Düsteres Protokoll einer Valium-Sucht
Kritik: Psychopax 0.1 im Theater im Keller
Text: Robert Goessl - 07.04.2024
Rubrik: Theater
Das Stück von Lilly Jäckl nimmt sich eines mittlerweile verdrängten Themas der 70-er und 80-er Jahre an: Frauen, die von Ihren Ehemännern und der Gesellschaft in die Rolle der perfekten Hausfrau gedrängt wurden, und die um jeden Preis trotz aller Verzweiflung lächeln mussten, wurde von Hausärzten einfach Valium verschrieben, damit sie in jeder Situation weiter perfekt funktionierten. Dabei wurde stillschweigend akzeptiert, dass dieses Medikament hochgradig abhängig macht, der Entzug sehr schwierig ist und sie letztendlich einen hohen Preis dafür zu bezahlten hatten.
Credit: KUMA
Eine erträumte Welt als Ausbruchsversuch
Es ist dunkel und karg in der Welt von Anna, einer Welt voller Versatzstücke, symbolisiert durch schwarze Kreidetafeln, beschriftet mit leeren Weisheiten und beliebigen Dummheiten aller Art. Bruchstücke, Provokantes, Parolen, Nachdenkliches. Eine Welt der Gedanken, fernab dessen, was man als Wirklichkeit wahrnimmt.
Anna, intensiv gespielt von Ute Olschnegger, hat sich von der Realität verabschiedet, und allein der Griff zur Medikamentendose bestimmt ihr Leben in einer farblosen und statischen Umgebung, in der sie eine Traumwelt flüchtet und sich den Liebhaber Miklos (Alexander Lainer) erträumt.
Auf der Suche nach Antworten auf noch ungestellte Fragen
Es kommt eine Sprache aus ihr heraus, die nicht von dieser Welt ist. „Tollwütig vor Mittelmäßigkeit“ werden die Worte poetisch mit Bedacht gewählt. Doch so blumig die Ausdrucksweise auch wirkt, sie endet immer wieder in der Leere und der Langsamkeit.
Sie verliert sich immer mehr in ihrer Welt, nimmt auch kaum mehr ihre pubertierende Tochter (Emilie Haidacher - mit erfrischender Talentprobe) wahr und begegnet ihr mit zunehmender emotionaler Kälte.
„Meine Tochter folgt mir wie ein Hund“ , berichtet sie in ihren Tagträumen ihrem imaginären Liebhaber. Sie gibt der ratlosen Tochter nur den Auftrag, jedem, den sie trifft, Fragen zu stellen und nicht ohne Antworten zurückzukommen.
Credit: KUMA
Die Welt so kalt - der Traum so warm
Anna schlendert weiter ziellos durch die Stadt, oder liegt sie doch nur im Bett, und alles, was da vorgeht, spielt sich ausschließlich in ihrem Kopf ab?
„Es ist egal, wie lang der Weg ist…“
Immer wieder werden die großen Tafeln auf der Bühne verrückt, doch ändert sich nicht wirklich dabei etwas, die Umgebung bleibt austauschbar, es bleibt bedrückend. Passanten kreuzen ihren Weg, doch auch diese rennen nur an ihr und einander vorbei in dieser Welt fast ohne Gefühle bis auf den ersehnten Liebhaber im Traum.
Auch der lieblose und unnahbare Ehemann (Walther Nagler), der von sich meint: „Von mir kann man alles haben“, taucht immer wieder kurz auf, mal besorgt um die Tochter, mal einfach nur besoffen, frustriert und auf Sex aus.
Credit: KUMA
Antworten, die am Ende keine sind, aber Fragen, die bleiben
Auch wenn am Ende die Tochter mit Antworten zurückkommt, und zwar Antworten einer Patientin, die auf Valium-Entzug ist, kann sie diese ihrer Mutter nur mehr teilnahmslos mitteilen, um ihr zum Schluss dann auch noch zu sagen, dass sie sie als Mutter für sich aufgegeben hat.
Und selbst als Anna in ihren Träumen mit ihrem Liebhaber verbrennt, bleibt am Ende die Frage, ob sie den Mut findet, in ein Leben zurückzukehren und einen Entzug versucht.
Stilgerecht abstrakt wird diese Frage aber nur auf einer Laufschrift auf der Bühne gestellt.
Credit: KUMA
Eva Weutz inszeniert den Text von Lilliy Jäckl radikal schnörkellos, und bis auf Ute Olschnegger und ein wenig auch Emilie Haidacher kommt das beträchtliche Personal fast nur zu Kurzeinsätzen. Die Hauptdarstellerin trägt also fast zur Gänze den Text und begibt sich dabei glänzend selbstzerstörerisch in ihre Traumwelt.
Noch zu sehen bis 26.04. im Theater im Keller