„Um ein Ziel zu erreichen, muss man alles aufgeben. Bis man nichts mehr hat. Und dann muss man das Ziel aufgeben.“
Kritik: The Artist is present, HofTheater Höf-Präbach
Text: Robert Goessl - 24.09.2024
Rubrik: Theater
In diesem Stück wird Leben und Werk von Marina Abramović, der Grande-Dame der radikalen Performance, gewürdigt. Der Text von Jula Zangger, die auch Regie führt, beschreibt die wichtigsten Stationen ihres Lebens und orientiert sich an stilprägenden radikalen Performances und Ausstellungen, wie man gleich beim Betreten der Räumlichkeiten merkt.
In der recht schmalen Eingangstür stehen die beiden Künstler einander nackt gegenüber. Das Publikum muss beim Betreten durch die beiden durch und sich dabei entscheiden, wem es seine Vorderseite zuwendet – eine Hommage an ihre Performance "Imponderabilia". Damit beginnt ein Spiel, das die Zuschauer ständig herausfordert, sich in die Gedankenwelt von Marina Abramović zu begeben. Hier wird niemandem etwas geschenkt, außer die Möglichkeit, an einem Leben Anteil zu nehmen, das sich selbst nicht im Geringsten schont und damit die Untiefen der menschlichen Möglichkeiten auslotet.
Credit Jula Zangger
Ein Ensemble mit Jugo-Mucke
Die Inszenierung begnügt sich nicht damit, einfach durch ihr Leben zu führen, es gibt auch eine Band, die mit fettem Klezmer-Sound die Emotionen der Darsteller unterstützt und balkanesisches Flair verbreitet.
Die Hauptdarstellerin Romana Rabić, die selbst serbische Wurzeln hat, spielt nicht nur mit wahnsinnig großem Einsatz eine furiose Marina Abramović, sie zeigt auch ihr Können als Sängerin – in Spiel und Gesang wütend, verletzlich und verletzend, liebend und hassend. Kilian Klapper schlüpft in die Rollen ihrer Ehemänner und begleitet sie souverän durch diese Tour de Force. Die Band bestehend aus Kristina Nikolić , Milica Vujadinović und Nikola Vuković begleitet nicht nur den Gesang, die einzelnen Mitglieder greifen immer wieder in das Spiel mit kleinen Rollen ein.
Credit Jula Zangger
Der Weg des Schmerzes als Rettung
Härte prägte die Kindheit von Marina Abramović, geboren in Serbien 1946 als Tochter von Tito-Partisanen, die es liebten, Geschichten von der Brutalität des Krieges der Tochter zu erzählen, und die im Frieden nicht aus ihrer mitunter auch von der Tochter erdachten Kriegs- und Nationalhelden-Welt fanden.
Als Geschenke von ihren Eltern erhielt sie in ihrer Kindheit fast nur praktische Dinge, und so lernte sie, dass das Spielzeug sie selbst ist. Ihr Studium der Malerei in Belgrad erfüllte sie nicht wirklich, und so stellt sie ihren Körper in den Mittelpunkt ihrer Kunst, ohne dabei Rücksicht auf sich zu nehmen und das in einer Radikalität, die es davor nicht gab. Sie startet Anfang der 70-er Jahre eine Karriere als Performerin, wobei sie in ihren Darbietungen nicht nur ständig an ihre physischen und psychischen Grenzen ging, sondern diese auch konsequent überschritt.
Sie lieferte sich damit nicht nur selbst extremer Gewalt aus, sie brachte damit auch ihr Publikum in Situationen, in die Kunst nicht einzugreifen, bei denen man im normalen Leben sofort Hilfe leisten würde: Sie hat versucht, sich selbst einzufrieren, und forderte sich dermaßen, dass sie regelmäßig ohnmächtig wurde und einmal nahezu in den Flammen erstickte – sie wollte ein Werk schaffen, das einzigartig ist, das die Welt verändert.
Credit Jula Zangger
Ein Leben für die Kunst
Die Inszenierung greift immer wieder auf einzelne prägende Performances von ihr zurück, und zeigt diese mal mehr, mal weniger andeutungsweise, dennoch wird durch Blut und Nacktheit und den körperlichen Einsatz der Darsteller deren Radikalität spürbar – und die Anforderungen, die ihre Form von Kunst an ihr Publikum stellt, aus Respekt vor der Künstlerin nicht in deren Darbietung einzugreifen, und dieses damit zum Mit- Akteur*innen zu machen:
Die Performance „Lips of Thomas“, die 1975 in der Galerie Grinzinger in Innsbruck stattfand, wurde sogar abgebrochen. Sie brachte dabei ein Fachpublikum, das durchaus Erfahrungen mit dem Wiener Aktionismus hatte, an seine Grenzen.
In Amsterdam lernte sie ihren langjährigen Lebens- und Künstlerpartner Ulay kennen, mit dem sie etliche Projekte gemeinsam durchführte und deren Beziehung spektakulär zu Ende ging, indem beide auf den gesamten Weg auf der Chinesischen Mauer aufeinander zugingen, um sich nach einem Marsch von 2500 Kilometern beim Aufeinandertreffen zu trennen, weil er während des Marsches angeblich fremdging.
Credit Jula Zangger
Auflösungen zwischen Kunst und Wirklichkeit
In Szenen wie diesen schaffen es die beiden Hauptdarsteller eine seltsame distanzierte Harmonie zueinander auszubauen. Man hat das Gefühl, dass diese Beziehung zweier Einzelgänger durch ständige Brüche zusammenhält, bis es zu einer endgültigen Auflösung durch die Kunst kommt, wobei sich der Unterschied zwischen Leben und Kunst ebenso aufzulösen scheint. Auch die Geschichte Jugoslawien wird per Videoeinspielungen gezeigt und da wirkt es fast schon prophetisch, dass sich das Land, das ihre Eltern geprägt hat, sich so gewaltsam auflöst, wie das Leben von ihren Eltern empfunden wurde und wie Marina Abramović in ihren Performances mit ihrem Leben umging.
Credit Jula Zangger
Am Ende als Legende sitzend
Nach einem weiteren untreuen Partner, legendären Performances und Professuren an etlichen Universitäten steht die titelgebende Performance am Ende vom Stück:
Auf den oberen Etagen des Museum of Modern Art in New York wird 2010 ihr gesamtes Lebenswerk ausgestellt, und unten sitzt Marina Abramović selbst in einem roten Kleid auf einem Stuhl für die gesamte Dauer der dreimonatigen Ausstellung, bereit dazu, dass man sich ihr gegenübersetzt. Ungefähr 750.000 Menschen nehmen das Angebot an und warten teilweise stundenlang dafür.
„Das ist der Tod der Kunst, dass sie schon fertig ist – und wir noch nicht“
Credit Jula Zangger
Zu sehen
im Steirerhaus Stadl, Großpesendorf 40, 8211 Großpesendorf
28.09., 04.10., 11.10., 12.10., 18.10., 01.11., 02.11., 03.11.
im Off-Theater, Kirchengasse 41, 1070 Wien
06.11., 07.11, 10.11.
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