Weltstars zu Gast in Graz bei ‘Passacalle de la Follie’
Kritik: L'Arpeggiata und Christina Pluhar, Musikverein Graz
Text: Martin Exner - 02.10.2024
Rubrik: Musik
„Passacalle de la Follie“ heißt das Programm, das das Ensemble L’Arpeggiata mit nach Graz brachte – mit frühbarocker Kammermusik aus der Wende zum 17. Jahrhundert, die Air de Cour, zeitgenössische französische Liebeslyrik in luftigem musikalischem Gewand, ins Zentrum stellend, aber auch den Blick über die Grenzen nach Italien und England wagend.
Da konnte man Musik von Komponisten genießen, die man hierzulande nur in Spezialistenkreisen kennt, die aber in ihrer Zeit herausragende Vertreter dieser Musik waren: Antoine Boësset, Michel Lambert und Pierre Guédron etwa, aber auch italienische Kollegen wie Luigi Rossi und natürlich Claudio Monteverdi.
Christina Pluhar, Lautenistin, Harfenistin, Ensembleleiterin Arrangeurin und Spezialistin für Alte Musik, ist Grazerin, die ihre Ausbildung in Den Haag, Basel und Paris erhalten hat und von dort eine imposante Weltkarriere startete. Jahrzehntelang wurde sie in Ihrer Heimatstadt ignoriert, bis der Musikverein für Steiermark vor wenigen Jahren auf die gute Idee kam, sie einzuladen. Diesen Dienstag stand sie wieder auf der Bühne des Stefaniensaals. Vom Publikum schon zu Beginn mit Ovationen empfangen wurde, hat sie zu dieser Musik – wie man es von ihr kennt – außergewöhnliche Arrangements geschaffen, die nicht immer den strengen Vorgaben der Alten-Musik-Bewegung entsprechen, aber immer im Sinne der Aufführungspraxis der Zeit sind und in denen die Nähe zur Improvisation allgegenwärtig ist. Und L’Arpeggiata interpretiert das auf einzigartig aufregende und delikate Weise: Die herausragenden Musikerinnen und Musiker – vom inspirierten Dani Espasa am Cembalo über die virtuose Geigerin Kinga Ujszaszi bis hin zum famosen Doron Sherwin mit seinem Zink – geben den Melodien eine herrliche Leichtigkeit und Luftigkeit, beherrschen aber, wenn notwendig, auch die Attacke, ohne dass eine den anderen ins Aus spielt. Die Airs kommen duftig und zart, die Ciacconne mit Drive, und bei Monteverdis „Ohimé ch’io cado“ biegt man Richtung Jazz ab – kollektives rhythmisches Fußwippen im Publikum inklusive.
Christina Pluhar. (Credit: https://arpeggiata.com/)
Philippe Jaroussky: Stimmkunst und Spielfreude
Aber was wären Liebeslieder ohne die vokale Interpretation: Pluhar hatte einen Sänger mitgebracht, mit dem sie bereits etliche – vielfach international ausgezeichnete – Projekte realisierte: den französischen Countertenor Philippe Jaroussky. Der 46-Jährige ist in seinem Metier ein Phänomen, er befindet sich seit mehr als zwei Jahrzehnten auf der Höhe seiner Kunst. Abgesehen davon, dass er in diesem Programm eine Tour de Force zu bewältigen hat und dies meisterhaft tut, die pausenlosen 90 Minuten hindurch auf der Bühne steht und permanent im gesanglichen Einsatz ist – seine Stimme überzeugt noch immer durch enorme Reinheit, Klarheit und spricht in allen dynamischen Schattierungen und Höhen perfekt an. Zu Jarousskys punktgenauen Gestaltung der Lieder in verschiedensten Stimmungen – von traurig bis euphorisch – kommt auch noch eine für ein Konzertprogramm außergewöhnliche Spielfreudigkeit, die dem zahlreichen Publikum sichtlich Freude bereitete.
Nach drei aufregenden Zugaben – darunter der vielbeklatsche Latino-Hit „Bésame mucho“ auf Barock getrimmt – gab es Jubel, stehende Ovationen und viel Dankbarkeit (auch an den Veranstalter), solche Qualität auch wieder einmal in Graz zu haben.