Die Einsamkeit auf der Suche nach Leben in Freiheit verwandeln oder wenn die Welt endlich stillsteht
Kritik: Die Wand, Theater Quadrat
Text: Robert Goessl - 27.06.2025
Rubrik: Theater
Die Theater Quadrat, die Expert: innen für literarische Theaterproduktionen, begeben sich nach Thomas Bernhards „Die Ursache“ abermals ins Freilichtmuseum Stübing, um die dortige Atmosphäre und die dortigen Gebäude zur Darstellung ihres Stoffes zu nutzen. Und es ist wieder einmal beeindruckend.
Dieses Mal wird der Roman „Die Wand“ von Marlen Haushofer aus dem Jahr 1963 auf die Bühne in einer Alphütte aus dem Bregenzer Wald gebracht. Das Werk, in dem das Leben einer Frau aus ihren Aufzeichnungen beschrieben wird, die durch eine aus dem Nichts auftauchende unsichtbare Wand von der Welt abgeschnitten wird, gilt als ikonisch in der Frauenliteratur, auch was die Vielschichtigkeit seiner Interpretationsmöglichkeiten betrifft. Es wird eine Welt entworfen, in der die scheinbar einzig Überlebende einer auf sich selbst zurückgeworfen wird, während der Rest der Menschheit auf der anderen Seite der Wand erstarrt und auf ihrer Seite ausgelöscht scheint.

Credit Nicolas Galani
Eine Fahrt an das Ende
Die Vorstellung beginnt mit dem kleinen Abenteuer einer Traktorfahrt zum Ort des Geschehens, der Alphütte am oberen Ende des Freilichtmuseums Stübing. Beim Beteten des Gebäudes müssen sich zunächst einmal die Augen an die Dunkelheit gewöhnen, um dann zu erkennen, dass auf der vermeintlichen Bühne, der man auf rustikalen Holzbänken gegenübersitzt, sich eigentlich nichts befindet. Verlassen und düster und doch aufgeräumt wirkt das Ganze, während die Vorgeschichte aus dem Off mit der Stimme von Gina Mattiello erzählt wird. Es dauert etwas, bis sie als die Darstellerin der namenlosen Hauptfigur erscheint – Zeit, in der man die Atmosphäre des Ortes in sich aufsaugen kann.

Credit Nicolas Galani
Mit Liebe und Pragmatismus gegen die Einsamkeit und Ausweglosigkeit
Trotz der scheinbar ausweglosen Situation wirkt Gina Mattiello Spiel gefasst. In ihrer Erzählung erweist sie sich als genaue Beobachterin und Analystin des Zustandes und findet zwischen Pragmatismus und Angst Trost bei dem ihr treu ergebenen Hund Luchs. Zusammen mit einer zugelaufenen Kuh, die sie Bella nennt, und einer ebenfalls zugelaufenen Katze entsteht eine Art Familie – sie liebt die beiden Tiere und sorgt entsprechend für sie. So bauen sie sich gemeinsam mit dem großzügig Vorhandenen in einer Jagdhütte und der Nutzung der Natur ein Leben auf. Dabei entstehen viele kleine Bilder und alles, was auf dieser Bühne passiert, passiert auf subtile Weise – auch wenn sich vordergründig wenig ereignet, sorgt Gina Mattiellos ausdrucksvoll leise Darstellung dafür, dass man der Erzählung gebannt folgt. Es ist schön zu sehen, wie liebevoll sie immer wieder in die Futternäpfe für ihre Tiere symbolisch Wasser gießt.

Credit Nicolas Galani
Ein neues Leben in Zufriedenheit
Der Vergleich zu ihrem vorigen Leben als Ehefrau und Mutter drängt sich nur kurz auf – sie scheint dieses und dessen Annehmlichkeiten gar nicht so zu vermissen. Stattdessen zeigt sich in ihrer neu gewonnenen Freiheit mit dem pragmatischen Verständnis und der selbstverständlichen Problemlösungskompetenz einer früher unterschätzten Hausfrau und Mutter die Möglichkeit eines unabhängigen Lebens im Einklang mit der Natur. Sie kann nun Fähigkeiten zeigen, für die in ihrem früheren Leben kein Platz war. Der Versuch, einen Alltag fortzuführen, mit Kalender, Uhren und Inventarlisten, scheint allmählich seinen Sinn zu verlieren, denn das Leben ist jetzt ein anderes. Es ist organisiert, das Überleben ist gesichert, und auch der Tod wird wie selbstverständlich akzeptiert, sowie auch männliche Gewalt (kurz, aber eindrucksvoll und treffsicher: Werner Halbedl), die noch einmal kurz in dieses neue Leben eindringt, besiegt und überwunden wird.
Jetzt bin ich ganz ruhig. Ich sehe ein kleines Stück weiter. Ich sehe, dass dies noch nicht das Ende ist. Alles geht weiter. Seit heute früh bin ich sicher, dass Bella ein Kalb haben wird. Etwas Neues kommt heran, und ich kann mich ihm nicht entziehen.

Credit Nicolas Galani
Ein Theaterabend als Gesamtkunstwerk
In der sehr gelungenen und verdichteten Textfassung des Romans verkörpert Gina Mattiello eine Frau, die mit Pragmatismus und Liebe die Gefangenschaft im Ich in Freiheit verwandelt, und das in leisen Tönen. Sie bewegt sich bedächtig und gewandt durch das etwas modrige Ambiente des Ortes. Es sind kaum Requisiten notwendig, und die wenigen sind eher symbolischer Natur. Trotzdem entsteht eine glaubhafte und gedanklich mitreißende Atmosphäre des erzwungenen Rückzugs auf das einfache Leben, die sich als Chance entpuppt, ein freies, unabhängiges und zufriedenes Leben zu führen. Es ist vor allem die große Glaubwürdigkeit, mit der Gina Mattiello die namenlose Hauptfigur verkörpert, die diesen Theaterabend zu einem entschleunigenden Gesamtkunstwerk werden lässt.

Credit Nicolas Galani
weitere Aufführungen im Freilichtmuseum Stübing:
Fr 27., Sa. 28. Juni
Fr 4., Sa. 5., Fr 11., Sa 12. Juli
Einlass ins Museum: 18:00
Traktor-Abfahrt an der Museumskassa: 18:30
Team:
Darstellerin: Gina Mattiello
Inszenierung: Theater Quadrat
Dramaturgie: Gina Mattiello, Werner Halbedl
Produktionsleitung: Alexander Kropsch
Technische Betreuung: Peter Spall
Öffentlichkeitsarbeit: Britta Badura
Karten unter:
0699/17 16 28 19
tickets@theater-quadrat.at
23 € / 18 € (Student: innen, Senior: innen)
12 € (Jahreskartenbesitzer: innen vom Freilichtmuseum)

Credit Nicolas Galani