Nur wer den Kitsch liebt, versteht das Leben
Kritik: The Phantom of the Operetta, La Fleur
Text: Martin Exner - 20.09.2024
Rubrik: Theater
Mit der Performance „The Phantom oft he Operetta“ des international besetzten Künstlerkollektivs La Fleur eröffnete der diesjährige Steirische Herbst seinen szenischen Programmreigen.
Horror Patriae, der Schrecken der Heimat, ist das diesjährige Motto des Steirischen Herbst. Sich dem Thema Heimat kritisch zu nähern ist von vielen Seiten möglich – warum nicht über die Operette, hier aus der Jahrhundertwende und den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, in der Heimat und Fremdsein, Exotisches und Glamouröses wie selbstverständlich vermischt werden?
Der Kitsch ist nicht selten Bestandteil der österreichischen Operettentradition, das wird in dieser Performance – auch wenn sie fernab jedes Kitschverdachtes ist – angesprochen. Wie aber auch zahlreiche anderen Themenbereiche, die teilweise bereits zu Beginn des vorigen Jahrhunderts aktuell waren und es vor allem heute noch sind: Kulturelle Aneignung, der aufkommende Nationalsozialismus und Fremdenhass, Rassismus, die Darstellung und Rolle der Frauen (nicht nur in Operetten), die Abgründe des Kolonialismus – vielleicht etwas viel für einen gut eineinhalbstündigen Abend, der aber dennoch viel Humor, manch Nachdenkliches und vor allem keine Sekunde Langeweile mit sich bringt.
Credit: Clara Wildberger
Kolonialismus und Operette
Entlang des Lebens von Emmerich Kálmán, einem der zentralen Komponisten der (von den Nationalsozialisten so bezeichneten) „silbernen Ära der Wiener Operette“ und seinen zentralen Werken, vor allem „Die Csárdásfürstin“ und „Gräfin Mariza“, aber auch der weniger bekannten „Herzogin von Chicago“, wird viel über diese Zeit und ihren Umgang mit Heimat und Fremdsein erzählt, musiziert (ein ausgezeichnetes Streichquartett mit schwungvollen Arrangements der Kálmánschen Musik von Eduard Luis), hinreißend getanzt (zu Bearbeitungen von Komponist Timor Litzenberger) und vielsprachig gesungen.
Da sich La Fleur seiner Programme gerne aus postkolonialer Perspektive nähert (und einige der Ausführenden aus der Elfenbeinküste stammen) rückt das afrikanische Land, seine Kultur, Musik, aber auch der Horror des Kolonialismus immer mehr in den Mittelpunkt, um sich schlussendlich mit den Klängen, Tänzen und typischen Inhalten der Wiener Operette zu vermischen, was manchmal etwas weit hergeholt ist, bisweilen allerdings auch zu überraschenden und schlüssigen Bezügen zweier an sich fremder Welten führt.
Credit: Clara Wildberger
Sinnliches Plädoyer für die Kunstform Operette
Schlussendlich ist der vielbeklatsche Abend nicht nur eine bunte Auseinandersetzung mit dem Begriff der Heimat und all ihrer (manchmal mehr, manchmal weniger) problematischen Zuordnungen, sondern auch ein sinnliches Plädoyer für die Kunstform Operette, mit all ihrem Kitsch, Glamour, ihrer heilen Welt und ihrer eingängigen Musik. Es muss ja nicht alles todernst diskutiert werden.
Jedenfalls ein gelungener Auftakt in ein Festival mit spannendem Motto.