Die Macht der Sprache und das Schönreden von Katastrophen
Kritik: Mining Storys, Silke Huysmans & Hannes Dereere bei Digithalia
Text: Robert Goessl - 24.03.2025
Rubrik: Theater
Die Inszenierung nähert sich einer der verheerendsten Umweltkatastrophen auf sprachlicher Ebene: Interviewaussagen werden fragmentiert, neu montiert und in ihrer Essenz verdichtet – eine Suche nach dem, was zwischen den Worten bleibt.
Im November 2015 bricht ein Damm, der giftige Bergbauabfälle enthält, nur wenige Kilometer von Silke Huysmans Heimatstadt im Süden Brasiliens entfernt, in sich zusammen. Eine verheerende Schlammflut zerstört mehrere Dörfer unterhalb des Damms und erreicht schließlich den Atlantischen Ozean. Die ökologischen Auswirkungen und die Umweltverschmutzung zählen bis heute zu den verheerendsten, die je verzeichnet wurden.

Credit Hugo Cordeiro
Auf der Suche nach Worten
Silke Huysmans, mittlerweile in Belgien lebend, kehrte in ihre ursprüngliche Heimat zurück, um mit den Menschen vor Ort über die persönlichen Folgen der Katastrophe zu sprechen. Anschließend befragte sie in Belgien Expert:innen zum Unglück. Aus diesen Gesprächen wurden einzelne Sätze extrahiert, die die Grundlage für diese Performance bilden. Auf einer ansonsten fast leeren Bühne wird ein Textfragment per Pedaldruck aus dem Off abgespielt und gleichzeitig auf wechselnde Flächen projiziert. So entsteht der Text live – als eine Art sprachliche Komposition im Moment.

Credit Vasco Célio
Die Ohnmacht der Betroffenen
Durch das neue Aneinanderfügen von Worten und Sätzen aus unterschiedlichen Perspektiven – durch die scheinbar spontane Gegenüberstellung persönlicher Schicksale und sachlicher Analysen – wird die Macht der Sprache erfahrbar. Jede:r der Sprecher:innen erzählt die Geschichte der Katastrophe aus einer individuellen Sicht, hebt eigene Details hervor und setzt eigene Schwerpunkte. In der kompositorischen Überlagerung verschmelzen die Positionen, doch bleibt spürbar: Die Stimmen der unmittelbar Betroffenen treten hinter denen der Verursacher zurück. Auch wenn sich die Projektionsflächen für den Text immer wieder verschieben, bleibt der Diskurs dominiert von soziologischen, wirtschaftlichen und bergbautechnischen Perspektiven.

Credit Vasco Célio
Die klare Sicht der Dinge
Es zählen die Interessen des Konzerns, nicht jene der einfachen Arbeiter. Die Stimmen der Betroffenen fügen sich nicht ins System, erscheinen im Rückblick bedeutungslos. Schließlich muss es weitergehen – und am Ende bleiben nur die wenigen Kommentare, die ohne strategische Hintergedanken ehrlich wirken. Die Abhängigkeiten sind so groß, dass für Betroffene bestenfalls bedauernde Worte übrigbleiben, gefolgt von Hinweisen auf wirtschaftliche Notwendigkeiten. Es war eben nur ein Unfall, bei dem es leider ein paar Opfer gab – vermeidbar, gewiss, aber da der Konzern bereit ist, für die fahrlässig verursachten Schäden zu zahlen, kann rasch zur gewohnten Ordnung zurückgekehrt werden.

Credit Vasco Célio
Die Erzählung für die Nachwelt
In diesem Dokumentartheater bleibt zurück, was erzählt wurde – doch nicht alles hat dasselbe Gewicht. Persönliche Erinnerungen erscheinen bloß als nostalgische Fußnoten, und der Wert von Menschenleben lässt sich kaum in eine angemessene Sprache fassen. Währenddessen produziert die Marketingmaschine des Konzerns bereits die passenden Slogans und Narrative für die Nachwelt. Die Stimmen der Betroffenen finden darin keinen Platz – für das System sind sie letztlich unerheblich.

Credit William Vandervoort
Mining Storys von Silke Huysmans, Hannes Dereere
Performance: Silke Huysmans
Dramaturgische Beratung: Dries Douibi
Technische Unterstützung: Christoph Donse
Szenografie: Frédéric Aelterman, Luc Cools
Portugiesische Transkriptionen: Luanda Casella, Miguel Cipriano