"Wo war die Liebe damals?"
Kritik: Spiel mir das Lied von Knittelfeld, Theater im Bahnhof
Text: Robert Goessl - 08.10.2024
Rubrik: Theater
Im Rahmen des steirischen herbstes und des Communication24-Festivals anlässlich des 800-jährigen Bestehens der Stadt Jahre Knittelfeld begibt sich das Theater im Bahnhof nach einer Idee von David Reumüller und Karl Stocker mit Textbeiträgen von Christa Zöchling auf die Spuren der Pubertät der FPÖ.
Es begab sich am 7. September 2002 genau am Ort der Aufführung, dem schmucklosen großen Saal des Kultur – und Kongresshauses in Knittelfeld: 400 Delegierte, unter ihnen fast die gesamte Spitze der FPÖ, trafen sich in einem eilig anberaumten Doch-Nicht-Parteitag, nachdem die Kluft zwischen den pragmatischen Regierungsmitgliedern und des rechten Flügels rund um das „einfache Parteimitglied“ Jörg Haider immer größer geworden war.
Das absurde „basisdemokratische“ Schauspiel, getragen vom Willen, zugleich Regierung als auch Opposition sein zu wollen, endete in aufgeheizter Stimmung mit dem bekannten Ergebnis einer faktischen Selbstzerstörung.
Credit Johannes Gellner
Der leere Raum
Am Anfang ist an diesem Originalschauplatz von aufgeheizter Stimmung so gar nichts zu spüren. Das Publikum sitzt etwas verloren längs auf beiden Seiten am Rande des Saals und blickt sich an – der Saal selbst ist leer. Es scheint, als wäre die Zeit trotz der Leere irgendwie stehengeblieben, zumindest für den alten Saaltechniker, gespielt von Rupert Lehofer, der wie jeden Tag bedächtig seiner Arbeit in „seinem“ Saal nachgeht, als wäre er mit ihm eins geworden. Er gibt gespenstisch authentisch einen Österreicher zwischen Nostalgie und Gewohnheit, der es nun einmal langsam angeht. Zeit, den Saal auf eine „Kunstperformance“ eines Grazer Festivals vorzubereiten, ist ohnehin mehr als genug.
Credit Johannes Gellner
Die rechte Welt Österreichs kommt ins rote Knittelfeld
Der Saal scheint seine Welt zu sein, in der er sich wohlfühlt, die er durch seinen jungen eifrigen Kollegen irakischer Herkunft (Zaid Alsalame – vor Energie nur so strotzend) gefährdet sieht. Immer wieder den Eifer seines jungen Kollegen bremsend, erzählt er von damals, als der Saal in den Tiefen der Obersteiermark ein einziges Mal zum Nabel der Welt wurde. Er wirkt dabei gleichgültig, sachlich, ohne wirkliche Anteilnahme, als hätte die Welt in seinem Saal damals so gar nicht hineingepasst, während sich dieser langsam mit ein paar Sesseln zu füllen beginnt.
Während der gemächlich fortschreitenden Arbeit erzählt er von der Anspannung, die da herrschte, bevor jeder Delegierte seinen Sitzplatz sich getraut hat zu wählen, genau darauf achtend, wo er sich in dieser Umgebung zu wem positionieren wollte, und wie dabei eine unsichtbare Hackordnung sichtbar wurde.
Credit Johannes Gellner
Eine Zeitgeschichtsstunde
Der junge Kollege begreift erst langsam, wie Österreich laut den Erzählungen des Alten funktioniert. Er ist überrascht, dass es im Hinblick auf Abfangjäger so etwas wie Korruption in diesem Land gab, und er ist auch etwas ratlos, ob der achselzuckenden Gleichgültigkeit, mit der der Alte davon erzählt, während das letzte Tempo beim Saalumbau nun auch endgültig heraußen zu sein scheint. Ein paar schmucke Banner für die Kunstperformance (Ausstattung Helene Thümmel und Heike Barnard) werden noch heruntergelassen, es wird etwas mit der Bühne technisch gespielt und der jungen Kollege stimmt auf einer Mundharmonika auch „Spiel mir das Lied vom Tod“ an.
Doch ein Video von der seinerzeitigen Reise von Jörg Haider in den Irak zu Saddam Hussein bringt den jungen Kollegen dazu, sich an die politischen Ungerechtigkeiten in der Diktatur seiner Jugend in Bagdad zu erinnern. Damit kommt eine neue Dynamik in das Verhältnis zwischen den beiden, womit auch die Performance zusehends ins Absurde kippt.
Credit Johannes Gellner
Der Stillstand löst sich auf
Der junge Kollege verwandelt sich stilvoll mit Hemd und Sakko in jemanden, der seinerzeit in Knittelfeld abwesend war, einen Mann im Hintergrund, einen Redenschreiber, der seine Chance gekommen sieht, wissend, wie man das Potenzial der seinerzeitigen Veranstaltung abschöpfen kann. Das ganze wirkt dabei nicht aggressiv, sondern eher grotesk, als Reaktion des Neuen, der die Trägheit des Alten nicht versteht, und der weiß, dass er das alles auch allein und wesentlich schneller und effizienter könnte. Doch es kommt zu keinem Bruch zwischen den beiden, sondern der Alte lässt sich von der Energie des Jungen anstecken. Und so lösen sich mögliche Gegensätze der beiden am Ende auf und münden in einen augenzwinkernden und im Rahmen der Möglichkeiten ihrer Figuren eleganten und fast schon hochemotionalen, aber auf jeden Fall gemeinsamen tänzerischen Ausbruch.
Credit Johannes Gellner
In dieser Inszenierung unter der Regie von Ed. Hauswirth und Rupert Lehhofer spielt der Saal und dessen Nachhall die Hauptrolle. Seine Leere vermittelt das Gefühl, Zuseher:in eines grotesken Schauspiels zu sein, in das man wegen seiner anfänglichen Trägheit gerne eingreifen möchte. Die vordergründig unpolitische Performance wird der Absurdität der damaligen Vorkommnisse gerecht und lässt auch einen Blick in die gediegene österreichische Seele zu.
Die beiden von Zaid Alsalame und Rupert Lehofer überzeugend gespielten Figuren, die ihre eigenen Erfahrungen ihrer Lebenswelten auf die Ereignisse projizieren, agieren am Rande ihrer Klischees und haben damit etwas Archetypisches an sich, das immer wieder mit zarter Selbstironie gebrochen wird. Am Ende fragt man sich unwillkürlich: Ist gemeinsames Tanzen schon die Lösung oder wird alles vermeintlich Politische in Österreich einfach automatisch zum Entertainment?
Credit Johannes Gellner
Noch zu sehen in Knittelfeld im Rahmen des Communication24-Festivals
in der dortigen Kultur- und Kongresshaus am 26.10. und 02.11.
Infos und Karten: Communication24