Shakespeare zwischen Tim Burton und Katzenleggings
Kritik: Die Tragödie von Romeo & Julia, Schauspielhaus Graz
Text: Lydia Bißmann - 12.10.2025
Eine radikal angelegte Fassung der Familien- und Liebestragödie Romeo und Julia bietet das Schauspielhaus Graz unter der Regie von Emre Akal an.

Mario Lopatta, Anna Rausch und László Branko Breiding. (Fotocredit: Lex Karelly)
Eiseskälte in Schwarzweiß
Emre Akal streicht fast 80 Prozent des Textes des wohl berühmtesten Bühnenklassikers der Welt. Redundanzen und Wiederholungen bestimmen die Überbleibsel, von denen alleine das Liebesgeflüster zwischen Romeo (Mario Lopatta) und Julia (Luizaa Monteiro) ausgenommen ist. Daraus ergibt sich eine Produktion, die mehr an ein Puppenspiel als an ein Sprechstück erinnert. Im Fokus steht die traditionelle Feindschaft zwischen den beiden Familien „von gleichem Stand“, die selbst nicht mehr wissen, warum sie sich seit Ewigkeiten bekämpfen. Alltäglichkeiten wie Speisen, Kämmen, Zähneputzen oder Zu-Bett-Gehen symbolisieren hier verhärtete Traditionen, zu denen eben auch der “Bürgerkrieg als höchstes Bürgerglück“ gehört. Bühnenbild (Mehmet & Kazim) und Kostüme (Lara Roßwag) sind komplett in Schwarz, Weiß und Grau gehalten, die Ausstattung besteht aus PU-Schaum-Möbeln und Gegenständen, die an Comics erinnern. Hölzern und puppenhaft sind auch die Bewegungen der Darsteller:innen, die alles synchron gespiegelt erledigen müssen. Im Gegensatz zu den beiden Teenagern mit einer etwas verhuschten Vokuhila-Frisur sind alle restlichen Figuren auf Hochglanz gebürstet und mit eleganten Gelfrisuren versehen. Klaus Nomi lässt grüßen, nur die Musik ist nicht so angenehm – Enik liefert einen noisigen Theatersound, der verstört, verschreckt und das Unheil mit jedem Drehmoment der Bühne ankündigt.
Ende mit kurzem Schrecken
Tatsächlich wird das Ende dann rasch erledigt, auf die umständliche Herumsterberei wie im Original wird zum Glück verzichtet. Es geht auch überhaupt nicht um die beiden hormongesteuerten Teenager, die ihre gesellschaftliche Stellung nicht der Liebe opfern können. Die Romantik spielt keine Rolle; es sind sinnlose Konflikte ohne Inhalt und Sinn, die von den Familienoberhäuptern (Franz Solar und eine sensationell souveräne Luisa Schwab) mithilfe ihrer gewaltverliebten Fußsoldaten am Leben gehalten werden. Tybalt (Anna Klimovitskaya) und Mercutio (Laszlo Branko Breiding) könnten auch herkömmliche, toxische BWL-Studenten sein. Eindrucksvoll beklemmend eine Grooming-Szene, in der die beiden Eltern ihre einzigen Kinder kämmen – eine Handlung, die sonst zärtlich und intim sein kann, hier aber hörbar Schmerzen und Leid verursacht. Nur die Amme (Anke Stendik) hat so etwas Ähnliches wie ein Herz, wenn sie von der heranwachsenden Julia an ihrer Brust erzählt.

Franz Solar als Vater Montague und Luisa Schwab als Mutter Capulet. (Fotocredit: Lex Karelly)
Caritas statt Eros
Dass die beiden Liebenden in Farbe auftauchen und ihre Balkonszene in knalligem Pink spielen dürfen, war zu erwarten. Überraschend ist allerdings, wie es Luiza Monteiro schafft, aus dem so oft verkitschten Dialog ein humanistisches Manifest zu gestalten. Zart, mutig, offenherzig und unwahrscheinlich klug ist ihre Julia, die Romeo einfach nimmt, so wie er ist. Das ist schön und rührend, auch wenn der Auftritt in ein psychedelisch anmutendes Szenario samt Saturnringen und herabfallenden Meteoriten eingebettet ist, das an Universum-Katzenleggings auf den Beinen einer LAN-Party-Teilnehmerin erinnert. Vermutlich würde aber jeder Bruch mit dem stringenten Grauzonen-Setting der Drehbühne, das die Tristesse eines Smartphones im Schwarz-Weiß-Modus vermittelt, an einen LSD-Rausch erinnern. Emre Akal und seinem Team ist es gelungen, einen Klassiker gekonnt in die Moderne zu bugsieren und dem Theater damit Aktualität und Relevanz zurückzugeben. Die Botschaft ist glasklar formuliert und lässt handlich verpackt in den Alltag mitnehmen. Eine kleine Straffung würde dem Stück allerdings nicht schaden – 100 Minuten depressives Setting sind auch für sehr aufgeschlossene Augen, Ohren und Herzen eine große Herausforderung.

Fotocredit: Lex Karelly