Ein Schreibtischtäter im Mittelalter

Kritik: Herr Heinrich, Theater Kaendace

Text: Robert Goessl - 19.09.2024

Rubrik: Theater

Credit Michael Traussnigg

Klara Rabl hat sich mit "Herr Heinrich" ein Bühnenporträt über den Hexenjäger Heinrich Kramer vorgenommen. Uraufgeführt wurde es in Oberzeiring beim Werkstattfestival 2024 an einem historisch stimmigen Schauplatz.

Das Stück von Klara Rabl behandelt das Leben und Wirken von Heinrich Kramer und hatte im Rahmen des Werkstatt-Festivals in Oberzeiring an einem für das Werk perfekten Ort, der Kapelle des Schlosses Hanfelden, Premiere. In einer ähnlichen Klause haust der Dominikanerermönch, der sich Zeit seines Lebens durch besonderen Frauenhass auszeichnete und sich dazu berufen fühlte, den weiblichen "Hang zum Bösen" zu verfolgen, was 1485 in Innsbruck zu einem der ersten Hexenprozesse in Österreich führte. Heinrich Kramer wurde allerdings selbst der Kirche zu radikal. Nach Aberkennung seiner Legitimität wurde er letztendlich aus der Stadt vertrieben. Seine Gedankenwelt offenbarte der "Mastermind des Hexenwahns" auch im berühmt-berüchtigten Buch "Der Hexenhammer", in dem er detailliert beschreibt, wie man vermeintliche Hexen erkennt und bekämpft. Alexander Mitterer führt in diesem Stück Regie und übernimmt auch die Rolle des Heinrich Kramer. Die Sopranistin Elisabeth de Roo gibt seinen Widerpart sowohl gesanglich als auch als Chronistin und Richterin.

Credit Michael Traussnigg

Ein alter Mann schwelgt in Erinnerungen

Am Ende seines Lebens angekommen und im Rollstuhl sitzend, versteht Heinrich die Welt nicht mehr. Allein in seiner Kammer, seinen Gedanken verhaftet, verbringt er seine letzten Stunden. Umso größer ist sein Bedürfnis, diese und damit auch seine Taten zu erklären, als er Besuch von einer Frau bekommt, die er mit erstaunlichem Respekt behandelt. Doch irgendwie wird auch seine Angst vor ihr ein wenig sichtbar - er hält Abstand, er scheint es nicht mehr gewohnt zu sein, dass jemand aus der Welt zu ihm kommt. Aber das tut seiner Überzeugung keinen Abbruch, im alleinigen Besitz der Wahrheit zu sein. Und so lässt er uns tief in seine Seele blicken.

Credit Michael Traussnigg

Das Gute und das Böse

Er ist fest davon überzeugt, dass er durch sein Handeln das Böse in der Welt bekämpft hat und damit dem einzig wahren Glauben im Moloch Innsbruck und damit auch den Menschen dort geholfen zu haben. Die schaurige Gedankenwelt, die er dabei offenbart, zeigt, dass der einzig wahre Glaube in seinem Sinn doch nur sein eigener ist und er allein die Macht besitzt, Gnade walten zu lassen, wobei er Gnade als Schwäche sieht. Einwürfe der Frau wischt er zur Seite, obwohl ihm ihre Lieder gefallen. Doch sie ist und bleibt eben eine Frau: "Das Gute und das Böse. Vernunft und Wahnsinn, Tag und Nacht, Leben und Tod, Ordnung und Unordnung, Mann und Weib, es sind zwei Seiten. Sie haben den freien Willen zu entscheiden. Dazwischen gibt es nichts."

Credit Michael Traussnigg

"Urteilen ist eine Kunst, die muss man sich erarbeiten"

Die Härte, die er nur scheinbar auch gegenüber sich selbst zeigt, sein unerschütterlicher Glaube, allein zu wissen, was Gut und Böse ist, und wer vor Gott Gnade finden darf, gipfelt darin, dass er davon überzeugt ist, nicht nur die Welt durch das Ermorden von vermeidlichen Hexen besser zu machen, sondern auch diese selbst dadurch zu befreien. Da wird auch der unbedingte Wunsch spürbar, nicht nur zu urteilen, sondern vor allem zu richten. Dieser verleiht ihm ein Gefühl von Macht in den Verhören und dabei auch zu genießen, dass ihm die Opfer vollkommen ausgeliefert sind - verbunden mit dem Stolz, sein Mitgefühl seinen Opfern gegenüber unterdrücken zu können.

Credit Michael Traussnigg

"Doch ein wenig auch dem eigenen Wohle zugetan"

Der dunkle Geist zwischen Antisemitismus und blanken Frauenhass, sein ungebrochener Stolz als Beichtvater alles schon gehört zu haben, lassen ihn sich selbst als Opfer fühlen, der sein Leben lang für die gute Sache eintrat, und von seinen Zeitgenossen ob seiner Bestimmung verkannt wurde. Wobei er schon lieber kein Wort darüber verlieren würde, dass der Businessplan "Hexenprozess" durchaus lukrativ sein kann, nachdem der Besitz des Opfers dem Richter zugutekommt. Doch angesichts der Wichtigkeit seiner Säuberungen hat er diesen Nebeneffekt für sich gefühlt auch verdient - doch darüber schweigt man(n) lieber und flüchtet sich in eine Welt, in der man(n) sich als auserwählt und berufen fühlen kann: "Ich habe sie aufgespürt und nach allen Registern meines Glaubenskataloges verurteilt. Ohne Gnade. Mein Lebenswerk. Man hat mich gerufen, wissen Sie? Man hat mich bestellt, um zu richten. Die Menschen waren in Sorge, die Menschen hatten Angst."

Credit Michael Traussnigg

Ein Kammerspiel mit den Facetten des alltäglichen Bösen

Alexander Mitterers zutiefst beeindruckendes und hochintensives Spiel schwankt zwischen der Normalität eines alten Mannes und dem dämonischen Ausdruck eines Massenmörders, wobei der Übergang fließend ist. Der sachliche Widerspruch der Frau, die sich auch ihren Stolz zu zeigen wagt, ändert nichts an seinen Überzeugungen, denn alles, was ihm nicht in seine Gedankenwelt passt, wird im Zweifelsfall ignoriert.  Die zeitweise Alltagstauglichkeit seiner Aussagen, die Trivialität mit der er sie tätigt, und damit Folter und jegliche andere Grausamkeiten nicht nur rechtfertigt, sondern als normal und notwendig erachtet, die Selbstverständlichkeit mit der er das Wort "Ausrottung" verwendet, lassen die Figur in ihrer Unmenschlichkeit nahbar erscheinen. Es zeigt sich ein Mensch, der seine eigene Unsicherheit vornehmlich auf zwei Gruppen projiziert: auf Frauen und Juden. Obwohl der dabei Gott sei Dank bei der damaligen Kirche gescheitert ist, weil er von ihr als zu radikal empfunden wurde, ist es ist nie zu spät, selbst dieses Scheitern des Versuchs, Menschen auszurotten, für sich selbst im Nachhinein zu verklären: "Es waren einmal dunkle Zeiten, aber dann hat die göttliche Ordnung die Dunkelheit wieder überstrahlt. Alles Weltliche kehrte an seinen gottgewollten Platz zurück und fand wieder zur Ruhe in der göttlichen Ordnung des ruhenden Zustands."
Vorstellungen im ARTist’s, Schützgasse 16, 8020 Graz: 25.09., 26.09., 28.09., 04.10., 05.10. jeweils um 20 Uhr Karten per Mail an karten@theaterkaendace.at oder Mobil: 0699 100 42281