Kritik: Jammeregg III – Die Auflösung, Vitamins Of Society

Viel hat sich seit dem letzten Jahr in Jammeregg verändert – nicht immer schien es dabei mit rechten Dingen, aber mit rechten Dingen der anderen Art zuzugehen. Es herrscht keine übernatürliche Macht mehr, sondern eine allzu natürliche und „normale“

Nachdem im ersten Teil Johannes Schrettle einen Durchgang ins bequeme und luxuriöse Paradies aus dem schmutzigen Diesseits erfunden hat, den man nur gegen entsprechend hohes Entgelt betreten konnte, sah dieser Durchgang auf den ersten Blick wie die hinterlassene Spur eines Serienmörders aus.
Im zweiten Teil ist der aufgeklärte und ehemals ermittelnde Polizeibeamte Horst Rodriguez (Harry Lampl) inzwischen Besitzer der Tankstelle in Jammeregg im Diesseits – und trägt alle finanziellen Probleme. Er verwandelt die einfache Tankstelle in eine Wellnessoase, gewährt einer vermeintlichen Biker-Gang Unterschlupf und verliebt sich schließlich sogar. Der dritte Teil zeigt ihn im Dorf als schönsten und begehrenswertesten Mann, der auf den ersten Blick keinen besonderen Ehrgeiz mehr hat.

Auch sonst ist es ruhig geworden in Jammeregg. Man pflegt die Tradition und trägt Tracht. Robert (Roli Wesp), Mastermind der Band, hat dazu noch eine steirische Harmonika im Arm – und spielt sie auch. Sein Bandkollege Paul Thaddäus Trinkwitz (Dani Kern), zuständig für Schlagwerk und Klarinette, fügt sich ebenso unauffällig in die Normalität ein. Wir sind im Wirtshaus „Zur Guten Laune“, geführt von Berghild Weiß (Anna Katharina Malli): resolut, alt, ein wenig verrückt und noch immer auf ihren verstorbenen Mann wartend. Billiger Alkohol aus dem Maßkrug und saure Wurst mit viel Kernöl gelten hier als Lösung für alles – und über allem liegt die Harmonie. Das Ehepaar Heinz Weiß (Patrick Isopp), einflussreicher Vereinskaiser und ehemaliger Bürgermeister, und seine Frau Lissi Schwarz-Weiß (Sissi Noé) trinken sich gemeinsam mit ihrem Freund Horst Rodriguez (Harry Lampl) möglichst konfliktfrei einen an. Zwischen Lissi und Horst scheint die Freundschaft allerdings etwas tiefer zu gehen – was ihrem Mann jedoch nicht auffällt. Oder sieht er es und schaut nur darüber hinweg, um die Harmonie zu wahren?

Als die Weltreisende Wanda Lederhaas (Damaris Dumitru) mit ihrem auf der Reise kennengelernten Freund Jimi Michi Schuhmann eintrifft, begrüßt die Wirtin die beiden mit einem Gewehr im Anschlag. Kommt etwas von außen, gilt es eben als gefährlich. Nichts ist hier so, wie es scheint. Alle fühlen sich beobachtet. Man hat das Gefühl, es wird gespielt – doch man fügt sich und passt sich an. Trotzdem sitzen sie bald am Stammtisch. Jimi, nicht gerade gesprächig und mit perfektem Talent zur Anpassung, wird sogar in die Band aufgenommen – trotz seiner Gitarre. Wanda findet das Ganze merkwürdig. Ihre Fragen, was sich in der Welt in den letzten fünf Jahren verändert hat, bleiben unbeantwortet. Über Politik spricht man hier nicht. Es herrschen Heimat, Tradition, Beschaulichkeit und Idylle – so, wie es immer war.

Doch Konflikte brechen auf. Die ständige Aufrechterhaltung der Harmonie erschöpft die Menschen – besonders, wenn jemand seinen Einfluss und seine Macht gefährdet sieht. Es wird gefesselt, und die Volksmusik mischt sich mit rockigen Einflüssen und Störgeräuschen. Die vierte Wand fällt, als Lissi Schwarz-Weiß ihre Rolle verlässt und zur Schauspielerin Sissi Noé (Sissi Noé) wird – und droht, das Spiel zu beenden. Was kann Kunst noch verändern? Sollte sie nicht deutlicher werden, statt nur anzuspielen? Doch sie wird ausgeschaltet. Der Kleinbürgerkrieg geht weiter, jeder zeigt nun sein wahres Gesicht. Über allem schwebt der Name „König“, dem scheinbar alles gehört und der seine Stellvertreter wie Puppen tanzen lässt. Braucht man die Menschen in der Heimat überhaupt noch zum Machterhalt? Kann die Heimat nicht einfach nur für sich selbst stehen – als schlichtes Idyll mit einfachen Menschen?
Als Paula Probst (Brigitta Lampl) als Stellvertreterin des Königs auftaucht, bekommt das verschmutzte Wasser von Jammeregg eine neue Bedeutung. Die Auflösung steht im Raum – doch Ensemble und Band halten lautstark dagegen.