„Er trug im Dunklen leuchtende Schuhe“

Kritik: Etwas Kommt Mir Bekannt Vor, Konsole

Text: Robert Goessl - 24.09.2025

Rubrik: Theater
Etwas Kommt Mir Bekannt Vor in der Konsole

Fotocredit: Lex Karelly

Regisseurin Franziska Stuhr bringt gemeinsam mit Hannah Albrecht vom Studiengang Sounddesign der FH JOANNEUM sowie der KUG Allex. Fassbergs Text als multimediales Hörstück in der Konsole des Grazer Schauspielhauses auf die Bühne.

Unter der technischen Gestaltung von F. Wiesel könnte die Szenerie nicht eindeutiger sein: Die Bühne ist leer, und nachdem man Platz genommen hat, wird es fast völlig dunkel. Nur auf der linken Seite vermitteln Fenster die Illusion einer Busfahrt mit einer vorbeiziehenden, undefinierbaren Nachtlandschaft. Vorne ist auf einer Laufschrift Textzitate sowie der Sitzplatz der anonymen Urheberin oder des anonymen Urhebers im Bus zu lesen.

Es sind die Gedanken und Gespräche der Mitfahrenden, die auch aus dem Off bei dieser fiktiven Nachtbusreise durch Europa zu hören sind. Nicht alle Sprachen versteht man, und auch nur kleine Auszüge erscheinen auf der Laufschrift. Dort werden zudem Postings auf WhatsApp und X gezeigt. Teile der Texte mitsamt QR-Codes zu Musik-Links, die der Stimmung der Sprecher:innen entsprechen, sind nach der Aufführung auf Tafeln nachzulesen. Eine bedrückende Atmosphäre liegt in der Luft, denn der Bus hat eine halbe Stunde Verspätung. Grund ist, dass an der österreichischen Grenze Polizist:innen den Bus betreten und nach einer Ausweiskontrolle zwei Personen hinausgeführt haben. Die Fahrt geht scheinbar ungerührt weiter, als wäre nichts geschehen.

Etwas Kommt Mir Bekannt Vor in der Konsole

Fotocredit: Lex Karelly

Das Gespenstische als Normalität

Die Mitfahrenden beschäftigen sich mit dem eben Erlebten und reagieren höchst unterschiedlich. Gemeinsam haben sie nur, dass niemand eingegriffen oder nachgefragt hat. Eine Frau fühlt sich schuldig und flüchtet in einen Traum, der sich um Unsicherheit, Freiheit und Grenzen dreht – und darum, dass alle Menschen ihre Identität und Herkunft frei wählen können. Ein serbischer Mann beschäftigt sich in seinen Gedanken mit seinem Hass auf Polizisten und ärgert sich über die Kontrolle, denkt aber nicht an die beiden, die den Bus verlassen mussten. Ein Kind fragt seinen Vater, was passiert ist. Da er es nicht schafft, seiner Tochter kindgerecht zu erklären, dass Menschen „illegal“ sein können, versucht er es verzweifelt mit einem Schlaflied. Ein anderer Mann wiederum bleibt an dem Bild hängen, dass einer der Abgeführten leuchtende Schuhe trug, und kann diesen Gedanken nicht mehr loslassen.
Etwas Kommt Mir Bekannt Vor in der Konsole

Fotocredit: Lex Karelly

Die Dunkelheit, das Recht und das Elend

Andere empfinden Genugtuung, Stolz oder schlicht Ärger über die Verspätung. Ein Mann, der wegen eines Führerscheinentzugs zur Busfahrt gezwungen wurde, ist überzeugt, dass Regeln eben Regeln sind – und dass Ausweise oder deren Fehlen gleichermaßen dazugehören. Nur so könne Ordnung und damit der Staat bestehen.


Auch nationalistische Postings von Mitreisenden erscheinen auf der Laufschrift, während ein anderer Mann in Hebräisch einen Liebesbrief formuliert und damit versucht, poetisch mit Dunkelheit und Stille seine Schuld zu verarbeiten, nichts gesagt zu haben:
„Verzeihung, meine Liebe, verzeih die Verwirrung, verzeih das Elend, das Ereignis heute Nacht hat mich sprachlos gemacht.“

Etwas Kommt Mir Bekannt Vor in der Konsole

Fotocredit: Lex Karelly

Die Sprachlosigkeit in der momentanen Privilegiertheit trotz vieler Gedanken

Darüber wird ein akustischer Fragebogen gespannt, der die eigene Privilegiertheit hinterfragt, sei es die Herkunft, das Geschlecht oder die sexuelle Orientierung, bei dem sich unweigerlich die Frage stellt, wo der eigene „Fehler“ liegen könnte, der Grund, warum man selbst abgeführt werden könnte. Es ist ein Spiel mit der Angst und Unsicherheit an diesem beeindruckenden emotionalen Abend. Die Splitter fügen sich zu einem Gesamtbild zwischen Genugtuung und Begeisterung auf der einen und Achselzucken und Betroffenheit auf der anderen Seite. Wie würde man selbst in dieser Situation reagieren? Hat man sich an das System schon so sehr angepasst, ist man schon so eingeschüchtert oder gleichgültig, dass man den Mund hält, solange man nicht selbst an der Reihe ist?
Etwas Kommt Mir Bekannt Vor in der Konsole

Fotocredit: Lex Karelly

„Etwas Kommt Mir Bekannt Vor“ von Allex. Fassberg in der Konsole des Grazer Schauspielhauses

Regie: Franziska Stuhr Sounddesign: Hannah Albrecht Technische Gestaltung: F. Wiesel Dramaturgie: Herbert Graf Stimmen: Justin Herlth, Anna Klimovitskaya, Thomas Krammer, Marielle Layher, Mario Lopatta, Greta Pauline Licht, Zeljko Marovic, Luiza Monteiro, Karola Niederhuber, Dominik Puhl, Luisa Schwab, Franz Solar, Anke Stedingk, Martha Gans
Etwas Kommt Mir Bekannt Vor in der Konsole

Fotocredit: Lex Karelly