Elisabeth de Roo als gute Fee der Sexarbeit
Kritik: Kein leichtes Mädchen, ARTist’s
Text: Lydia Bißmann - 27.04.2025
In „Kein leichtes Mädchen – ein käuflicher Liederabend“ verbindet die Sängerin und Schauspielerin Elisabeth de Roo Kunstlieder von Schubert bis Rachmaninow mit einem selbst verfassten Text über den Alltag einer Sexarbeiterin.
Entstanden ist das Hybridstück aus Liederabend und Gesellschaftsdrama aus Gesprächen mit 98 Frauen, die sich freiwillig und selbstbestimmt für diesen Beruf entschieden haben. Die Uraufführung fand im Innsbrucker Treibhaus unter der Regie von Thomas Lackner statt, neu inszeniert für die Grazer Aufführung im ARTist’s hat das Einpersonenstück mit Pianistin (Vyara Shuperlieva) Alexander Mitterer von Theater Kaendace.

"Kein leichtes Mädchen" ist geschrieben, gespielt und gesunden von Elisabeth de Roo. (Fotocredit: Peter Wohlfahrt)
Entscheidung Sexarbeit
Mit sehr viel Fingerspitzengefühl und einer unglaublichen Stimme holt die klassisch ausgebildete Sängerin Elisabeth de Roo das Publikum ab der ersten Textzeile dort ab, wo sie sitzen: im Zuseherraum des ARTist’s mit einem Kloß im Hals. Sexarbeit ist ein kompliziertes Thema, allgegenwärtig zwar, aber durchzogen von den verschiedensten Meinungen, Haltungen und Stereotypen, wohin man auch blickt. Weibliche Sexualität ist per se kein Wohlfühlthema und schon gar nicht dann, wenn frau Geld damit verdient, um Miete, Strom, vitaminhaltiges Essen, bügelfreie Kleidung und die Kindergartengebühr zu bezahlen. Sehr dreidimensional und anschaulich etabliert die Künstlerin ihre Protagonistin Felicitas, die sich in einen unzuverlässigen Mann verliebt hat. Dieser lässt sie in der gemeinsamen Vorstadtidylle auf den Trümmern ihres Kernfamilientraums samt Zwillingen zurück. Auch Felicitas verfügt über eine Gesangsausbildung, allerdings nicht über das akrobatische und marketingtechnische Geschick einer Helene Fischer. Neugierige Nachbarinnen und unerbittliche Bankbeamte rücken der jungen Alleinerziehenden auf die Pelle, und so bleibt nur der Weg in die Sexarbeit, um die Schulden zu bedienen und einen halbwegs normalen Lebensstandard aufrechtzuerhalten. Aufrichtig, offenherzig, aber nie naiv oder um Mitleid heischend erzählt Felicitas ihre Geschichte, jenseits von Maria-Magdalena- oder Pretty-Woman-Klischees. Sie begründet ihre Entscheidungen rational und offenherzig, beobachtet genau und geht dabei sparsam mit Wertungen um. Diese gibt es ja zur Genüge von anderen Menschen wie dem Amtsarzt, den Frauen, die mit Sex ihren Lebensunterhalt verdienen, regelmäßig aufsuchen müssen, um ihren Legitimationsstempel in den berüchtigten Deckel zu bekommen. Oder eben von den Eltern der anderen Kinder im Kindergarten, die natürlich früher oder später von Felicitas' Brotberuf erfahren.

Vyara Shuperlieva begleitet die Sängerin am Klavier in “Kein leichtes Mädchen“. (Fotocredit: Peter Wohlfahrt)
Göttinnen, Feen und hässliche Menschen
Umrahmt werden die erzählten Teile der Geschichte von Kunstliedern aus der Romantik oder auch der Seeräuber Jenny. Im kleinen Bühnenraum des ARTist’s ist man der Sängerin sehr nahe und fühlt sich nicht zuletzt durch die exzellente Akustik des Raumes wie umarmt und liebkost von der intim und gesungenen Musik. Mit leichtem Nicken oder ganz wenigen Worten nimmt die Pianistin Vyara Shuperlieva auch dramaturgisch gelegentlich Teil am Geschehen. Diese sanften Interventionen machen aus ihr mehr eine Art wachende Schutzgöttin als eine reine Begleitung am Klavier. Die Musik ist Entspannung von dem belasteten Thema, sorgt aber auch für Spannung, da man ja unbedingt wissen möchte, wie die sorgfältig und gut erzählte Geschichte weitergeht. Man will es unbedingt wissen, hat aber zugleich auch große Angst davor. Zu fragil ist die Situation von Sexarbeiterinnen, Bedrohungen lauern an allen Seiten. Bewusst trennt Elisabeth de Roo, die ihren Text, der nur ganz leicht verändert aus wahren Begebenheiten zusammengestellt ist, die Sexarbeit von Menschenhandel und Zwang. Sie idealisiert auch nicht, obwohl es tatsächlich wie die Arbeit einer Fee klingt, die Wünsche erfüllt, wenn sie ihren Beruf ihren Kindergartenkindern erklärt. Sie entscheidet sich für den Terminus: „Ich verkaufe meine Zeit und meine Nähe.“ Die Hässlichkeiten kommen von Menschen, die sich nicht benehmen können, von Klienten (meist Männer, hier gendert sie nicht), arroganten Behörden oder einfach Mitmenschen, die mit dem Konzept der käuflichen, körperlichen Liebe nicht umgehen können. Requisiten und Kostüm werden sparsam, aber sehr effektiv eingesetzt. Die Bühne ist voll mit Roll-ups von Institutionen wie der Aids-Hilfe, dem Verein Frauenservice, einem großen Erotikshop und auch der katholischen Frauenbewegung. Damit soll die Unterstützung für das Thema Sexarbeit gezeigt werden, die Plakate umrahmen das Stück aber auch wie Pop-up-Werbung im Internet.

Elisabeth de Roo führte zur Recherche 98 Interviews mit Sexarbeiterinnen. (Fotocredit: Peter Wohlfahrt)
Glitzerndes Theaterjuwel mit Benefits
Sensibel, menschlich, respektvoll und sehr warmherzig präsentieren Elisabeth de Roo und Alexander Mitterer mit Kein leichtes Mädchen ein exzellent verfasstes Stück, das raffinierte Erzählkunst und die Tiefe einer Dokumentation mit aktueller Gesellschaftskritik verbindet. Die Künstlerin ist eine Vollblutdiva, die mit ihren Liedern mehr als nur sachte berührt. Sie ist aber auch eine unglaublich vielseitige Schauspielerin, die ganz genau weiß, was sie tut, bei der jede Bewegung sitzt, jede Pause und jeder längere Blick einen Zweck erfüllt. Mit scheinbar nie enden wollender Energie navigiert sie das Publikum durch das nicht nur künstlerisch anspruchsvolle Einpersonenstück, das viele ganz unterschiedlich geformte Emotionen bereithält, bevor es zur wohlverdienten Erlösung kommt. Unbedingt anschauen, hinschauen, hinhören und weiterdenken und weitererzählen!

V.l.n.r.: Tobias Teichmann, Alexander Mitterer, Elisabeth de Roo, Vyara Shuperlieva. (Fotocredit: Peter Wohlfahrt)
Kein leichtes Mädchen von Elisabeth de Roo
mit Liedern von Robert Schumann, Sergei Rachmaninov, Gustav Mahler, Franz Schubert, Richard Grieg, Alban Berg und Richard Strauss
Text/ Schauspiel/ Gesang: Elisabeth de Roo
Am Klavier: Vyara Shuperlieva
Regie und Ausstattung: Alexander Mitterer
Premiere am Freitag, 25.04.2025, 20.00 Uhr
Weitere Vorstellungen
Sa, 26.04., 20 Uhr
So, 27.04., 17.30 Uhr
Fr, 02.05., 20 Uhr
Sa, 03.05., 20 Uhr
So, 04.05., 17.30 Uhr
Do, 08.05., 20 Uhr
Sa, 10.05., 20 Uhr
ARTist’s, Schützgasse 16, 8020 Graz
Freitag, 09.05. um 17.30 Uhr im Florentinersaal der Kunstuniversität Graz mit anschließender Podiumsdiskussion, moderiert von der bekannten Ö1-Moderatorin Ulla Pilz
Karten: karten@theaterkaendace.at und 0699 10042281