Justiz-Drama mit bitterem Beigeschmack
Kritik: Prima Facie von Suzie Miller im Schauspielhaus Graz
Text: Lydia Bißmann - 09.03.2024
Rubrik: Theater
Passend zum internationalen Kampftag der Frauen setzte auch das Schauspielhaus Graz das viel gespielte Ein-Frau-Stück der australischen Autorin und Juristin Suzie Miller auf den Spielplan.
Unter der behutsamen Regie von Anna Bader legt Anna Rausch nicht nur eine quantitative Meisterleistung hin. Fast 100 Minuten bestreitet die Schauspielerin im erzählenden Monolog das Stück quasi im Alleingang. Unterstützung bekommt sie dabei von Otiti Engelhard und Luise Schwab, die als Supporting Actress fungieren und den inneren Konflikt der Hauptfigur Tessa zum Ende des Stückes hin greifbarer machen. Die Dreier-Konstellation spielt auf die Statistik an, dass fast jede dritte Frau von sexueller Übergriffen betroffen ist. Die Wandlung von der selbstbewussten, erfolgsverwöhnten Nachwuchs-Strafverteidigerin zur Klägerin, die genau weiß, gegen wen sie kämpft und dass der Kampf nicht zu gewinnen ist, ist eine Klasse für sich. Anna Rausch gekonnter Wechsel zwischen der ehrgeizigen, erfolgsverwöhnten Strafverteidigerin, zum verletzten, verstörten Wesen sorgt für Gänsehaut und Spannung, obwohl das Ende von der ersten Szene an ganz klar vor Augen liegt. “Prima Facie “ ist der juristische Ausdruck für Anscheinsbeweis und das sorgt schon vor dem Besuch des Theatersaals für einen Spoiler. Wenn eine Frau dann noch so selbstbewusst und selbstsicher in Talar und Perücke erscheint, kann sie nur fallen. Das wäre vielleicht auch bei einem männlichen Helden so, nur dass bei Frauen die Fallrichtung immer dieselbe ist. Noch dazu, wenn es sich dabei um eine Aufsteigerin im britischen Klassensystem handelt.
Otiti Engelhardt, Anna Rausch und Luise Schwab (Credit: Lex Karelly)
Beklemmendes Understatement auf der Bühne
Eine großzügige Treppe samt Hintergrund aus elegantem, cognacfarbenem Holzfurnier (Hannah von Eiff) sorgt für Seriosität und vermittelt die Atmosphäre von Gerichtsräumen, in denen Tessa im Alltag ihrer Arbeit nachgeht. Gelegentlich durchbricht der Blick auf einen Vernehmungsraum in viel zu hellem Weiß die Szene. Unterlegt werden die (ver)störenden Sequenzen dabei von dramatischen Technobeats (Matthias Schubert), die das Unheil ankündigen und manifestieren. Anna Rausch als Tessa erzählt ihre Geschichte genau und ohne störendes Beiwerk. Die exakt und akkurat geschilderten Gefühle bleiben dennoch sachlich, es ist mehr die Körpersprache und Mimik der Schauspielerin, die ihre Entwicklung illustriert und für Unwohlsein beim Zusehen sorgt. Die Darstellerinnen erobern auch den Publikumsraum für sich, das eingeschaltete Saallicht vermittelt den Eindruck, als würde man tatsächlich einer Verhandlung beiwohnen.
Credit: Lex Karelly
Toxisches System ohne Ausweg
Tessa war nie eine Täterin, hat einfach ein System mitgetragen, von dem sie überzeugt war und das Spiel des Erfolgs genossen. Dass sie viele Sexualstraftäter verteidigt, hat sich aus Zufall so ergeben. Trotzdem ertappt man sich beim Zusehen immer bei den Gedanken, was die junge Frau anders, besser, oder nicht tun hätte können. Nicht nur in der Situation, in der sie die Gewalt erlebt hat, sondern auch schon viel vorher. Das ist unangenehm und beschämend, aber es gibt kein Entrinnen. Ihr Peiniger bekommt wenig Raum zur Interpretation, was die Sache noch unheimlicher macht. Wie so viele Täter, stammt er aus Tessas direktem Umfeld, ist sogar ein Mann, in den sie sich ein wenig verguckt hat. Er ist ebenfalls Strafverteidiger, kommt noch dazu aus einer gut situierten Upper-Class-Familie. Dass es ein Kampf gegen Windmühlen wird, weiß Tessa, trotzdem nimmt sie ihn auf und zeigt ihren Peiniger an.
Nicht ohne Grund wird Prima Facie seit dem Erscheinen 2022 auf allen Bühnen auf und ab gespielt. Suzie Millers Text kommt ohne Spielereien und allzu viel biografische Hinweise aus, die Hauptfigur ist zugänglich und unkompliziert zu erfassen. Das konzentrierte Spiel von Anna Rausch, unter der behutsamen, aber kraftvollen Inszenierung von Anna Bader und ihrem Team, hauchen der Allerweltsfigur Tessa, der jungen Karrieristin Leben und Tragik ein, geben dem Stück Körper und Tiefgang und machen es zur Kunst. Dafür gab es dann auch wohlverdiente Standing Ovations und ungewohnt langen Applaus.
Anna Rausch (Credit: Lex Karelly)