Erinnerung als unzuverlässiger Erzähler
Kritik: Im Rückspiegel, Planetenparty Prinzip & Schauspielhaus Graz
Text: Sigrun Karre - 04.05.2025
Mit 'Im Rückspiegel' ist Regisseurin Miriam Schmid und ihrem Team ein liebevoll-verschmitztes Gedankenspiel über das Erinnern gelungen. Uraufgeführt wurde das gemeinsame Stück des Performance-Kollektivs Das Planetenparty Prinzip mit dem Schauspielhaus-Ensemble am 2. Mai im Schauraum des Schauspielhaus Graz.
Erinnerung ist keine Dokumentation. Sie ist Laune, Lücke, Konstruktion — das macht der Theaterabend von der ersten Minute an deutlich. Die Koproduktion des Schauspielhaus Graz und des Performance-Kollektivs Das Planetenparty Prinzip — unter der Regie von Miriam Schmid und in der Dramaturgie von Emily Richards — thematisiert nicht die Amokfahrt von Graz selbst, sondern nutzt sie — eine kluge Entscheidung — lediglich als fernes Echo. Ein Impuls, um grundsätzlicheren Fragen nachzugehen: Wie erinnern wir? Und was geschieht, wenn das Vertraute ins Rutschen gerät?
Als Ausgangspunkt dient ein absurd-verspieltes Szenario: Die Grazer Erzherzog-Johann-Statue ist verschwunden, der Hauptplatz leer. Geschichte gelöscht? Nein — nur verschoben. Es geht nicht um die Statue selbst, sondern um das, was ihre Abwesenheit auslöst: Lücken, Leerstellen, das Verschwimmen von Spuren. Dieses Spiel mit dem Ungefähren zieht sich konsequent durch den gesamten Abend. Dabei wird die Bühne zum offenen Denkraum, in dem Erinnerungen eher angedeutet als fixiert werden.

Nora Winkler in musikalischer Aktion, Fotocredit: Lex Karelly
Zwischen Konstruktion und Komik
Neun Jahre nach dem Vorfall treffen sich Marielle Layher, Moritz Ostanek, Anna Rausch und Nora Winkler wieder, um die Ereignisse jener Nacht zu rekonstruieren — doch ihre Erinnerungen widersprechen sich.
Waren es linke Aktivisten? Ein exzentrischer Milliardär? Und sang Nora damals eigene Songs oder Coverversionen in einer Bar, deren Name längst vergessen ist und in der angeblich noch geraucht wurde? Auch das Publikum bleibt angenehm verunsichert. Beiläufig blitzen Bezüge zur näheren Vergangenheit auf — das Demokratie-Experiment einer Millionenerbin, der Pelicot-Prozess. Keine bloßen Querverweise, sondern eingebettet in die Frage: Wer schreibt Geschichte — und wer wird erinnert?
Gleichzeitig wird die männlich dominierte Heldenlandschaft der Stadt Graz mit leichter Hand infrage gestellt. „Man war immer unten und plötzlich steht man oben“, heißt es einmal. Genau darum geht es: um Perspektiven, um Sichtbarkeit. Ironie und Leichtfüßigkeit bewahren den Abend dabei vor jeder Schwere.

Fotocredit: Lex Karelly
Schlicht, stimmig & herrlich schräg
Die Ausstattung (Leonie Bramberger) bleibt bewusst reduziert — umso stärker treten die wenigen humorvollen Effekte hervor — sie zielen auf maximale Wirkung. Im Rückspiegel lebt von der feingliedrigen Inszenierung, dem angenehm leichten Spiel der vier Darsteller:innen und der Musikkomposition, die Nora Winkler gemeinsam mit Robert Lepenik beisteuert. Mal eigenwillig, mal an Bekanntes anschließend, lässt sie Anklänge an Coverversionen aufblitzen — und entzieht sich doch immer wieder einer klaren Zuordnung. So kommentiert und verbindet sie das Geschehen auf subtile Weise. Vieles bleibt in anregender Schwebe zwischen Ironie und sanfter Irritation: „Österreich isst Brei“ — ein Zitat von Michi Ostrowski aus Nacktschnecken oder doch von Ernst Jandl?
Wo Planetenparty Prinzip „draufsteht“, darf ein Hauch Irrsinn und Performance-Aktion nicht fehlen: Marielle Layher bringt ihr stets kraftvolles Spiel diesmal körperbetont auf die Bühne, Moritz Ostanek setzt seiner großen Liebe ein luftig-lustiges Denkmal — und kassiert einen Korb. „Nur weil man es mehr wahrnimmt, heißt es nicht, dass es öfter passiert“, erläutert Anna Rausch das Phänomen selektiver Wahrnehmung und verwandelt sich wenig später in die vielleicht taubendamenhafteste Taube, die je im Theater zu sehen war.
Nichts wirkt an diesem Abend draufgesetzt, nichts auf Wirkung gebürstet. Die Performer:innen hantieren mit Assoziationen wie mit weichen Stofftieren: verspielt, aber nie beliebig. Gerade der Humor verleiht dem Stück eine eigentümliche Poesie und hebt es über das Spielerische hinaus. So entsteht ein kluger, fluffiger Theaterabend mit beiläufiger Tiefe — und eine feinsinnige Allianz von Schauspielhaus Graz und dem Performance-Kollektiv Planetenparty Prinzip, die restlos überzeugt.