Ich, Krise, Identität, Musil

Kritik: Mit dem großen Löffel (Musil), klagenfurter ensemble

Text: Robert Goessl - 03.12.2024

Rubrik: Theater

Credit Günther Jagoutz

Das klagenfurter ensemble war im Rahmen der Theater@allianz mit diesem von Effe U Knust geschriebenen und anlässlich des 144. Geburtstags von Robert Musil aufgeführten Stücks im Theater am Lend zu Gast.

Die Welt ist ein Tatort, sowohl des Schreibens als auch des Lebens. Und gleich zu Anfang wird die zweifelnde Frage in diesen Raum gestellt: „Taugt Musil als Muse?“ Da möchte uns die Autorin wohl gleich auf eine falsche Fährte locken. Denn die folgenden fast zwei Stunden Tour de Force unter der Regie von Anja M. Wohlfahrt funktionieren zu gut auf der Bühne.

Figuren mit und ohne Eigenschaften

Drei Akteur:innen arbeiten sich an Musil mit und ohne Eigenschaften ab, streifen durch ihre Gedanken und aneinander. Robin (Klemens Dellacher), alias Robert Musil und Batmans Gefährte, schockverliebt und sensibel, Ulrich (Clara Diemling), entsprungen aus dem Mann ohne Eigenschaften, und Alpha (Anna Morawetz), die Autorin. Nur folgerichtig hat sie sich selbst auch dem Text übergeben, denn den berühmten Wälzer hat kaum jemand zu Ende gelesen, nachdem der Autor es nicht einmal geschafft hat, den zweiten Teil zu Ende zu schreiben. Doch wirken alle Figuren zugleich wie die Beobachter ihrer selbst, als würden sie sich selbst soufflieren, wissend, dass sie nur die Idee einer Autorin sind. In Rot gekleidet, mit Rock und angedeuteten Bubikopf bilden sie eine optische Einheit, mal im Chor, aber hauptsächlich mit dem Text für sich.

Credit Günther Jagoutz

Eine rote geordnete Welt mit Musik

Auf der Bühne (Ausstattung und Bühne: Andrea Meschik, Licht: Kathrin Eingang) befindet sich rechts ein Klavier mit zeitweisem Eigenleben, in der Mitte stehen große Abbilder der Akteur*innen im Hintergrund, verschiebbar, den Raum nach Bedarf einengend oder erweiternd, oder auch einfach da, um sich dahinter kurz zu verstecken. Im Vordergrund liegen wohlgeordnet die Requisiten zur freien Entnahme wie auf einem Schreibtisch aufgereiht und werden auch immer brav zurückgelegt. Die Musiker dürfen links Platz nehmen und sind auffallend unkostümiert. Grilli Pollheimer an Keyboard, Schlagzeug und Textbuch, quasi auch als Souffleuse, auf die aber sowieso keiner hört, und Patrick Dunst an Blech-, Holzblasinstrumenten und Klavier greifen immer wieder auch in das Geschehen ein und spielen kreativ arrangierte Musik von Peter Alexander über Muse bis zu – absolut unvermeidlich in diesen Zeiten – Taylor Swift.

Credit Günther Jagoutz

Schreiben und Leben – was ist das?

Krise ist auch jetzt. Sei es als Schreibblockade, als Sinnkrise oder, ganz gehoben, als Identitätskrise. Jeder der drei spielt gleichförmig anders zwischen Burn-out, Prokrastination und Schockliebe im kleinsten aller Universen, dem Ich. Der Text wirkt fast wie ein Tribut an die Verzettelung als Parallelaktion zwischen der jetzigen Welt und der des Robert Musil, dem „Vivisekteur“ und „Generalsekretär für Genauigkeit und Seele“, auf der Suche nach den eigenen Eigenschaften oder auch nur nach dem nächsten Satz, als wäre das Schreiben ein Sinnbild jeglicher Zustandsbeschreibung: „ … Worte zu finden, heißt gebraucht werden … “

Credit Günther Jagoutz

Die Untersuchung der Tatorte

Als „Reaktionskünstler“ und Detektive kramen die Darsteller:innen in sich und dem Zustand Welt, machen sich Gedanken quer über den Wörthersee, mal tief getaucht, mal darüber schwebend, schlemmen dort im Liegestuhl in der heißen „Augustbewusstlosigkeit“ das Eis mit dem großen Löffel, ebenso wie sie versuchen ihre Gefühle wahrzunehmen und dabei dem Wissen zu entfliehen. In diesem widersprüchlichen Musil-Universum werden Antworten zwischen den Tatorten Leben und Kunst gesucht, sogar so manche Fragen werden gestellt und verbleiben unbeantwortet im Raum. Und als emotionale Hilfe für die ganz großen Gefühle gibt es Musik zuhauf.

Credit Günther Jagoutz

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