Hohes Niveau in der Grazer Oper

Kritik: Katja Kabanova von Leoš Janáček | Oper Graz

Text: Martin Exner - 20.03.2023

Rubrik: Musik

Credits: Werner Kmetitsch

Nach langer Zeit steht Leoš Janáčeks Oper „Katja Kabanova“ wieder auf dem Spielplan – szenisch großteils gelungen und hervorragend musiziert.

Leoš Janáčeks dreiaktige Oper „Katja Kabanova“ ist erstmals seit langer Zeit wieder auf der Bühne der Grazer Oper zu sehen. Das Stück nach Alexander Nikolajewitsch Ostrowskis Drama „Das Gewitter“ behandelt Themen wie gesellschaftliche Zwänge, Generationenkonflikt und Naturgewalten. Regisseurin Anika Rutkofsky, die mit ihrem Team im Jahr 2021 den Grazer Ring-Award gewonnen hatte, verlegt das ursprünglich im 19. Jahrhundert angesiedelte Stück in die Zeit nach dem Zerfall der Sowjetunion und erhält damit eine von ihr geschickt bediente weitere Spannungsebne, jene der großen gesellschaftlichen Unsicherheiten nach politischen Umbrüchen. So hebt sich das private Schicksal der Katja, die, vom Ehemann vernachlässigt, Ehebruch begeht und diesen dann auch öffentlich macht, deutlicher von den gesellschaftlichen Spannungen und Konflikten unter den Generationen ab und macht es umso berührender. Die Bühne, praktikabel von Eleni Konstantatou entworfen, stellt eine – in St. Petersburg tatsächlich existierende – Schwimmbadkirche dar, eine Kirche also, die in Zeiten des Kommunismus zum Schwimmbad umfunktioniert, und nach der Wende notdürftig wieder zu einer Kirche rückgebaut wurde. Hubert Schwaiger nutzt die Möglichkeiten, den Raum stimmungsvoll (und in der Gewitterszene bedrohlich) auszuleuchten. Regisseurin Rutkofsky, die die Kirche nicht nur als Zufluchtsort, sondern auch als Zentrum der Macht sieht, wertet den Raum durch zahlreiche szenische Details noch auf, der Chor der Oper Graz (von Bernhard Schneider einstudiert, wie immer präzise und wohltönend) bekommt darstellerische Zusatzaufgaben, vor deren Hintergrund Rutkofsky das Schicksal der Katja wunderbar abhebt, ohne beide Welten zu trennen. Einzig der Vergleich der Protagonistin mit einer Nymphe, den die Regisseurin in ihrem Konzept betont, kommt in der Inszenierung zu kurz – sie ist dennoch stimmig, ebenso wie der Schluss, in dem, anders als im Original, Katja nicht durch Selbstmord stirbt.

Credits: Werner Kmetitsch

Musiziert wird in dieser Produktion auf sehr hohem Niveau. Dass Dirigent Roland Kluttig nach Eigendefinition ein Janáček-Fan ist, bemerkte man nicht nur bei den einführenden Veranstaltungen zu dieser Produktion, sondern man hört es auch von den ersten, fast aus dem Nichts auftauchenden zarten Tönen der Introduktion bis zu den bedrohlichen Klängen des Finales. Seine Grazer Philharmoniker meistern die – auch in vielen Solostellen – komplexe Partitur nicht nur bravourös, sondern auch klangschön und bisweilen klangmächtig, wobei es Kluttig gelingt, dass die Sängerinnen und Sänger stets gut hörbar bleiben. Und das ist auch gut so! Das Ensemble ist stimmcharakterlich gut ausgesucht und harmonisch zusammengestellt. Iris Vermillion gelingt es, die Kabanicha ohne – wie leider oft zu hören – Keifen, aber dennoch gesanglich intensiv auf die Bühne zu bringen, darstellerisch lotet sie die Möglichkeiten zwischen bedrohlich und würdevoll aus. Wilfried Zelinka als Dikoj – hier als Patriarch angelegt – zeigt wieder einmal, dass er auch gesanglich eine Stütze des Grazer Ensembles ist. Marjukka Tepponen, die diese Saison in Graz schon als Cho Cho San in Puccinis „Madama Butterfly“ überzeugen konnte, hat die passende, auch ausdauernde Stimme, mit der ihr die Wechsel zwischen den lyrischen Passagen und den musikalischen Ausbrüchen (bis auf ganz wenige Schärfen in Spitzentönen) eindrucksvoll gelingen, ihr Spiel ist einnehmend. Die Riege der vier eingesetzten Tenöre wird vom Kudrjasch des Mario Lerchenberger dominiert, der sein ausgewogenes wie auch klangschönes Stimmmaterial ausladend verströmen lässt – bei ihm steht zu befürchten, dass man ihn nicht mehr lange am Grazer Haus wird halten können. Matthias Koziorowski ist ein stimmlich starker, über seine Zerrissenheit zwischen Ehefrau und Mutter zunehmend verzweifelter Tichon, Arnold Rutkowski ein (in lyrischen Passagen manchmal zu) präsenter Liebhaber Boris. Martin Fournier als Kuligin steht dem restlichen, nicht einfache Aufgaben bewältigenden Ensemble der Grazer Oper voran. Das – oder die – beste kommt hier am Schluss. Mareike Jankowskis Varvara ist eine stimmliche Wohltat, ihre Bühnenpräsenz außerordentlich und ihr Spiel eindringlich, womit sie der Protagonistin Katja ein ebenbürtiges Gegenüber gibt. Eine sehens- und vor allem hörenswerte Aufführung in der Grazer Oper also, deren Besuch sich auch der Befürchtung wegen lohnt, dass die „Katja“ nach der Aufführungsserie (Vorstellungen bis zum 14. Mai) wieder für längere Zeit in der Versenkung verschwinden wird. Tickets online buchen

Credits: Werner Kmetitsch