Zwischen Exotik, Tradition und Vereinnahmung
Kritik: Ein Volksliederabend in Addis Abeba, Felix Hafner und Ensemble
Text: Robert Goessl - 14.10.2024
Rubrik: Theater
Es wird die Geschichte einer Gruppe von Grazer Studenten erzählt, die 1925 eine Reise nach Abessinien machten. Da ihren aufgrund der kolonial-bürokratischen Verhältnisse die finanziellen Mittel ausgingen, organisierten sie mithilfe des österreichischen Konsuls einen Volksliederabend in Addis Abeba, um damit Geld für die Heimreise zu sammeln.
Der Space01 des Grazer Kunsthauses verwandelt sich in die schwedische Mission in Addis Abeba. Es wird Bier, Wein und Schnaps gereicht und das Ensemble versammelt sich um einen Kernölbrunnen, während das Publikum langsam Platz nimmt. Das angenehmerweise nicht unbedingt ursteirische Ensemble mit deutschen und türkischen Einflüssen (Tim Habe, Mareike Kremsner, Juliane Linner, Clemens Nussgraber, Roswitha Ranz, und Ipek Yüksek) begibt sich danach auf eine im Großformat rot-weiß-karierte Bühne mit Hackbrett (Raum und Kostüme: Georg Klüver-Pfandtner, Musikalische Leitung: Helene Griesslehner) und beginnt etwas unbeholfen mit der Show.
Sich und seine Volkskultur exotisch vor internationalem Publikum, das seinerzeit fast nur aus Europäern bestand, zu präsentieren, ist eben nicht so einfach. Und kann sich schon einmal etwas seltsam anfühlen. Schon die Trachten, die sie dabei tragen, haben etwas willkürlich Unpassendes an sich. Man stellt aus der Not heraus etwas dar, das man nicht ist.
Credit Wolf Silveri
A Gaudi muas sein!
Aber nichtsdestotrotz beginnt die Gaudi mit einer lustigen Darbietung von „Die Hammerschmidgselln“, doch muss sich das Ensemble danach sammeln und zugeben, dass aus den Quellen fast nicht in Erfahrung zu bringen ist, welche anderen Lieder dargeboten wurden. Und so fällt man aus der Rolle und wird voller Zweifel zu den Performer*innen, die für das Stück gecastet wurden. Immerhin macht sich im Lebenslauf ein Engagement beim steirischen Herbst ganz gut, also gilt es durchzuhalten und irgendwie eine Fortsetzung zu finden. Also wird der Raum ab nun zu einem merkwürdigen Zwischending zwischen der schwedischen Mission in Addis Abeba am 12. September 1925 und dem Space Eins des Kunsthauses am 13. Oktober 2024 – es wird im Spiel gespielt, getanzt und gesungen und das gemeinsam mit dem Publikum inklusive einer Beschreibung, wie der Grazer Höhepunkt der Volkskultur, das „Aufsteirern“, gefühlt so abläuft.
Credit Wolf Silveri
Wem „gehört“ die sogenannte Volkskultur? Der Versuch eines Rebrandings
Es beginnt eine Suche nach der eigenen Identität, verbunden mit den Kindheitserinnerungen zum traditionellen Liedgut, mit etwas Scham und aber auch Freude, doch wem gehört das ganze? Es wird auch die Frage gestellt, warum in den meisten Volksliedern das Trennende und nicht das Verbindende im Zentrum steht. Oder etwas anders: Kann man sich der Vereinnahmung der Tradition durch rechte Kräfte widersetzen? Denn es gibt da noch etwas, das die damaligen Protagonisten verbindet: Sie waren links und ein Teil von ihnen ging in den 30-er und 40-er Jahren in den Widerstand, einer kämpfte sogar bei den internationalen Brigaden im spanischen Bürgerkrieg und sie mussten zum Teil für ihr Engagement mit ihrem Leben bezahlen. So wird Bertolt Brechts „Solidaritätslied“ als eigentliches gefühltes Volkslied, das der eigenen Identität entspricht. Die Performer*innen formieren sich zu einer Protestbewegung, die sich dann musikalisch bis zu „What´s Up?“ von den 4 Non Blondes in Hackbrett-Variante bewegt und am Ende zu einem gemeinschaftlich mit dem Publikum gesungenen „Fein sein, beinander sein“ führt.
Credit Wolf Silveri
Es ist nicht alles rund an diesem Abend, der etwas Fragmentarisches an sich hat. Er bedient einerseits Emotionen und will ein gemeinschaftliches Gefühl erzeugen und zeigt andererseits die Absurdität einer überzüchtenden künstlichen Volkskultur. Das Ensemble gibt dem ganzen eine unheimliche Kraft, und man spürt als Zuseher, dass jeder sich auch persönlich in das Thema einbringt. Vielleicht versucht man sich in dieser improvisierten Art dem zu nähern, was 1925 in Addis Abeba abging.