Wagner kompakt mit vokalem Glanz auf den Grazer Kasematten
Kritik: Der Ring an einem Abend (fast) ohne Worte
Text: Martin Exner - 18.08.2024
Rubrik: Musik
Die Grazer Spielstätten präsentierten auf der Kasemattenbühne Richard Wagners „Ring an einem Abend“ – laut eigenen Angaben fast ohne Worte. Ein mäßig gelungenes Unterfangen, allerdings in herausragender musikalischer Umsetzung.
Versuche, die knapp 16 Stunden der vier Teile von Wagners „Der Ring des Nibelungen“ in einen Abend zu pressen, gab es bereits einige – am besten gelungen vielleicht jener des deutschen Humoristen und Wagnerianers Loriot mit seinen ironisch-bissigen Zwischentexten.
Dirigent Marcus Merkel, Bariton Michael Volle als Wotan. (Credit: Spielstätten Werner Kmetitsch)
Grazer Kurzfassung am Schlossberg
Für Graz hat sich der Dirigent Marcus Merkel der Sache angenommen und eine „Grazer Kurzfassung“ erstellt, wobei die Zusatzbetitelung „fast ohne Worte“ nicht wirklich zutreffend war. Im Mittelpunkt der Aufführung standen fünf zentrale Szenen des Ringes, die im Original mit Gesang dargebracht wurden – neben dem Einzug der Götter in Walhall aus „Rheingold“ zwei sehr emotionale Szenen (die stürmische Liebesszene von Sieglinde und Siegmund aus dem ersten Finale der „Walküre“ und dem Liebesduett von Siegfried und Brünnhilde am Ende des „Siegfried“), aber auch der nachdenkliche Abschied Wotans aus dem Finale der „Walküre“ und der aufregende Schlussmonolog der Brünnhilde samt erlösendem Finale der „Götterdämmerung“. Die musikalischen Überleitungen waren ein rasanter Durchlauf durch den restlichen „Ring“, einige Szenen wurden kurz angespielt und waren auch gleich wieder weg, vieles kam gar nicht vor. Wagners ausgeklügeltes Leitmotiv -Gewebe ging bei dem Tempo naturgemäß unter. Immerhin wurden auch einige orchestrale Höhepunkte ausgekostet. Das Rauschen des Rheines zu Beginn der Tetralogie, Siegfrieds Rheinfahrt und der herrliche Trauermarsch gelangen musikalisch beeindruckend, wenngleich die Akustik auf der Kasemattenbühne – wohl auch wegen der elektronischen Verstärkung aus Lautsprechern – äußerst dürftig war und eher Hollywood-Sound als differenzierten Wagner-Klang erlaubte.
Dennoch konnte man gut hören, wie klangschön sich das konzentriert musizierende Orchester (eine sehr jung besetzte Abteilung der Grazer Philharmoniker) präsentierte, auch die zahlreichen heiklen Stellen saßen, die Soli (vor allem in den Hörnern) waren Weltklasse. Und eines muss man dem Dirigenten Marcus Merkel lassen: Wagner kann er. Er hatte nicht nur sein Orchester und die (hinter seinem Rücken singenden) Solist:innen im Griff, er kostete auch die enorme Bandbreite der Wagnerschen Orchesterwogen von fein gewoben (Waldweben) bis auftrumpfend (Finale „Götterdämmerung“) differenziert aus. Bei adäquater Akustik wäre das ein sehr spezielles Erlebnis geworden.
Die Rheintöchter sangen drei Studentinnen von Elena Pankratova. (Credit: Spielstätten Werner Kmetitsch)
Wagner Grande Dame und drei Elevinnen
Dass den Worten in dieser Aufführung doch so viel Raum gegeben wurde, lag wohl an der Sängerbesetzung – denn gesungen wurde herausragend gut! Kein Wunder, holte man doch das Beste nach Graz, was die Wagner-Opernwelt heute wohl zu bieten hat. Neben der in Graz studierenden Nina Kreča, die in der Rolle der Fricka hier leider viel zu wenig Gelegenheit hatte, ihren schönen Sopran zu präsentieren, und drei Studentinnen der Sopranistin Elena Pankratova, die die Rheintöchter harmonisch und bestens einstudiert gaben, ist es auch letzterer zu verdanken, dass das vokale Niveau hoch war. Die Bayreuth-erfahrene russische Sopranistin gab die Brünnhilde differenziert, mit strahlenden Höhen und beeindruckend ausdauernd im großangelegten Finale. In gleich hoher Qualität sang die Schweizer Sopranistin Gabriela Scherer eine emotionale und im Liebesjubel auftrumpfende Sieglinde, die in Erinnerung bleibt.
Die Herren standen dem in nichts nach: Dass Klaus Florian Vogt der derzeit wohl gefragteste Tenor im Wagner-Fach ist, wurde an diesem Abend bestätigt – seine helle, dennoch heldische Stimme kommt ohne Anstrengung über alle Orchesterwogen, ist aber auch zurückgenommen in lyrischen Passagen präsent. Den Loge gab Vogt gewitzt, sein Siegmund war ein Ausbruch an Emotionalität und ist mit das Beste, was die Wagner’sche Opernwelt (nicht nur heute) zu bieten hat, sein Siegfried vollendete die beeindruckende Schau über die tenorale Bandbreite im „Ring“. Was bei Vogt auffällt (und bei Wagner-Sängern leider sehr selten ist): Man versteht jedes Wort!
Und dann war da auch noch der Bariton Michael Volle, im Wagner-Fach dauergebucht und in allen von ihm verkörperten Rollen hochgelobt – auch hier zu Recht: wie er Wotans Abschied, sang, deklamierte, gestaltete, spielte, war phänomenal und braucht den Vergleich mit den ganz Großen (auch vergangener Epochen) nicht zu scheuen, er zog das (sonst nicht immer konzentrierte) Publikum merkbar in seinen Bann. Da war wirklich die ganz große Opernwelt in Graz zu Gast.
Vokaler Glanz also in bescheidener Akustik und ein „Ring“ im Schnelldurchlauf. Immerhin, ein niederschwelliger Einstieg in die Wagner-Welt für interessierte Neulinge, Wagner-Fans konnten sich hingegen an den herausragenden Stimmen erfreuen.
Marcus Merkel, Klaus Florian Vogt und Gabriela Scherer auf den Kasematten. (Credit: Spielstätten Werner Kmetitsch)
Grazer Kasematten. (Credit: Spielstätten Werner Kmetitsch)