Zivilisationsmüdigkeit in Zeiten der digitalen Wende bei NewsOffStyria
Kritik: Let’s play I am old and tired, TiB & Total Refusal
Text: Sigrun Karre - 16.09.2025
Mit „Let’s Play I’m Old and Tired“ schicken das Theater im Bahnhof und Total Refusal bei NewsOffStyria einen müden Helden in die Gamingwelt. Die Premiere fand am 11. September im Quartier Graz statt. Statt jugendlicher Power-Avatare stolpert hier ein erschöpftes Alter Ego durch digitale Landschaften. Reale Müdigkeit trifft auf die endlose Resilienz des Virtuellen – ein seltenes Ereignis: politisch, mit trockenem Witz und einer Tiefe, die das Spiel zum Ernstfall macht.
Die virtuelle Welt ist schwarz-weiß – zumindest, wenn es nach Jacob Banigans Bühnen-Alter Ego geht. Der „Bad Screen“ ist jener, vor dem er arbeitet. Der „Good Screen“ jener, an dem er in eine andere Realität flieht. Banigan spielt ein doppeltes Spiel: auf der Bühne als Performer und im Game als Avatar, der durch digitale Landschaften stolpert. Alles wirkt improvisiert, doch der Eindruck täuscht. Der TiB-Schauspieler mit kanadischen Wurzeln bringt die durch Jahrzehnte Improtheater geschulte Souveränität im Umgang mit Humor und Timing mit. Er weiß, Komik nicht zu erzwingen, sondern im richtigen Moment aufblitzen zu lassen. Diese Smartness trägt die "analoge" Performance mühelos. „If you enjoy waste the time, it’s not waste the time“, sagt Banigan einmal – halb Witz, halb Weisheit.

Lorenz Kabas (Fotocredit: Johannes Gellner)
Thoreau im Pixelwald
Sein Avatar ist eine Kreuzung aus Banigan selbst und TiB-Kollegen Lorenz Kabas. Kabas verleiht ihm die Stimme von Henry David Thoreau, jenem amerikanischen Schriftsteller-Außenseiter, der 1854 in Walden den Rückzug in die Natur als Lebensform skizzierte: eine „grüne Bibel“ des Aussteigens. Kabas rezitiert Thoreau mit starker Präsenz und verschiebt so die Gaming-Erzählung in eine philosophisch-ökologische Dimension. „The better I play, the sooner I die“, heißt es einmal. Ein Satz, der die Spielmechanik ebenso auf den Kopf stellt wie die Frage, was im Leben eigentlich ein Gewinn ist.

Mitte v.l: Susanna Flock, Robin Klengel (Fotocredit: Johannes Gellner)
Zeit, Kapital und Unsterblichkeit
Unterbrochen wird dieses Walden-Videospiel-Theater von einer kurzen Lecture, die es in sich hat: Susanna Flock und Robin Klengel nehmen die Bühne ein. „Zeit ist die Hauptressource des Kapitalismus“, heißt es da. Wer hat Anspruch auf die Lebenszeit des Menschen? – Klengel stellt die richtigen Fragen. Flock erzählt vom Anschlag auf die „Master Clock“. Und Klengel landet den präzisesten Satz des Abends: „Wir sind Relikte einer Zeit, die vielleicht schon vorbei ist.“ Auch der Transhumanismus wird angetippt – das Unsterblichkeitsstreben der Superreichen, erkauft mit der Lebenszeit der Arbeitenden. Damit schlägt die Lecture die Brücke von Thoreaus Walden ins Heute.
Auch handwerklich sitzt alles: Kabas singt und spielt Gitarre. Robin Klengel, Susanna Flock und Moke Klengel steuern Kameraperspektiven und digitale „Requisiten“, während Johanna Hierzegger live cuttet. Es bleibt die Ungewissheit des Spiels – ein Risiko, das hier zur Stärke wird. Und das Besondere: es funktioniert. Für alle. Wer keine Ahnung von Gaming hat, wird ebenso abgeholt wie jene, die sonst nicht ins Theater gehen. Ein Abend, der intellektuell fordernd ist und zugleich durchgehend leicht zugänglich bleibt.

(Fotocredit: Johannes Gellner)
Sternstunde der freien Szene
Am Ende kulminiert die Produktion in einem jener seltenen Theatermomente, die Sprachlosigkeit und Gänsehaut erzeugen. Bei aller ironischen Brechung entsteht ein Augenblick, in dem man nicht genau sagen kann, was passiert – nur, dass es passiert. Hier ist die Großschreibung angebracht: Das ist KUNST. Und ja, dafür darf man etwas Pathos riskieren: Diese Produktion ist eine Sternstunde,insbesondere auch auch dank der präzisen Regie von Monika Klengel, für die dieses Projekt auch ein künstlerisches Familien-Teamwork war. Die Produktion zeigt, auf welch hohem Niveau in Graz – jenseits der großen Häuser – gearbeitet wird. Die freie Szene erweist sich einmal mehr als Nährboden für künstlerischen Austausch, hier auch als Kollaboration der Generationen. Dieses Projekt könnte international bestehen, nicht nur im deutschsprachigen Raum: Hier wird man nicht belehrt, sondern verstanden – nicht beschwichtigt, sondern betroffen gemacht, weil man sich in diesem Dilemma der schwebenden Gegenwart erkannt fühlt. Dass das TiB 2025 den Österreichischen Kunstpreis erhalten hat, scheint nach dieser Vorstellung mehr als gerechtfertigt. Und Total Refusal bestätigt sich als eine der spannendsten künstlerischen Positionen, die diese Stadt derzeit hervorbringt.
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v.l.n.r: M. Klengel, R. Klengel, S. Flock, J. Banigan, J. Hierzegger, L. Kabas