Lorraine Hansberry auf Deutsch beim steirischen herbst
Kritik: Les Blancs, Schauspielhaus Graz
Text: Sigrun Karre - 22.09.2025
Deutschsprachige Erstaufführung am 19. September im Partnerprogramm des steirischen herbst'25: Zum Saisonstart zeigt das Schauspielhaus Graz Lorraine Hansberrys Les Blancs – ein Abend, der afrikanische Perspektiven mit psychologischer Präzision und Vielschichtigkeit verbindet.
Lorraine Hansberrys Leben (1930–1965) war kurz, ihr Weg als Dramatikerin alles andere als gewöhnlich: Als erste Schwarze Frau brachte sie ein Stück an den Broadway. Ihr letztes – und nach eigener Einschätzung wichtigstes – Werk Les Blancs kam dort 1970 posthum zur Uraufführung.
Mit der deutschsprachigen Erstaufführung in Graz hat Intendantin Andrea Vilter nun einen Coup gelandet. Das 60 Jahre alte Stück spielt in einer Missionsstation in einem fiktiven afrikanischen Land am Vorabend der Unabhängigkeit und verhandelt die Fragen von Kolonialismus, Befreiungskampf und kultureller Identität. Anpassung oder Widerstand, Gewalt oder Gewaltlosigkeit, Zugehörigkeit oder Entfremdung – Hansberry zwingt ihre Figuren, die Widersprüche bis ins Letzte auszuhalten.

Ensemble mit Musiker Seydou Traoré (c)Lex Karelly
Rhythmus und Raum
Intendantin Andrea Vilter hatte Kanonerweiterung versprochen um verdrängte Stimmen hörbar zu machen und eröffnet die Saison nun mit einem Stück, das im deutschsprachigen Raum lange übersehen wurde. Ein Auftakt mit Nachhall – ganz wörtlich, denn die afrikanischen Trommeln von Seydou Traoré sind nicht bloß atmosphärische Beigabe, sondern Herzschlag der Inszenierung, die Körper, Stimmen und Raum in Bewegung hält. „Die Welt konsumiert ihren Zynismus dieser Tage in hohen Dosen“, heißt es gleich zu Beginn und der Abend nimmt diesen Ton beim Wort. Die Bühne von Mirjam Pleines ist eine nach hinten steil ansteigende Fläche in erdigem Wüstenrot, bestückt mit ein paar funktionalen Sitzmöbel – ein klares Bild, das durch seine Krümmung sofort an die Erdoberfläche denken lässt. Mehr braucht es nicht. Wo das Bühnenbild abstrakt bleibt, entstehen die Räume durch das Spiel der Darsteller:innen.
Das Ensemble bleibt durchgehend präsent, wer im Spiel ist, tritt nach vorne, die anderen verharren als stumme Zeug:innen im Hintergrund oder formieren sich dann und wann zu Gruppenperformances. Diese Anordnung fordert vom Kollektiv ständige Bühnenpräsenz und volle Aufmerksamkeit. MoMo Matsunyane inszeniert ohne dekoratives Beiwerk, dafür mit organischer Körperlichkeit und einem durchgehenden Gespür für Rhythmus und Raum. Afrikanische Livemusik und die Choreografie von Lulu Mlangeni – sie verkörpert zugleich als speertragende Woman den Kontinent selbst – durchbrechen die Textlastigkeit des Abends, fügen Energie hinzu, wo die Dialoge Gefahr laufen, in ihrer Wucht zu ermüden.
.jpg)
Bless Amada, Dominik Puhl mit Ensemble (c)Lex Karelly
Zwischen Anpassung und Aufbegehren
Hansberrys Dialoge (in einer Neuübersetzung von Mirjam Pleines) sind brillant, stellenweise schonungslos, oft auch schwer. Das Geschehen spannt sich über lange Bögen, wirkt streckenweise langatmig, doch verdichtet sich zu einer Dringlichkeit, die keine Distanz mehr zulässt. „Sie dachten, weil ich ein Schwarzer Mann bin, hätte ich Antworten, die tiefsinnig und rein sind. – habe ich nicht!“, sagt Tshembe Matoseh. Ein ironisch-lapidarer Satz, der das Bedürfnis nach einfachen Wahrheiten ins Leere laufen lässt. Dass diese Worte so eindringlich wirken, liegt nicht zuletzt an der Darstellung: Allen voran Bless Amada als Tshembe, dem nach Europa ausgewandertem Heimkehrer. Zunächst distanziert, fast spröde, wächst er im Verlauf des Abends in eine Rolle hinein, die er mit Intensität und emotionaler Tiefe verkörpert. Nach der Pause steigert er sein Spiel noch einmal und lässt kaum unbeteiligt. Amada verbindet eindrucksvoll emotionale Offenheit mit einer Ausstrahlung, die den Abend trägt.
Seine Brüder sind ihm starke Gegenspieler: Leonhard Burkhardt als Abioseh, der sich in den Schoß der katholischen Kirche flüchtet, überzeugt mit einer irritierenden Mischung aus Würde und Opportunismus. Hervorstechend Otiti Engelhardt als jüngster Bruder Eric, Sohn einer afrikanischen Mutter und eines europäischen Vaters. Sie legt in dieser Rolle eine einnehmende saloppe Lebhaftigkeit an den Tag, die die innere Zerrissenheit dieser Figur umso eindringlicher macht. Souverän gibt Olivia Grigolli als Missionarsfrau die sanfte, erblindete Lehrerin, die in einem entscheidenden Moment unerwartet zum Widerstand ruft, ein Bruch, der ihre Rolle mit Wucht auflädt. Dominik Puhl gestaltet den amerikanischen Journalisten Charlie trotz Retro-Styling sehr zeitgenössisch als intellektuell wendigen, aber naiven „Westler“, dessen Versöhnungssehnsucht immer wieder an der Realität scheitert.
Tim Breyvogel als Major Rice verkörpert koloniale Selbstherrlichkeit mit bitterem Nachgeschmack: Er spricht von „unseren Hügeln“ – ein Satz, der wehtut, zumal im Laufe des Abends eine düstere Familiengeschichte enthüllt wird. Das ärztliche Personal der Mission zeigt die Ambivalenz weißer Helferfiguren: Marielle Layher als junge Ärztin, die noch unbedarft von „Rassen“ spricht, Željko Marović als routinierter Arzt, der längst an der Sinnhaftigkeit seiner Arbeit zweifelt. Jean-Philippe Adabra überzeugt in einer Doppelbewegung aus unterwürfiger Geste und aufbrechender Gewalt – der Diener, der längst mehr ist als das. Lulu Mlangeni kommt eine Hauptrolle zu: Ihr beeindruckender Tanz, mal traditionell, mal zeitgenössisch, mischt den Abend auf, macht ihn unvorhersehbar und auf kraftvolle Weise lebendig. In manchen Momenten hat er etwas Beschwörendes, fast Ritualhaftes, als würde die Bühne selbst zu einem Ort kollektiver Erinnerung.

Ensemble (c)Lex Karelly
Psychologische Genauigkeit statt einfacher Gegensätze
Das Ereignis des Abends bleibt Hansberrys Text: Er ist kein pädagogisches Schwarz-Weiß-Stück zum Abhaken, sondern ein Drama, das die Härte der Konflikte nicht scheut. Das Setting der Missionsstation mag anno 2025 etwas museal wirken, doch die präzise gezeichneten inneren und äußeren Dilemmata kratzen jede historische Patina ab. Darin liegt ein zusätzlicher Gewinn dieses Abends: Les Blancs, verfasst von einer Autorin, die sich offen in Bürgerrechts- und Befreiungsbewegungen engagierte, verweist über Kolonialismus, Rassismus und das – definitiv geglückte – Ansinnen der Kanonerweiterung sogar noch hinaus.
Trotz seines dezidiert politischen Ursprungs entfaltet das Stück eine psychologische Genauigkeit, die sichtbar macht, wie komplex und verwoben (diese) Konflikte für alle Beteiligten sind. Figuren, die auf den ersten Blick exemplarisch wirken könnten, erscheinen zugleich vielschichtig und widersprüchlich. Das ist wohltuend in einer Gegenwart, in der Zwischentöne – im gesellschaftlichen Diskurs ebenso wie auf den Bühnen – oft geglättet werden und Ambivalenz allzu schnell verloren geht. In Graz zeigt sich: Hansberrys Les Blancs bleibt unbequem – und gerade dadurch brennend aktuell.