Never Again Peace?

Kurz notiert: steirischer herbst 2025

Text: Sigrun Karre - 25.06.2025

Rubrik: Kunst
Pressekonferenz steirischer herbst 2025

Pressekonferenz im BAU am 24.6.25, v.l.n.r.: Gábor Thury, Ekaterina Degot, Pieternel Vermoortel, Fotocredit: steirischer herbst / Johanna Lamprecht

"Never Again Peace“ – der steirische herbst ʼ25 rechnet mit den Illusionen politischer Moral ab. Vom 18. September bis 12. Oktober wird die ehemalige Destillerie Bauer in Graz-Gries zum Festivalzentrum für radikale Kunst und brüchige Utopien.

Als wär’s ein Echo aus der Vergangenheit: „Never Again Peace“ steht über dem steirischen herbst ʼ25. Ein düsteres Motto, das provoziert – und nicht zufällig an die Vergeblichkeit politischer Ideale erinnert. Inspiriert ist es von Ernst Tollers Theatergroteske „Nie wieder Friede“ aus 1935, in der Napoleon und Franz von Assisi vom Olymp aus prüfen, wie lange ein friedliebendes Land braucht, um sich wieder nach Krieg zu sehnen. Die – zunehmend weniger überraschende – Antwort: nicht lange. Statt eines historischen Rückblicks entwirft der herbst heuer eine scharfe Gegenwartsdiagnose. Was Toller vor 90 Jahren als Warnung formulierte, wirkt heute wie ein Déjà-Vu: Wenn der Antifaschismus zur Legitimation von Angriffskriegen herhalten muss, wenn „Nie wieder“ nicht mehr schützt, sondern instrumentalisiert wird – dann steht die Idee von Frieden auf tönernen Füßen.

Freiheitsversprechen in Wiederholungsschleife

Mit einem symbolischen Akt beginnt das Festival bereits vor der eigentlichen Eröffnung: Der Künstler Ahmet Öğüt benennt schon am 26. Juni den Grazer Freiheitsplatz um – in „Freiheitsplatz“. Kein Witz, sondern ein doppelter Verweis: Zweimal, nämlich zum Ende und in Vorbereitung zweier Weltkriege, wurde der Platz so genannt. Doch was heute nach historischer Ironie klingt, wird von Ekaterina Degot, der künstlerischen Leiterin, bewusst in den Mittelpunkt gestellt: „Das Wort Freiheit wird von allen Seiten benutzt, von rechts und links – es ist ein leeres Wort geworden.“ Neben programmatischen Gesten setzt der herbst bei der Präsentation auch auf konkrete Solidarität – etwa mit dem Straßenmagazin Megaphon und der Antidiskriminierungsstelle, die beide unter massiven Kürzungen im Sozialbereich leiden. Es ist ein klares Statement: Kunst bleibt politisch – auch real – selbst wenn dBudgets schrumpfen. Am 18. September startet das Festivalprogramm dann offiziell – ebenfalls am Freiheitsplatz. Die Performancegruppe LIGNA eröffnet mit einer choreografierten Audioreise durch Ideologien, Masse, Körper und Widerstand. Danach geht es in gewohnter Manier in die Helmut-List-Halle, wo unter anderem eine Neuinterpretation von Kurt Jooss’ Antikriegsballett "Der grüne Tisch" auf dem Spielplan steht. Manuel Pelmuș und Frédéric Gies verarbeiten darin die Eleganz des Tanzes mit der Härte politischer Realität. Und Ivo Dimchev steuert ein musikalisches Manifest der Grenzüberschreitung bei – irgendwo zwischen Schmerzgrenze und Drag-Show.

Von der Destillerie zum Dystopie-Parcours

Zentrum des Festivals wird ein leer stehendes Industriegebäude im Grazer Griesviertel: die ehemalige Destillerie Bauer. Hier schlägt der herbst sein Lager auf – buchstäblich. „BAU“ nennt sich das temporäre Refugium, ein vieldeutiges Wort, das an Gefängnis, Bunker oder Baustelle denken lässt. Kein Ort für Utopien, sondern einer, der erzählt, was von ihnen übrigbleibt. Die Ausstellung in diesem rohen, vielschichtigen Gebäude könnte einem Traum gleichen – oder einem Fieber. Zwischen Betonschächten, Lagerkellern und ehemaligen Polizeibüros zeigen internationale Künstler:innen Arbeiten über Macht, Migration, Flucht und Identitätszuschreibungen. Kuratorin Pieternel Vermoortel spricht von einem Schwebezustand; das Gebäude selbst erscheint mal als transitorisches Hotel, mal als rückwärtsgewandte Festung, mal als schiffbrüchiger Erinnerungsort. Im „Souterrain“ übernimmt das Wiener Kollektiv Gelatin das Kommando – mitsamt Bootsanlegestelle und ironischer Abschottungsarchitektur. „Kunst hat wenig mit Kompromissen zu tun“, meint Florian Reither von Gelatin, das darf als Ansage verstanden werden.
Gelatin

Fotocredit: Gelatin

Das Erbe in Trümmern, der Widerstand in Performance

Die Frage nach dem Zustand politischer Ideale zieht sich wie ein Riss durchs gesamte Programm: Vom musikalischen Spukton bei Augustin Maurs bis zum Erbschaftsdrama des Theater im Bahnhof, das sich zusammen mit dem Planetenparty Prinzip fragt, wer was bekommt – und zu welchem Preis. Die OMAS GEGEN RECHTS marschieren derweil rückwärts durch die Straßen und setzen auf subversiven Trotz statt resignativen Rückzug. Nora Köhler vom Grazer Kollektiv KRA kündigt an: „Wir werden die Klimakrise lösen!" – Arnold Schwarzenegger als Namensgeber der künstlerischen Mission soll es möglich machen. Und auch literarisch wird der herbst zum Grabungsort: Die manuskripte veranstalten auf dem Zirbitzkogel die „Exhumierung Hödlmosers“ – eine rituelle Wiederbelebung zwischen Brettljause, Film und Fiktion. Franz von Strolchen lässt gegenüber vom Festivalzentrum in einer KFZ-Werkstatt ein selbstfahrendes Auto mit einem resignierten Ex-Schauspieler über den Sinn des Aufgebens diskutieren. Helga Lázár bringt Tollers "Nie wieder Friede" als verstörendes Puppentheater auf die Bühne – ein groteskes Varieté, das zeigt, wie schnell Kreisläufe von Gewalt und Versöhnung ineinander kippen.

Zwischen Talkshow und Todeskampf

Satire und Streit gehören beim steirischen herbst längst zum Inventar. Auch heuer gibt es wieder das herbstkabarett im Forum Stadtpark – mit einem Line-up, das Wucht und Witz verspricht. Dazu die herbst-Deathmatches, bei denen Denkende aufeinanderprallen wie Boxkämpfer im Philosophie-Gym. Und mittendrin das Festival im Festival: Out of Joint, das sich unter dem Titel „ich krieg die krise“ mit multiplen Gegenwarts-Beben beschäftigt – von Konrad Paul Liessmann bis Franz Schuh. Ebenfalls fix dabei ist das ORF musikprotokoll, das sich in diesem Jahr wieder den Grenzbereichen von Klang und Politik widmet.
steirischer herbst 2025

Design: Grupa Ee

Kein Frieden mit der Gegenwart

„Never Again Peace“ – das klingt nicht wie eine Einladung, sondern wie eine Zumutung. Der steirische herbst ʼ25 verweigert sich der wohligen Nostalgie, er stellt keine falsche Versöhnung in Aussicht. Stattdessen insistiert er auf den Widersprüchen, schärft die Brüche und fragt: Wie viel an unseren Idealen ist überhaupt noch übrig? PS: Wer sich das Avantgarde-Festival nicht entgehen lassen möchte, kann ab 11. August Tickets sichern – dann wird auch das vollständige Programm veröffentlicht. Neben dem Kernprogramm wartet das vielfältige Partnerprogramm mit weiteren Ausstellungen, Interventionen und Performances im gesamten Stadtraum.
Künstler:innen und Kollektive Carla Åhlander und Gernot Wieland, Zaid Alsalame, Angélique Aubrit & Ludovic Beillard, Candice Breitz, Pauline Curnier Jardin, Ivo Dimchev, Eva Ďurovec, Charlotte Gash, Gelitin, Pedro Gómez-Egaña, Max Höfler und Andreas Unterweger, Dana Kavelina, Helga Lázár, LIGNA, Lau Lukkarila, Liina Magnea, Augustin Maurs, Nástio Mosquito, Stephan Mörsch, Olaf Nicolai, Ahmet Öğüt, Illya Pavlov, Manuel Pelmuș und Frédéric Gies, Edwin Ramirez, Isabella Sedlak und Yousef Sweid, Seven Trials Theatre Troupe, Haim Sokol, Mounira Al Solh, Franz von Strolchen, Theater im Bahnhof und Das Planetenparty Prinzip, Philippe Vandenberg, Michiel Vandevelde, Pankaj Tiwari und Eneas Prawdzic, Maria Vilkovisky und Ruthie Jenrbekova (Kreolex zentre), zweintopf und weitere. Six Characters of Hotel W. mit Beiträgen von Tomer Dotan-Dreyfus, Miklavž Komelj, Madame Nielsen, Maria Stepanova und anderen.