Politparabel im Theater des Gesellenvereins
Kritik: Boji, Franz von Strolchen, NewsOFFstyria
Text: Lydia Bißmann & Sigrun Karre - 14.09.2023
Rubrik: Theater
Mit Boji läutet newsOFFstyria die Premierenwoche der Freien Theater mit einer tiefgründigen Hybrid-Produktion von Franz von Strolchen im charmant morbiden Theater des Gesellenvereins ein.
Die höchstpersönliche Begegnung mit einem Straßenhund in Istanbul, der zum Instagram Phänomen wurde, hat Franz von Strolchen zu einer Bühnen-Parabel inspiriert. Boji ist ein einstündiges verdichtetes Mit- und Nacheinander aus Performance, Live-Konzert, Video-Animation und Installationskunst. Visuell zentral ist der aufwändige und von Nina Ortner live bespielte XL-Setzkasten, der allerhand bedeutungsvolle Symbolik präsentiert, die in ihren Facetten anregend rätselhaft bleibt. Der Schauspieler Zaid Alsalame gibt Boji eine – am Premieren-Abend arabische – Stimme, zum Mitlesen werden die deutschen Übertitel auf die Leinwand projiziert. In Zukunft sollen jeden Abend andere Darsteller*innen in ihrer Muttersprache den Hundegedanken Stimme verleihen. Dem Publikum erzählt er nicht nur seine Geschichte, sondern erinnert sich auch an ein „Märchen“, das ihm alte Hunde als Kind erzählt hätten, dem der auf einer Insel im Marmarameer ausgesetzten Straßenhunde, die dem Kannibalismus überlassen wurden. Was tatsächlich im Laufe der Istanbuler Stadtgeschichte zweimal stattgefunden hat. Musikalischer Konterpar auf der Bühne ist Anna Anderluh, die phantastisch singt und verschiedene Instrumente (u. a. eine Autoharp) bedient. Die Musikerin, Sängerin, Performerin und Komponistin steuerte dem Stück die atmosphärische Audio-Ebene bei, die zwischen Lautmalereien, Ohrwürmern, Balladen und Demolärm angesiedelt ist.
Ein Regal im Fokus (Credit: Franz von Strolchen)
Propaganda aus der Hundeperspektive
Boji beginnt mit einer Video-Animation in schwarz-weiß, die beim Zusehen das Krambambuli-Syndrom bedient. Tierliebe und Dog-Content sind aber nur nebenbei Thema und die Mitleidsgefühle werden auch bald von ganz anderer Emotion abgelöst. Boji, das Stück zum Thema Propaganda, ist der zweite Teil einer Theater-Trilogie (Of The Broken) des Regisseurs Franz von Strolchen, der eigentlich Christian Winkler heißt. Sein Text tritt auf der Stelle und thematisiert das auch. ‘Wie soll ein anatolischer Hirtenhund mit mandarinemgroßem Gehirn auch wissen, wie Menschen denken?’, denkt er sich. Plüschig und im Märchen-Sprech kommt der Monolog daher, aber nicht zum Punkt und lässt die Zuhörer*innen absichtlich auf den Sitzen hin und her rutschen. Man wünscht sich Erlösung, aber es gibt keine – Propaganda ist eine Geschichte, der man nicht entkommen kann. Selbst oder gerade dann nicht, wenn man sie nur schemenhaft wahrnimmt, wie es die Leuchtschrift im Bühnenbildregal illustriert: anfangs leuchten nur Fragmente des Wortes.
Die Regalwand sollte man auf jeden Fall genauer inspizieren, sie ist die heimliche Hauptdarstellerin. Hier treffen sich auf 24 Regalkästen u. a. Körperflüssigkeiten mit Videosequenzen, einer schmelzenden Wachsfigur, Röntgenbilder und ein Hundeskelett. Der Sinn der einzelnen "Ausstellungssstücke" und ihr größerer Zusammenhang erschließt sich auf den ersten Blick nicht, dafür gibt's ein reichhaltiges Angebot für Assoziationen.
Die charakteristische Handschrift des Autors und Regisseurs, der gerne Genres mischt, sowie poetische Bühnensprache mit dokumentarischer Spurensuche verbindet, ist übrigens demnächst auch bei "Das Schiff des Theseus", einer Produktion im steirischen herbst zu erleben.
Franz von Strolchen – Konzept / Regie / Video / Objekte
Christian Winkler– Text
Andrea Cozzi, Hanga Balla - Objekte / Raum
Anna Vidyaykina, Maria Chalela-Puccini - Animation
Anna Anderluh – Komposition / Sounds / Live-Musik
Kerstin Stelzmüller - Übertitel<
Wolfgang Petschnegg – Technische Umsetzung
Nina Ortner - Licht
Ronny Priesching - Ton
Weitere Vorstellungen ab Dezember im Theater im Lend.
Credit: Franz von Strolchen