungsdrang, die geografisch-autobiografischen Wurzeln freizulegen, könnten die so unterschiedlichen Künstler fast Brüder sein. Auch die Neigung zum Memento Mori teilen sie sich. Damit dürften aber auch schon alle Gemeinsamkeiten genannt sein. Pluts musikalische Tiefenbohrungen haben, selbst wenn sie einmal wuchtiger ausfallen, den Hang zum Meditativen: Da klopft jemand jeden Ton und jede Silbe bedächtig für sich ab nach Klang und Bedeutung, ohne sich vordergründig um „Song-Appeal“ zu kümmern. Das Ergebnis ist im Fall seines neuen Albums atemberaubend. Mit ‚Herbarium‘ hat Plut künstlerisch den nächsthöheren Gipfel erklommen, will man metaphorisch im alpinen Raum, Pluts vertrautem Terrain, bleiben. Sein drittes Solo-Album ist gefühlt sein bisher intimstes. Der Titel 'Herbarium' weckt Erinnerungen an Zeiten, in denen Großväter für Großmütter als Andenken das verbotenerweise gepflückte Edelweiß zwischen Buchdeckeln pressten. So gesehen passt der Titel nicht schlecht, Pluts Schaffen als Solo-Künstler ist im besten Sinne von der Zeit entkoppelt und hat von Beginn an einen gewissen „Alterswerk-Charme“.

Credit: Daniel Sostaric

Leiser Zorn mit rauer Stimme

Herbarium liefert einmal mehr den Beweis dafür, dass die besten Stimmen oft nicht die guten Stimmen sind.  So oft Pluts Stimme bricht, und das tut sie konsequent, reißen gefühlt die Wolken am Himmel ein Stück weit auf, wenn auch nur so weit, um dem Spiel aus Licht und Schatten mehr Raum zu geben. Ins zehnteilige Herbarium wurden neben Eigenkompositionen diesmal auch Coverversionen aufgenommen. Und was für welche: Daniel Johnston und Hildegard Knef zu covern ist schon eher riskant, in diesem Fall aber lohnend. 'Devil Town‘ in der Plut-Version geht ohne Umwege ans Herz; Ähnliches ist vom zart instrumentalisierten 'Wo einmal nichts einmal war' zu vermelden, das es schafft auf 3 Minuten 24 Nuancen von Melancholie, Zärtlichkeit und kurz sogar leisem Zorn zu transportieren. In der wunderbaren Eigenkomposition 'Zur gleichen Zeit' bekommt dieser Zorn mehr Raum, der Song pendelt zwischen globalen Themen wie Krieg und Flucht und der Aufzählung privater Lebensereignisse. Die Tantiemen des Songs kommen dem Flüchtlingsdienst der Diakonie zugute. Herausragend ist auch der Opener 'Lucken in der Landschaft', eine Art Anti-Kapitalismus-Hymne auf den Spuren der Eisenstraße, die mit einem eigentümlichen Stilmix inklusive volksmusikalischer Anklänge und eindringlichen, stellenweise fast laumalerischen Lyrics überzeugt: „Des Eisen des muss schmölzen und da Gummi der muss picken, bis die Scheibenwischer wischen, dass ma's siagt, schau wie sche unser Landschaft“ heißt es bevor explizit von Krieg, Bombentrichter und Mauthausen die Rede ist.

Distanzierte Zärtlichkeit

Plut stellt das Konkrete immer in einen größeren Zusammenhang, es geht um Vergänglichkeit, um Geburt und Tod, Krieg und neue Generationen, um Zyklen der Geschichte und der Natur. Dazu nimmt er wiederholt die Distanz des Beobachters ein, setzt sich dem Leben aber auch aus mit größtmöglicher Zärtlichkeit und Hingabe. ‚Herbarium‘ ist eine Sammlung recht diverser Musikstücke. Das rumänische Volkslied 'Dein stolzes Herz' interpretiert von Barca Baxant ist ein Zeugnis patriarchaler Gewalt, konterkariert vom nostalgischen Sound, auch die Vertonung von Christine Nöstlingers sozialdramatischem Mundart-Gedicht 'In Wien' kommt ironisierend fröhlich daher. Der Titel 'Samael', benannt nach einem der sieben Erzengel, ist eine experimentelle Instrumentalnummer und die Soundfläche von 'Luft', breitet sich auf epischen 11 Minuten 28 aus. Materiell zu erwerben gibt es das Album als Kassette, auch ein Buch zum Album, aufwendig gestaltet von Sabrina Peer, ist erhältlich. Derzeit tourt Plut mit Marie Pfeiffer (Kontrabass) und Julian Pieber (Schlagzeug und Percussion) durch Österreich.

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