Aschenputtel – que(e)rgebürstet

Kritik: Gioacchino Rossini:„La Cenerentola“, Oper Graz

Text: Martin Exner - 18.11.2024

Rubrik: Musik
Ekaterina Solunya

Ekaterina Solunya (Credit: Ekaterina Solunya)

Die Grazer Oper bringt Rossinis Meisteroper „La Cenerentola“ in einer Inszenierung, die vieles infrage stellt, aber auch Antworten schuldig bleibt. Die musikalische Umsetzung entschädigt für vieles.

Die Märchenwelt von Regisseurin Ilaria Lanzino und Ausstatterin Dorota Karolczak ist zuckerl-bunt und erinnert stark an Disney-World – auf der Bühne tummeln sich zahlreiche Traumprinzen und diverse Prinzessinnen, Meerjungfrauen, Schneewittchen, Rapunzel, Rotkäppchen, Wölfe und Frösche, das Standard-Märchenpersonal sozusagen. Für Lanzino steht Angelina (Cenerentola) also stellvertretend für die Frauen im Märchen, die sich in ihren Stereotypen ähneln und in ihren strengen Rollenbildern gefangen sind. Aschenputtel ist hier nicht das sich in die ihr zugedachte Rolle hinein fügende Mädchen, sondern eines, die dagegen rebelliert. Und sie findet im Prinzen Don Ramiro nicht ihren Traummann, sondern einen Verbündeten, der sich nicht in seine Rolle als heiratswilliger Suchender drängen lassen will – die Geschlechterzugehörigkeit wird hier auch hinterfragt, Conchita-Wurst-Momente inklusive. Der Vertraute des Prinzen, der Philosoph Alidoro, wird zum strengen Wächter der konservativen Märchenwelt umfunktioniert, seine Macht muss gebrochen werden, um diese Welt von ihren Rollenstereotypen zu befreien und ein selbstbestimmtes (Märchen)-Leben zu ermöglichen.
Wilfried Zelinka und der Herrenchor der Oper Graz

Wilfried Zelinka und der Herrenchor der Oper Graz. (Credit: Oper Graz/ Werner Kmetitsch)

Neue Ordnung in der Märchenwelt

Das alles klingt im Ansatz recht gut und spannend, und ist teilweise auch witzig umgesetzt, vor allem die Heerscharen an Prinzen und Prinzessinnen sind optisch und darstellerisch ein Hit und Don Ramiros Diener Dandini – hier einmal nicht in der vertauschten Rolle als Prinz, sondern als Froschkönig – fliegen die Herzen zu: Ivan Oreščanin singt ihn solide und spielt ihn bezaubernd. Doch leider ist die Umsetzung hier nicht so gelungen, wie die Idee innovativ ist: In der finalen Lösung steht die alte Märchenwelt am Scheiterhaufen, Strippenzieher Alidoro wird ermordet (um dem finalen Ensemble hämisch drohend aus dem Publikum beizuwohnen), das – und einiges anderes – steht ziemlich entgegen der fein gewobenen und ausgewogenen Musik des Meisters Rossini. Zudem musste zuweilen in den Text eingegriffen und auch bei den deutschen Übertiteln getrickst werden, um sich das Stück zurechtzubiegen. Ob diese neue Ordnung in der Märchenwelt denn auch die bessere ist, kann diese Inszenierung nicht klären.
Anna Brull und Daeho Kim

Anna Brull und Daeho Kim. (Credit: Oper Graz / WErner Kmetitsch)

Musikalische Meisterleistung

Die musikalische Umsetzung indes ist wunderbar: Dirigent Marius Burkert hat die heiklen Ensembles im Griff, wählt schwungvolle, aber nicht extreme Tempi und vermeidet mit den (sehr hoch im Orchestergraben sitzenden) Grazer Philharmonikern ausufernde Knalligkeit, was den Stimmen sehr zugutekommt. Und dafür kann das Publikum auch dankbar sein, denn es wird hinreißend gesungen: Anna Brull gibt die rebellische, manchmal etwas störrische Angelina dennoch mit weichem, runden Mezzo und präzisen Koloraturen. Ihr zur Seite steht mit Tenor Pablo Martínez ein idealer Don Ramiro, dessen schlanker, schöner, höhensicherer Tenor sich mit großer Textverständlichkeit paart. Wilfried Zelinka kann als permanent eingerauchter und betrunkener Don Magnifico nicht nur mit seinem wundervollen Bass, sondern auch mit komödiantischem Talent punkten, sein Töchterpaar Sofia Vinnik als Tisbe und Ekaterina Solunya als Clorinda sind aus dem Ensemble und ideal besetzt. Daeho Kim beeindruckt als Alidoro mit feiner, perfekt geführter Bassstimme und darstellerischer Präsenz. Ein großer Erfolg also für das Sänger:innen-Ensemble der Grazer Oper, Rossinis meisterhafte Musik und deren Realisierung lohnt ein Besuch dieser Produktion allemal.
Pablo Martinéz und eine Prinzessin

Pablo Martinéz und eine Prinzessin. (Credit: Oper Graz/ Werner Kmetitsch)

La Cenerentola (Aschenputtel)

Dramma giocoso in zwei Akten (1817) Libretto von Jacopo Ferretti In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln Uraufführung am 25. Jänner 1817 in Rom, Teatro della Valle Besetzung Marius Burkert Musikalische Leitung Ulises Maino Nachdirigat Ilaria Lanzino Inszenierung Dorota Karolczak Bühne & Kostüme Hubert Schwaiger Licht Philipp Fleischer Video Christin Hagemann Dramaturgie Johannes Köhler Chor Pablo Martínez Don Ramiro Ivan Oreščanin Dandini Wilfried Zelinka Don Magnifico Sofia Vinnik Tisbe Ekaterina Solunya Clorinda Anna Brull Angelina Daeho Kim Alidoro

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Anna Brull

Anna Brull (Credit: Oper Graz/ Werner Kmetitsch)