Begräbnis im Club beim steirischen herbst‘25
Kritik: Erben, TiB und Planetenparty Prinzip
Text: Sigrun Karre - 10.10.2025
Rubrik: Theater
'Erben – Wer kriegt das Haus?' feierte am 9. Oktober 2025 in der Detroit-Halle Graz Premiere. Die Koproduktion von TiB und Planetenparty Prinzip im Rahmen des steirischen herbst inszeniert Erbschaft als Party zwischen Trauer, Glitzer und DJ-Beats. Eine Performance mit starken Momenten, die aber thematisch oft an der Oberfläche bleibt und im schwierigen Hallenraum nicht ganz zur Geltung kommt.
Die Detroit-Halle empfängt mit Techno-Beats frisch gemixt vom DJ-Pult (Jakob Kolb). Es riecht nach Club, nicht nach Theater, die Drinks sind griffbereit, die Stimmung eher Freitagabend als Trauergemeinschaft. Das passt ja auch zur Hauptnutzung der Location und genau das will die Inszenierung: das Begräbnis als Party, den Nachlass als ambivalente Feier inszenieren.
Der Theaterabend schleicht sich dosiert ein: Auf der Bühne tummeln sich vierzehn Darsteller:innen mehr oder weniger aktiv in einer Art Bewegt-Wimmelbild, es wird getanzt, an Chips geknabbert oder am Bier genippt. Der Dresscode ist Schwarz – ein erster Hinweis: Wir sind hier, weil jemand gestorben ist. Nur, dass man den Tod gleich mit Glitzer und Pailletten dekoriert. Das bleibt die sehr vage Rahmen-„Handlung“, die versucht, die Theaterperformance zusammenzuhalten, oder auch nur so tut.

Fotocredit: Johannes Gellner
Erben zwischen Klischee und Privatem
Die Figuren könnten fast als Archetypen des Erbens durchgehen und sind doch zugleich sehr persönlich. Nicht nur die Namen sind privat, sondern auch die Geschichten. Wieviel Realität in diesem Theaterabend tatsächlich steckt, bleibt Spekulation. Das Vernebeln der Grenzen zwischen Fiktion und Realität kennt man sowohl vom TiB als auch vom Planetenparty Prinzip.
Mo (Moritz Ostanek) gibt eine Art Zeremonienmeister der shakenden Trauer- und Erbgemeinschaft. Vici (Victoria Fuchs) ist das Sandwich-Kind, das sich übersehen fühlt – ihr gilt das extrasarkastische Bonmot des Abends: „Sie ist sehr passiv, wenn es ums Erben geht.“ David hält sich in Sachen Erben sicherheitshalber an Paragrafen fest: „Es ist immer gut, juristischen Rat einzuholen.“
Alex Benke (als Einziger aus nicht näher erklärten Gründen mit vollem Namen benannt) erbt mit der Kärntner Jäger-Familiengeschichte gleich eine umfangreiche Trophäensammlung. Eva (Eva Hofer), das entfremdete Bauernhofkind, ist Millionen-Erbin mit Anteilen an einer Kitzbüheler Immobilie – und mit einem schwarz auf weiß fixierten Schatten in der Familiengeschichte.
Lissi (Elisabeth Holzmeister) wiederum erbt ein mondänes Landhaus, das wegen schlechter Lage als Lager – und im emotionalen Zusammenbruch endet – Szenisch einer der Höhepunkte der fast zweistündigen Performance! Immer wieder gerät der Abend in die Wiederholungsschleife, ständig ist von Pias Trauerrede die Rede, deren lapidar-pathetisches Fazit lautet: „Du bist gestorben, ich bin schwimmen gegangen.“
Es gibt eine genervte Gastgeberin (Leonie Bramberger), den Trost der geordneten Dinge, das Festhalten an „proletarischen Wurzeln“ aus Imagegründen – und Eds (Ed. Hauswirth) Einsicht „Verunsicherung tut uns gut“. Das könnte fast als Zweitmotto des Abends gelten, der bewusst mit Brüchen hantiert, aber inhaltlich überraschend harmlos bleibt.

Fotocredit: Johannes Gellner
Viel Stoff, vorsichtig angerührt
Die Regie (Nora Köhler, Helmut Köpping) kennt die Macht der Gruppe. Körperlich und auch chorisch schöpfen die Performer:innen das Potenzial des Großensembles aus. Doch der Raum erweist sich nicht als ideal. Die stilisierte Stahlsilhouette (Bühne und Kostüm: Heike Barnard und Christina Helena Romirer) eines Hauses fügt sich zwar optisch gut ins Sichtbeton-Ambiente, akustisch jedoch ist die Halle herausfordernd. Hinzu kommt: Die lang gezogene Mittelbühne fördert Interaktion mit dem Publikum, mindert aber die Übersichtlichkeit. Wer gerade spricht, erschließt sich dank Mikrofon und Lautsprecher oft erst verspätet. Diese Irritation wird zwar offenbar in Kauf genommen, zerstreut aber Energie, anstatt sie zu bündeln.
Thematisch liegt hier Gold vergraben: Erben steht für all jene Tabus, über die man lieber schweigt – Familienkonflikte, ethische Fragen, soziale Ungerechtigkeit. Es geht um Scham, Gier, Neid, Angst, Trauer – und um die hochpolitische Frage, warum Reichtum in Österreich weiterhin vererbt, aber nicht besteuert wird. Der Abend tippt diese Felder an, doch er bohrt nicht nach. Radikalität bleibt aus, emotionale Tiefe oft auch. Darstellerisch machen alle ihre Sache überzeugend, spannend ist zudem, wie hier zwei Generationen von Theatermenschen aufeinandertreffen und zu einem Ganzen verschmelzen.
Stark, aber kurz: wenn in „Reih und Glied“ Alters- und Erbscham aufscheinen. Besondere Momente: Lissis Zusammenbruch, Evas Klarheit, der „Marlene-Engelhorn-Moment“ in Pias Trauerrede. Zwar verliert sich die Inszenierung immer wieder im reizvollen „Singsang“ der Wiederholungen, die wie komponiert wirken, dramaturgisch aber irgendwann auf der Stelle treten.
Am Ende weiß man immerhin, wie Erbe klingt – je nach Höhe des Betrags. Nur dass es eben wenig Unterschied macht, wenn die Inszenierung sich weigert, den Finger tiefer in die Wunde zu legen. Das Ende mündet noch einmal in einem Bruch ohne erkennbaren Mehrwert, so verpufft das Finale - vokal und piano wäre mehr gewesen. Ein Abend, der mit Spielfreude, Energie und einigen starken Bildern im Gedächtnis bleibt.

Fotocredit: Johannes Gellner
ERBEN – Wer kriegt das Haus? Team
Regie: Nora Köhler und Helmut Köpping
Ensemble: Alexander Benke, Leonie Bramberger, Juliette Eröd, Victoria Fux, Ed. Hauswirth, Pia Hierzegger, Gabriela Hiti, Eva Hofer, Elisabeth Holzmeister, Moritz Ostanek, Miriam Schmid, David Valentek, Nora Winkler und Martina Zinner
Bühne und Kostüm: Heike Barnard und Christina Helena Romirer
Musik: Jakob Kolb
Licht: Martin Schneebacher
Tontechnik: Tom Grassegger
Regieassistenz: Marlen Weingartmann
Produktion: Monika Klengel
Produktionsleitung: Sarah Mueller

Fotocredit: Johannes Gellner