Der steirischer herbst untersucht die Strategie des Rechtsextremen: „Jede Veränderung beginnt mit einem Tabubruch.“

Kritik: Violenza 2025, Michiel Vandevelde, Pankaj Tiwari und Eneas Prawdzic

Text: Robert Goessl - 30.09.2025

Rubrik: Theater
Violenza 2025, von Michiel Vandevelde, Pankaj Tiwari und Eneas Prawdzic im steirischen herbst

Fotocredit: steirischer herbst / Clara Wildberger

Eine Gruppe junger Männer aus dem rechten Milieu bekommt die Chance, ihre Ideen vor Publikum zu demonstrieren. Wobei das nicht ganz so stimmt. Zwar sind die Macher in die rechtsextreme Szene eingetaucht, haben dort die Basis für den Text gefunden und es war auch die ursprüngliche Idee, mit Menschen aus diesem Milieu zu arbeiten, doch griff man letztendlich doch auf Schauspieler von der KUG zurück, die aber ihre Sache beängstigend gut machen. Die Inszenierung ist also nichts für schwache Nerven.

Man gibt sich zu Beginn handzahm: Klaviermusik, Familie, Herkunft, Werte – lauter Wohlfühlrequisiten, die eine vertraute Atmosphäre erzeugen sollen. Selbst die inoffizielle Hymne I am from Austria wird zum Mitsingen angeboten, mit Klavierbegleitung und einem Augenzwinkern in Richtung Gemeinschaftsgefühl. Doch das Publikum bleibt dabei merklich zurückhaltend.

Ein „kultureller Austausch“ als unauffällige Vorbereitung

Die fünf Männer unterschiedlicher österreichischer oder deutscher Herkunft stellen sich vor, so wie es sich gehört. Brav und ordentlich. Sie sind in diversen Verbindungen (IB Bayern oder Marko Danubia) oder auch in der FPÖ, sie geben das auch selbstverständlich von sich. Dabei führen sie die Zuschauer langsam in ihre Gedankenwelt ein. So manches dabei klingt auf den ersten Blick logisch. Und die Akteure agieren auch zunehmend souveräner auf der Bühne. Doch kommen da auch schon Formulierungen wie „Kulturfestung Steiermark“ oder feine Doppelbedeutungen wie „Deshalb freue ich mich besonders heute hier in Graz dabei zu sein, um den kulturellen Austausch voranzutreiben.“, wenn auch mit einem gefühlt ironischen Unterton. Sich als Patrioten zu fühlen, wenn man an alte Werte wie Familie und Gemeinschaft glaubt, klingt das auch zunächst einmal harmlos. Wie viele würden da fürs Erste nicht einmal einfach zustimmen?

Das Verstecken des Egoismus auf der Suche nach Identität in der Herkunft

Es beginnt das Spiel mit der Angst, angesichts der Krisen und der Unsicherheiten, verbunden mit dem Wunsch, das „echte“ zu finden, die Suche nach einer kulturellen Identität. Man wird doch noch auf das stolz sein können, wer man ist und woher man kommt. Und der dabei zugehörige Rassismus wird noch in Watte gepackt: Denn das darf jeder, auch die Afrikaner. Darauf folgt die These, dass man sich nur unter seinesgleichen wohlfühlen kann: „Ein Ort für alle ist kein Ort mehr.“. Getrennt lebt man besser, denn es kommt auf die „echten“ Wurzeln an, auf die Rückbesinnung auf die Tradition der Väter, um zu wissen, wer man ist, um eine einfache schöne Gemeinschaft zu bilden - so wie die Horden in der Steinzeit. Aus der souveränen Rede wird zunehmend ein bestimmte.
Violenza 2025, von Michiel Vandevelde, Pankaj Tiwari und Eneas Prawdzic im steirischen herbst

Fotocredit: Savvapanf Photo / stock.adobe.com

Das Einschwören auf den Kampf gegen die Eliten

Es geht um das Gefühl der Ungerechtigkeit, um Selbstbehauptung gegen ein System, das angeblich nur anderen dient. Man stilisiert sich zur Mehrheit und zum Rebellen zugleich, die Parolen werden aggressiver: Menschenrechte sollen zu Menschenvorrechten werden. Das neue Miteinander funktioniert nur gegen andere. Demokratie wird zur Herrschaft der Mehrheit reduziert, notfalls durch Remigration erzwungen. So erzeugen die Männer selbst die Angst, die sie beklagen – eine Rebellion des nazistischen Individuums, das sich seiner Herkunft wegen überlegen wähnt. Aus dem Publikum kommen spöttische Kommentare.

Ungleichheit und Reinheit werden zum Prinzip oder das männliche Ideal als natürliches Vorrecht

Gefordert wird das Vorrecht des Mannes, die Herrschaft der Starken über die Schwachen. Aus Kränkung wächst die Sehnsucht nach einer hegemonialen Ordnung, genährt von historischem Halbwissen. Der Ton kippt ins Wütende, wenn von Remigration und Volksverrätern die Rede ist, bis am Ende die Einheit beschworen und der starke Mann an der Spitze verlangt wird – das männliche Ideal, verklärt zur Naturordnung.
Violenza 2025, von Michiel Vandevelde, Pankaj Tiwari und Eneas Prawdzic im steirischen herbst

Fotocredit: steirischer herbst / Clara Wildberger

Mit Machtfantasien zur Riefenstahl-Ästhetik

Nachdem es ja auch in der Natur des Mannes liegt, sein Territorium auszudehnen, kommt nun auch das Dachsteinlied „bis zur Save“ zu Sprache. Jedes starke Volk darf sich seine Gebiete zurückholen, verbunden mit der Sehnsucht, gemeinsam als „germanische Ethnie“ in den Krieg zu ziehen: „Nur in der Gefahr findet der Mensch zu seiner ganzen Größe.“. Spätestens hier ist der Punkt erreicht, wo man daran denken sollte, dass ein gemeinsames „I am from Austria“ am Anfang stand. War da zu Beginn noch die Intention, das Publikum überzeugen zu wollen, so geht es jetzt nur noch darum, es beherrschen zu wollen und seine Überlegenheit auch entsprechend darzustellen. Die nüchterne Bühne mutiert zu einem Reifenstahl-Filmset mit antikem Hintergrund. Die Männer posieren und erfreuen sich an ihren Körpern. Aus dem Posieren werden Kampfspiele mit zunehmender Brutalität und aus den Kampfspielen werden homoerotische Akte. Darüber gibt es auf dem Off Tik-Tok-Zitate rechtsextreme Influencer.

Der Zynismus der gefühlten Überlegenheit

Am Ende bleibt ein Mann allein auf der Bühne. Mit höhnischem Ton liest er Ernst Tollers Epilog aus Eine Jugend in Deutschland, der das Versagen der 30er-Jahre anklagt und nach den Kamerad:innen ruft, die im Glauben an ein Reich der Gerechtigkeit die Freiheit verloren. Dann verbrennt er den Text, lächelt zynisch ins Publikum und setzt nach: Wir haben einen Plan, ihr nicht. Wir sind stark, ihr nicht. Gehen Sie nach Hause – denn morgen geht es erst richtig los
Violenza 2025, von Michiel Vandevelde, Pankaj Tiwari und Eneas Prawdzic im steirischen herbst

Fotocredit: steirischer herbst / Clara Wildberger

Fazit: Ein Ende mit Schrecken - als Anfang des Schreckens?

Die Dramaturgie dieses Abends lässt das Blut gefrieren: Was harmlos mit den Schlagworten Freiheit und Demokratie beginnt, kippt rasch in die Diktatur einer Minderheit, die sich als Mehrheit wähnt. Demokratie wird hier nicht verteidigt, sondern manipulativ als Waffe gegen sich selbst eingesetzt – bis zur Frage, ob Parteien, die sie abschaffen wollen, überhaupt Platz in ihr haben dürfen. Es ist ein Abend, der weh tut: ‚Eine echte Demokratie hält Gegenrede aus‘ – aber nur, wenn das Widersprechen laut genug erfolgt und es nicht schon zu spät ist.

„Violenza 2025“ von Michiel Vandevelde, Pankaj Tiwari und Eneas Prawdzic beim steirischer herbst

Darsteller: Jakob, Lukas, Max, Nick und Rafael Regie: Eneas Prawdzic, Pankaj Tiwari und Michiel Vandevelde Choreografie, Bühnenbild und Licht: Michiel Vandevelde Technik: Maxim Van Meerhaeghe