Fußballstars als Operettenhelden

Kritik: Roxy und ihr Wunderteam, Oper Graz

Text: Lydia Bißmann - 09.04.2025

Rubrik: Musik
Kritik: Roxy und ihr Wunderteam, Oper Graz

Ivan Oreščanin und Madina Frey. (Fotocredit: Marija Kanizaj)

Mit Roxy und ihr Wunderteam, einer Jazz-Operette von Paul Abraham, ist es der Oper Graz gelungen, Sportsgeist und Musik miteinander zu verschmelzen. Zum klassischen Orchester, dem Dirigenten Kai Tietje, vier Solist:innen und dem Ex-Sturm-Spieler Martin Ehrenreich mischten sich auch Mitglieder des aktuellen SK Sturm Graz II-Kaders unter die Chormitglieder.

Die konzertante Aufführung schlägt das Publikum, unter das sich etliche große und kleine Sturm-Graz Fans gemischt haben, von der ersten Minute an in ihren Bann. Dirigent Kai Tietje, der die Roxy-Operette bereits an der Komischen Oper Berlin und im Wiener Volkstheater dirigiert hat, tritt mit einem silbernen Pfeiferl bewaffnet auf – das er auch benützt. Damit die Stimmbänder nicht austrocknen, gibt es Wasserflaschen mit dem Sturmlogo darauf auf der Bühne. Das lockert die ohnehin schon entspannte Atmosphäre in der Grazer Oper auf. Die Herren des Ensembles stecken in Sturm-Leiberln, die Damen tragen adaptierte Sportdressen mit dem Logo der Oper Graz. Nur die namensgebende Roxy (Madina Frey) ist in abendlichem rosa Satin gewandet – auf das Brautkleid wurde zum Glück verzichtet. Schnöde Mann-Frau-Stereotypen gibt es bei Roxy und ihr Wunderteam aber ohnehin keine. Bei Paul Abraham wird die Standard-Romantik gerne zugunsten von sehr viel Tumult auf der Bühne hinten angestellt.

Kritik: Roxy und ihr Wunderteam, Oper Graz

Jörn-Felix Alt, Corina Koller. (Fotocredit: Marija Kanizaj)

Fußballfieber und smarte Schlager

Martin Ehrenreich führt als Moderator durch das Stück, von dem die wichtigsten Hits und Lieder gespielt werden. Er etabliert die Figuren, überbrückt die Handlung und spart auch nicht mit an- und aufregenden Kommentaren. Roxy und ihr Wunderteam erzählt die Geschichte rund um die Runaway-Bride Roxy Cheswick, die auf der Flucht vor ihrer Geldheirat plötzlich in den Räumlichkeiten des österreichischen Fußball-Wunderteams auftaucht und ein Versteck sucht. Daraus ergibt sich eine Liebelei mit Gjurka Karoly (Ivan Oreščanin) und eine neue, unkonventionelle Trainingsmethode der Mannschaft. Mit viel Alkohol, Tanz und romantischen Entspannungen, unterstützt von ungarischen Sportstudentinnen unter der Führung von Aranka von Tötössy (Anna Brull), sorgen die Sportler:innen für elastische Muskeln und mentale Fitness. Bis sich die Paare finden und das wichtige Retourspiel der österreichischen Mannschaft gegen England gewonnen wird, werden eingängige, jazzige Operettenschlager zum Besten gegeben, die mit klugen Texten und charmanten Wortspielen bestechen. Kleine Seitenhiebe auf die zunehmend spießig werdende Gesellschaft der späten Zwischenkriegszeit sind in dem Lied Handarbeit zu vernehmen, in dem es heißt: Das junge Mädchen aus gutem Haus, das geht am Abend nicht täglich aus (...) Sie sitzt zuhause hübsch beim Kamin, strickt eine Weste und denkt an “ihn”. Die Kritik funktioniert auch als aktuelle Zeitkritik am zunehmenden Trend der Einigelung und dem Rückzug aus öffentlichen Räumen. Fußballfans sind da anders – sie gehen raus, legen Wert auf Gruppenerlebnis und bringen die Platzleidenschaft auch in die rot ausgekleideten Opernräumlichkeiten mit.

Kritik: Roxy und ihr Wunderteam, Oper Graz

(Fotocredit: Marija Kanizaj)

Spitzensportler auf der Bühne

Nonchalant und mit viel Leidenschaft, wie sich das für die Fußball-Operette gehört, performen Musiker:innen und Sänger:innen das Stück, das die Fußballbegeisterung der anwesenden Sturm-Graz-Fans als Extra-Energie mit hineinwebt. Madina Frey (Sopran), die vom Musical kommt, gibt die Roxy als freches, selbstbewusstes und kontrolliert-kokettes Post-Flapper-Girl. Ivan Oreščanin (Bariton) besticht mit stimmlicher Totalanwesenheit und serviert nonchalante Komik durch sein herrlich verwirrtes Auftreten. Jörn-Felix Alt als Torwart Jani Hatschek verkörpert den Spitzensportler ebenfalls aufrichtig und authentisch. Er sieht zwar nicht so aus, als ob er im Fußballdress auf die Welt gekommen wäre – den Leistungssportler nimmt man ihm aufgrund von Leidenschaft, Fokus und Präzision dennoch zu hundert Prozent ab. Corina Koller (Sopran) hat mit der Ilka Pirnitzer in dieser Inszenierung nicht viel Entwicklungsspielraum; ihre Rolle ist auf das „Ungar-Mädel“ reduziert. Das macht aber nichts. Von den funkelnden Augen bis zu den Zehen in rosaroten Converse-Schuhen vermittelt ganzheitlich alles an ihr Lust und Spaß am Singen, Blödeln und Spielen.

Kritik: Roxy und ihr Wunderteam, Oper Graz

Kai Tietja, Martin Ehrenreich. (Fotocredit: Marija Kanizaj)

Oper mit Benefits

Paul Abraham schrieb in den 30er-Jahren Kassenschlager und feierte unter anderem in Berlin Erfolge. Die Idee, Sport mit einer Operette zu verbinden, sorgte damals für Begeisterung und volle Häuser. Das österreichische Nationalteam galt in den 30er-Jahren tatsächlich als gefeiertes Wunderteam. Umso schöner schließt sich der Kreis mit der Kooperation mit dem Verein Sturm Graz, der im letzten Jahr doppelter Meister wurde. Im New Yorker Exil konnte Abraham künstlerisch nicht mehr Fuß fassen und verstarb von Armut und Krankheit gezeichnet, verarmt und fast vergessen. Mehr als 80 Jahre nach dem Entstehen wurde seine jazzige Sport-Operette wiederentdeckt und aufgeführt. Mehr zu seinem Wirken und Werdegang gibt es im enorm ansprechend und informativ gestalteten Programmheft zu Paul Abraham und seinen Zeitgenoss:innen zu erfahren. Die unglaublich lust- und liebevolle Inszenierung, die das Zielpublikum der Grazer Oper um einiges erweitert, beweist, dass die Oper Graz kein elitärer Elfenbeinturm, sondern ein Haus für alle ist. Bitte mehr davon!