Die persönliche Krise als Vorstellung im Raum der Zuschauer:innen
Kritik: My Sigrid Life, Working Life Balance Ltd
Text: Robert Goessl - 25.09.2025
Rubrik: Theater
In der Intimität des Kunst Klub Kräfners präsentieren Christina Lederhaas, ständig sichtbar und sich ausliefernd, und Johannes Schrettle, unsichtbar am anderen Ende, eine Performance, in der es um die Angst in der Öffentlichkeit geht. Es ist ein sich Ausprobieren zwischen peinlichem Empfinden und dem Versuch, diese zu teilen, sie aber auf keinen Fall zu verstecken. Das Publikum sitzt rund um die kleine Bewegungsfläche, innerhalb dieser Christina Lederhaas ihren Körper mit zwanghaften Bewegungen in Szene setzt. Durch diese Nähe wirkt die Performance fast interaktiv.
Es beginnt statisch. Christina Lederhass sitzt zwischen zwei Tischen und reibt unwillkürlich auf deren Platten mit beiden Händen. Dabei wird sie immer heftiger, sitzt dabei aber sonst still. Es ist, als würde sie vor dem Publikum eine Zwangsstörung ausleben. Dieses Spiel mit den Zuschauern und deren Wahrnehmung von etwas unangenehmen setzt sich fort, denn im Theater schaut man hin, im echten Leben ist man es gewohnt wegzuschauen, obwohl man hinschauen möchte. Dabei stellt sich die Frage, ob die Akteurin das Zuschauen als unangenehm empfindet oder ihre Ängste mit dem Publikum teilen möchte. Ihre Blicke vermitteln dabei eher Angst und Unsicherheit. Sie steht auf und bewegt sich in den Raum. Die unwillkürlichen, sich wiederholenden Begegnungen setzten sich fort in den Taschen ihres Kleides, das Zittern wird heftiger und dehnt sich auf ihren ganzen Körper aus, wobei sie aber auch immer wieder ein wenig die Nähe zum Publikum sucht. Sind ihre Blicke doch nicht von Furcht geprägt, sondern nur Hilfe suchend?

Fotocredit: Georgi Sarkezi
„Sie merken, jetzt beginnt die Krise in der Vorstellung und davon hängt ihre Rolle ab.“
Gleich ihr erster Satz fordert das Publikum in seiner Mehrdeutigkeit aus: Geht es um die Vorstellung auf der Bühne oder die der Zuschauer: innen im Kopf? Und welche Rolle spielt das Publikum bei dieser Vorstellung oder in seiner eigenen? Eine humorvolle Auflösung mit fiktiver Klopapierrolle löst das ganze kurz auf, womit sich aber Christina Lederhass der Peinlichkeit aussetzt. Es kommt auch zu einem Handy-Gespräch, bei dem sie nur alltägliche Antworten auf Fragen gibt, die von den Zuschauern nur erahnt werden können. Ebenso zum Spiel mit den Zuschauer: innen gehört, sich danach zu sehnen, ein Eichhörnchen zu sein, die Blicke des Publikums suchend, und ihm mit dem Begriff „Schwanz“ falsche Bilder zu suggerieren. Aber man könne da dann ja an süße Tiere beim Spielen denken, um diese Bilder wieder loszuwerden. Wobei der Sehnsucht ein Tier zu werden, einen Menschen auch vor der Angst und den Verpflichtungen in der Öffentlichkeit befreit, um einfach zu leben.

Fotocredit: Georgi Sarkezi
Zur bewegenden Skulptur werdend und am Boden liegend den Kontakt zum Publikum suchen
Christina Lederhass baut sich zur Skulptur mit ihrem Kleid auf, darunter trägt sie eine Art Wrestling-Anzug mit Augensymbolen - es wird also zurückgeschaut. Auch scheint sie eine Art Traum zu haben, der sich um Pferde dreht und darum, eine Sigrid enttäuscht zu haben. Dabei sucht sie mehr und mehr die Blicke des Publikums. Und sie wird auch auf dem Boden liegend mutiger, dem anderen Ende am Handy nur ständig „Ich liege hier nur so rum am Boden“ immer gleich antwortend. Sie beginnt auf dem Boden kriechend, einzelne Zuschauer: innen vorsichtig zu berühren, bemüht um Kontaktaufnahme, als würde sie auf diese Art ein Gespräch mit ihnen suchen, dabei aber fast immer unter ihrem Kleid versteckt.

Fotocredit: Georgi Sarkezi
Ein Spiel mit sich selbst und dem Publikum
Am Ende scheint ein Irrtum zu stehen im Gespräch mit einem aufgenommenen Selbst, es treten die Ebenen hervor und aus dem Spiel heraus. Doch davor werden noch einzige Runden mit der Straßenbahn gefahren, um in einem Handygespräch auf laut alles über das Leben einer mitteilsamen Sigrid zu erfahren. Wird da das Leben von jemand anderen ins eigene Leben gelassen oder es sogar ins eigene Leben übernommen? Ist das der Irrtum, bei dem es im Selbst geht? Sich an einer Geschichte eines anderen Menschen festzuhalten, ohne genau zu wissen, wie sein Leben tatsächlich abläuft? Und wie kommt man nun am Ende mit sich selbst zu einem Ende oder mit sich selbst klar? Man kann im Gespräch mit sich selbst ja mal mögliche einfache oder auch spektakuläre Enden andenken oder sich als Irrtum von der Gemeinschaft entfernen – ganz einfach. Und ohne Angst und Unsicherheit.

Fotocredit: Georgi Sarkezi
Jeder wird zum Teil der Geschichte
In dieser höchst intensiven und auch intimen Performance werden die einzelnen Zuschauer: innen Teil der Geschichte. Sie werden von einem mit sich experimentierenden Ich mit dieser Geschichte konfrontiert, welches in der (scheinbaren) Öffentlichkeit zwischen der Furcht, die eigenen Ängste zu teilen, und der Sehnsucht, diese gemeinsam zu überwinden. Und sie werden von einem Körper, der die Unsicherheiten dieses Ichs in sich aufbauenden Bewegungen umsetzt, in die Geschichte hineingezogen. Es ist ein gemeinsames Ankommen mit einem flüchtigen irrtümlichen Ende, das sowohl wie eine Auflösung wie als auch wie eine Erlösung wirkt.

Fotocredit: Georgi Sarkezi
„My Sigrid Life“ von Working Life Balance Ltd im Kunst Klub Käftner, Reitschulgasse 13, Graz
Darstellung, Konzept, Regie: Christina Lederhaas und Johannes Schrettle
Kostüm & Grafik: Yuliia Makarenko
Licht & Raum: Christina Bergner
Termine:
25.09. (Do), 21.11. (Fr) jeweils 19:00 im Kunst Klub Kräftner
18.10. (Sa) 21:00 (Im Anschluss an die Vorstellung im Schauspielhaus) in der Konsole im Schauspielhaus Graz – im Rahmen von Radio Unfertig – Eintritt frei
Reservierung und Info:
workinglifebalanceltd@gmail.com oder 0681 84 69 91 55

Fotocredit: Georgi Sarkezi