Operette Noir als amüsante Krimiserie

Kritik: Mein Lieblingstier heißt Winter – Folge 2, Oper Graz

Text: Sigrun Karre - 06.12.2024

Rubrik: Musik
Raphaela Möst, Tino Hillebrand, Credit: Werner Kmetitsch

Raphaela Möst, Tino Hillebrand, Credit: Werner Kmetitsch

In diesem Jahr ist Teil zwei der fünfteiligen Serie von "Mein Lieblingstier heißt Winter" noch bis 15. Dezember in der Oper Graz zu sehen. Die Koproduktion mit der Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl – Salzkammergut "mixt" Bariton mit E-Gitarre, vertont ein Libretto von Ferdinand Schmalz als Wienerlied. Das erklärte Ziel, eine zeitgenössische Operette zu schaffen, erreicht man mit viel österreichischem Schmäh. Fortsetzung folgt im nächsten Jahr.

Im Rahmen der Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl – Salzkammergut 2024 wagte sich die Oper Graz an ein Experiment auf mehreren Ebenen heran. „Mein Lieblingstier heißt Winter“ heißt nicht nur der Titel des ersten Romans des bis dahin hauptsächlich als Dramatiker bekannt gewordenen Schriftstellers Ferdinand Schmalz, sondern auch die Musiktheater-Produktion, die aktuell am Haus und im Lehár Theater Bad Ischl zu sehen ist. Als Genre hat man sich die Operette ausgesucht. Bad Ischl, Krimivorlage und der Wortaberwitz des zeitgenössischen „Volksdramatikers“ Schmalz sind natürlich keine schwachen Argumente für diese Idee. Eigens für die Produktion hat der Autor seinen Bachmannpreis-Siegertext in ein Libretto umgeschrieben, das von Komponist Lukas Kranzelbinder vertont wurde. Als waghalsige Draufgabe wurde das Ganze als fünfteilige Fortsetzungsserie an mehreren Abenden entwickelt.

Raphaela Möst, Credit: Werner Kmetitsch

Bachmannpreis-Siegertext als Soap-Opera

Als Genre hat man sich die Operette ausgesucht. Bad Ischl, Krimivorlage und der Wortaberwitz des zeitgenössischen „Volksdramatikers“ Schmalz sind natürlich keine schwachen Argumente für diese Idee. Eigens für die Produktion hat der Autor seinen Bachmannpreis-Siegertext in ein Libretto umgeschrieben, das von Komponist Lukas Kranzelbinder vertont wurde. Als waghalsige Draufgabe wurde das Ganze als fünfteilige Fortsetzungsserie an mehreren Abenden entwickelt. Als „Quereinsteigerin“ in Folge 2 bekommt man leider keinen Abend-Zettel ausgehändigt, dafür aber den Inhalt von Folge 1 (schon auf YouTube verfügbar) in einer sehr charmanten Szene mit Stichwortschildern im Schnellablauf geschildert: Tiefkühlkost-Vertreter Franz Schlicht sucht nach einer verschwundenen Leiche. Rund um diese simple Haupthandlung entspinnen sich verschiedene Szenen zwischen unterschiedlichen Figuren. Ohne Vorwissen kommt man jedoch zeitweise in Entscheidungsnot, sich entweder auf die vordergründige Handlung oder die fulminante Doppelbödigkeit und den Sprachwitz der Schmalz’schen Kunstsprache zu konzentrieren. Das führt dazu, dass sich schlanke 45 Bühnen-Minuten als definitiv lohnend, aber auch recht fordernd erweisen.

Mathias Lodd, Credit: Werner Kmetitsch

Pistazieneis statt musikalischer Zuckerwatte

Zunächst beginnt es aber äußerst heiter mit einer musikalischen Selbstvorstellung von Dr. Scheurers Tochter Astrid (Raphaela Möst), die ein Jugendtrauma zum Traumjob Zahntechnikerin geführt hat. Wenig später trifft sie unten im Keller auf Franz Schlicht, bevor die beiden in der amüsantesten Szene des Abends oben am Dach einen Pistazieneis-See als Kollateralschaden ihrer chemischen Anziehung in Kauf nehmen. Raphaela Möst macht auch als japanischer Glücksbringer gute Figur, man darf sich über zen-buddhistisch angehauchtes Angeln ohne Haken amüsieren, die evolutionäre Illusion des Ichs entlarven und einem Lied über die Vermeidung des Lidschlussreflexes lauschen. Wie es sich für eine Operette gehört, wird auch einmal eine Art Quadrille vorgeführt, bevor man beim Monolog über Erdäpfel aus Amerika den Faden verliert. Ein Augenschmaus ist die Ausstattung (Ivan Bazak). Die Bühne wird von einem bespielten kleinen Kubus dominiert, der drehbar ist, allerdings – wie es sich für eine Studiobühne gehört – nur händisch, was die Darsteller:innen selbst erledigen. Das Innenleben variiert, herrlich rottig ist etwa die Wohnung von Dr. Scheurers abgedrifteten Freund Huber (Mathias Lodd) ausgestattet. Auch die Kostüme aus Hochglanzplastik, Klein- bis Großkariertem und einer Dominanz von morbiden Farbkombinationen zeugen von exquisiter Geschmacklosigkeit. Die Komik der „Text-Musik-Schere“ einer Schmalz-Arie macht Spaß, wie überhaupt die Ausflüge in diverse Genres musikalisch fantastisch sind. Schade nur, dass sich die Musik gefühlt etwas zurücknimmt und atmosphärisch ein wenig „akademisch“ verhalten wirkt. An manchen Stellen wünschte man sich mehr: Mehr von den wunderbaren Stimmen, mehr U statt E, denn etwas musikalischer „Schmalz“, Trash und Irrsinn würden Text und Genre gut stehen. Vielleicht gibt ja spätestens das Serien-Finale der Operette ihren Schlager zurück.

Tino Hillebrand, Mathias Lodd, Credit: Werner Kmetitsch

Mein Lieblingstier heißt Winter – Folge 2

Inszenierung: Alexander Charim
Bühne & Kostüme: Ivan Bazak
Licht: Daniel Weiss
Dramaturgie: Katharina Rückl
Franz Schlicht: Tino Hillebrand
Huber | Leiche: Mathias Lodd
Astrid Schauer | Die Katze vom Huber: Raphaela Möst
Tulp: Felix Heuser
Fabian | Tulps Assistent: Martin Fournier
Harald | Tulps Assistent: Klemens Lendl
Norbert | Tulps Assistent: Wolfgang Vincenz Wizlsperger
Klavier | Keyboard | Effekte: Benny Omerzell
E-Gitarre | E-Bass: Christian Neuschmid
Akustische Gitarre | Singende Säge | Gesang: David Müller
Violine | Gesang: Klemens Lendl
Baritonhorn | Gesang: Wolfgang Vincenz Wizlsperger

Tino Hillebrand, Mathias Lodd, Raphaela Möst, Credit: Werner Kmetitsch

Wolfgang Vincenz Wizlsperger, Klemens Lendl

Wolfgang Vincenz Wizlsperger, Klemens Lendl, Credit: Werner Kmetitsch

Folge 1 zum Nachsehen