Patschenpflicht im Museum
Kunsthaus Graz zeigt 'Sanctuary' von Azra Akšamija
Text: Lydia Bißmann - 04.07.2024
Rubrik: Kunst
Die Künstlerin Azra Akšamija setzt sich in ihrer ersten Einzelausstellung im Kunsthaus Graz mit dem Begriff "Sanctuary" auseinander, der Schutzraum, aber auch noch vieles andere bedeuten kann.
Das Thema Schutz wird in raumgreifenden Installationen erfahrbar, in denen sie den Blick auf das Leben in der globalen Gemeinschaft als Wechselbeziehung zwischen den Menschen und ihrer kulturellen Prägung, zwischen dem Drang nach Ökonomisierung und dem Schutz der Umwelt richtet. Was kompliziert und anstrengend klingt, wird im Space 01 und in der Needle aber sehr frisch, bunt und zugänglich präsentiert, was die Ausstellung auch für nicht kunstaffine Menschen interessant macht.
Ausstellungsansicht "Azra Akšamija. Sanctuary" (Credit: Kunsthaus Graz/J.J. Kucek)
Modesünden als Kunstobjekte
Die in Sarajevo geborene und in Graz und Kapfenberg aufgewachsene Architektin nimmt sich auch dem Thema Mode an, das schließlich uns alle etwas angeht. Aus fast einer Tonne Altkleidung baut sie eine Säule, ein Filzteppich kann auch zu sehr schicken und komfortablen Hausschuhen umgewandelt werden, und ein originalgetreues Flüchtlingszelt besteht aus Rettungsdecken, Jeans und alten T-Shirts. Alte Leiberl gestalten auch einen überdimensionalen Webstuhl, der das Thema Weben und Verweben auch als Symbol für soziale Interaktion oder das Vermischen von unterschiedlichen Identitäten und Kulturen aufgreift. Das wunderschöne Konstrukt aus nach Farben sortierten, in Streifen geschnittenen Jersey-Shirts (die Materialien für die Kunstwerke stammen von der Caritas-Kleidersammlung) soll auch an die enorme Ressourcenverschwendung in der Modeproduktion erinnern. Man staunt und freut sich beim Betrachten, bekommt aber auch sofort ein schlechtes Gewissen wegen des gestern neu gekauften T-Shirts.
Ausstellungsansicht "Azra Akšamija. Sanctuary" (Credit: Kunsthaus Graz/J.J. Kucek)
Kuschelige Konsumkritik
Die Arbeit "Silk Road Works" war auf der Biennale 2021 zu sehen und verbindet profane Arbeitskleidung wie einen Helm, die berühmten „Blaumann-Overalls“ oder Rettungswesten für auf der Flucht ins Mittelmeer gefallene Menschen mit kostbaren Materialien wie Muranoglas oder Seide. Auch das ist schön anzusehen, aber fühlt sich nicht so an. Azra Akšamija ist optisch gnädig, aber unbarmherzig, was das Aufzeigen von Problemen durch Kapitalismus, Klimakrise und Konsumwahn anbelangt. Die verwendeten Materialien steuern ihre individuellen Geschichten zu ihren Installationen bei, die sich nicht davon trennen lässt. So ist es fast unmöglich, heimische Schafwolle für Filz zu bekommen. Die meiste Wolle stammt aus Australien, für das Kunsthaus wurde Filz aus Belgien benutzt.
Ausstellungsansicht "Azra Akšamija. Sanctuary" (Credit: Kunsthaus Graz/J.J. Kucek)
Empörung als Empowerment
Fußbekleidung ist so etwas wie ein eigener, ganz intimer Schutzraum in der Öffentlichkeit, den man ungern verlässt. Etwas Überwindung braucht man daher beim Schuhe ausziehen, mit denen man nicht ins Zelt darf, das die Originalmaße eines UNHCR-Flüchtlingszeltes aufweist und aus der einzigen Ressource besteht, an der in einem Flüchtlingscamp kein Mangel herrscht: aus Second-Hand-Kleidung. Es lohnt sich aber – die Filzschlüpfer erweisen sich als bequem und die Besucher:innen dürfen, wenn sie das möchten, dabei mithelfen, noch mehr Hausschuhe zu falten oder verzieren. Das Zelt selbst ist mit dicken Teppichen ausgelegt und orientalischen Sitzgelegenheiten und Tischchen ausgestattet. Man kan sich vorstellen, längere Zeit in diesem sehr gemütlichen und einladenden Ambiente zu verbringen. Wer nicht ins Museum will, kann eine Arbeit von Azra Akšamija von außen betrachten. Die Needle im 4. Stock wurde von ihr zu einer sakral anmutenden Halle umfunktioniert, die an Kirchenfenster, eine Moschee oder auch an einen Wellness-Tempel erinnert. Die wundervollen geometrischen Formen, die multireligiös gedeutet werden können und uns vertraut sind, bestehen aus 3D-Brillen aus Plastik und Papier. Je nach Tageszeit gibt es andere Lichter und Reflektionen. Die Ausstellung "Sanctuary" von Azra Akšamija knüpft an die Schau "Arbeit 24/7" im Untergeschoß an, in der es ebenfalls um Themen wie Arbeitsbedingungen oder globalen Zusammenhalt geht. Ein diverses und abwechslungsreiches Rahmenprogramm mit einer Modediskussion, Poetry Slam oder einem Frauencafé umrahmt die Ausstellung, die bis Oktober zu sehen ist.
Silk Road Works, 2021 (Credit: Kunsthaus Graz/J.J. Kucek)
Aus diesen Filzornamenten werden bequeme und praktisch Patschen gefaltet. (Credit: Kunsthaus Graz/ J.J.Kucek)
Credit: Lydia Bißmann
Die Künstlerin Azra Akšamija mit den beiden Kuratorinnen Alexandra Trost und Katrin Bucher Trantow (v.l.) (Credit: Kunsthaus Graz/J.J. Kucek)