Von einer (Gebäude-)Leiche zu einer charmant-humorvollen Trauerfeier

Kritik: Songs about Places: Der Maykäfer, Bum Bum Pieces

Text: Robert Goessl - 13.08.2025

Rubrik: Theater
Kritik: Songs about Places: Der Maykäfer, bum bum pieces

Robert Lepenik. (Fotocredit: KUMA)

Im Format „Songs about Places“ widmen sich die „Bum Bum Pieces“ Häusern, die in die Jahre gekommen sind oder sogar vor dem Abbruch stehen.

Das Theater- und Performancekollektiv Bum Bum Pieces erforscht die Vergangenheit ikonischer Häuser, wobei Zeitungsarchive durchwühlt werden und auch mit Wegbegleiter:innen des Hauses gesprochen wird, die ihre Erinnerungen teilen möchten. Daraus wird ein Abend, an dem die Geschichte des Hauses erzählt wird, angereichert mit Liedern als eine Art nicht ganz ernst gemeintem Requiem. Was im ersten Moment etwas traurig klingt, entpuppt als ein Abend mit der analogen Eleganz des Einfachen und mit viel Humor. Man wird gegenüber dem Haus in der Maygasse 5 empfangen. Robert Lepenik sitzt vor der Tür, auf der ein Schild „Betreten der Baustelle verboten“ prangt und spielt Gitarre – langsam und in sich gekehrt. Die Zuschauer können das Haus von außen betrachten und da ein Teil davon eingestürzt ist, sieht man auch ein wenig ins Innere, wo außer Bauschutt nur ein paar offensichtlich vergessene Dinge herumliegen.

Kritik: Songs about Places: Der Maykäfer, bum bum pieces

Martin Brachvogel, Nora Winkler, Robert Lepenik. (Fotocredit: KUMA)

Wie alles begann – und Graz fast noch unverbaut war

Nach der Besichtigung wird das Publikum von Nora Winkler und Robert Lepenik zum Ortweinplatz geführt, wo es gilt, erst einmal Platz zu nehmen. Martin Brachvogel steht bereit und spricht vor dem Publikum, als würde er zu einer Trauerrede ansetzen, mit etwas Pathos und scheinbarer Ernsthaftigkeit, was dem Ganzen eine zarte ironische Note verleiht. Er beginnt mit der Geschichte des Hauses: Erbaut 1863 vom damals bekannten Baumeister Jakob Bullmann als Wohnhaus, wurde es später zu einer Weinstube mit wechselnden Besitzern. Es wird auch berichtet, wie es damals rund um das Haus in Graz aussah, als die Bäche noch überirdisch flossen und es rundherum noch nicht verbaut war. Man kann also als Zuschauer auch in die damalige Zeit eintauchen. Auf der Bühne wird die Gasse mit den nach und nach erbauten Häusern nachgebildet, und in kurzen Szenen zwischen Nora Winkler und Martin Brachvogel werden Ereignisse symbolisch nachgespielt.
Kritik: Songs about Places: Der Maykäfer, bum bum pieces

Martin Brachvogel, Nora Winkler. (Fotocredit: KUMA)

Die Fahrradkette der Zeit

Die von Rosa Wallbrecher gestaltete Bühne ist wie eine Ladentheke gehalten, umrahmt links von einer Leiter, rechts von einer Lampe (praktisch, um die Elektrifizierung von Graz durch schlichtes Einschalten anzudeuten!) und oben und unten von umfunktionierten Fahrradketten. Während oben immer wieder Dinge, die das Haus betreffen, aufgehängt und dann von links nach rechts gekurbelt werden, ist unten eine Skala mit den Jahreszahlen an der Theke und ein Pfeil an der Fahrradkette, der von Nora Winkler immer zur Jahreszahl gedreht wird, an dem die Handlung gerade spielt.
Kritik: Songs about Places: Der Maykäfer, bum bum pieces

Martin Brachvogel, Nora Winkler. (Fotocredit: KUMA)

Von großen Festen und dunklen Zeiten

So wird die Geschichte bis zur Gegenwart erzählt, auch als Zeitgeschichte, mit den wirtschaftlichen Gegebenheiten, wie mit dem „Inflationslied“ über den Brotpreis von 1900 bis 2020. Dabei geht es auch um Ereignisse in der Umgebung des Hauses. Man erfährt von Störchen und Tauben, von Wein und dem, was die Küche des Hauses so bieten kann, von Vereinen, die in den Weinstuben ihre Treffen und Feste veranstalteten und vom Marschieren, als Graz zur Stadt der … also auch vom „seltsamem Graz“. Wie durch ein Wunder blieb das Haus Maygasse 5 von Bomben verschont.
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Nora Winkler, Martin Brachvogel. (Fotocredit: KUMA)

Vom Kultlokal zum bitteren Ende

Ausführlich widmet sich die Aufführung dem letzten Teil der Geschichte des Hauses, als es dort das legendäre Gasthaus „Maykäfer“ gab, mit ebenso legendärem Chili und diskussionsfreudigen Gästen bis weit nach Mitternacht samt häufigem Besuch der Polizei wegen Ruhestörung. Trotz des Verhandlungsgeschicks des Wirtes bleibt am Ende wegen Anrainern und dem seltsamen Verhalten einer Immobilen-Firma eine Ruine zurück, mit dem aktuellen Status, dass niemand weiß, wie es nun mit dem Haus weitergeht.
Kritik: Songs about Places: Der Maykäfer, bum bum pieces

Martin Brachvogel, Nora Winkler, Robert Lepenik. (Fotocredit: KUMA)

Ein charmanter und unterhaltsamer Abend mit Wissenswertem über ein Haus und seine Umgebung

Die liebevolle einfache Gestaltung der Bühne mitsamt dem Charme der Inszenierung von Simon Windisch macht den Abend zu einem gespielten und gesungenen Denkmal aus Erinnerungen, wobei auch die Stimmungen aus unterschiedlichen Zeiten eingefangen werden mitsamt den Untertönen. Nora Winkler und Martin Brachvogel erzeugen eine bezaubernd-melancholische Atmosphäre mit ihrer ironisch leicht überspielten Strenge ihrer Darstellung, mit der sie auch einen sanften Humor kreieren. Mit den eingängigen Melodien von Robert Lepenik, gespielt von ihm auf der Gitarre und immer wieder unterstützt von Nora Winkler auf Akkordeon und Flöte wird man nicht nur in die Vergangenheit versetzt, man erfährt auch so manch wissenswertes über die Geschichte von Graz und seinen Menschen.
Kritik: Songs about Places: Der Maykäfer, bum bum pieces

Nora Winkler, Martin Brachvogel, Robert Lepenik. (Fotocredit: KUMA)

„Songs about Places: Der Maykäfer“ von den bum bum pieces

Mit: Martin Brachvogel, Nora Winkler, Robert Lepenik Konzept: Bum Bum Pieces (Simon Windisch und Nora Winkler) Regie: Simon Windisch Regieassistenz: Carmen Schabler Recherche: Miriam Schmid, Carmen Schabler Kostüm- und Bühnenbild: Rosa Wallbrecher Komposition: Robert Lepenik Technik: Thomas Grassegger Noch zu sehen am: 15.08 (Fr), 16.08. (Sa), 18.08. (Mo) und 23.08. (Sa) jeweils 20:00 Kartenlink Treffpunkt: Maygasse 5, 8010 Graz Die Veranstaltung findet bei Schönwetter im Freien am Ortweinplatz und bei Schlechtwetter im Theater am Ortweinplatz statt
Kritik: Songs about Places: Der Maykäfer, bum bum pieces

Das Loch vom Einsturz in der Maygasse 5. (Fotocredit: KUMA)

Kritik: Songs about Places: Der Maykäfer, bum bum pieces

Nora Winkler. (Fotocredit: KUMA)

Kritik: Songs about Places: Der Maykäfer, Bum Bum Pieces

Nora Köhler. (Fotokredit: Bettina Frenzel)

Fotocredit: Sabine Pichler

Kritik: Songs about Places: Der Maykäfer, Bum Bum Pieces

Fotocredit: Bettina Frenzel