Eine alternde Diva und ein junger Gitarrengott
Kritik: Casanovas letztes Abenteuer, Musentempel Wien
Text: Robert Goessl - 20.09.2024
Rubrik: Theater
Mit der Erzählung von Josef Mühlberger, die er mit 28 Jahren Anfang der 30-er Jahre schrieb, wird ein Fundstück aus einer Anthologie von Texten über Casanova vom Musentempel Linz beim Werkstatt-Festival in Oberzeiring auf die Bühne gebracht.
Sie zeigt einen alten Mann, der in seinem alten Leben und einer alten Zeit festhängt, aber zunächst immer noch an seinen Nimbus der Unwiderstehlichkeit glaubt. Die Umsetzung erfolgt in einer mutigen Cross-Gender-Besetzung, in der Judith Richter, die auch Regie führt, in die Rolle des Casanovas schlüpft. Rita Dummer übernimmt die anderen männlichen Rollen vom Barbier bis zu Baron Wallenstein und Damir Smajic gibt sowohl den „Gitarrengott“ Mozart als auch das junge zu verführende Mädchen.
Der alte Verführer auf gediegener Jagd
Casanova ist auf seinen Reisen 1878 in Prag angekommen und nach wie vor geht es üppig zu in seinem Leben - er gönnt sich eine neue Perücke bei einem Barbier, wobei er dabei sich sogar an eine neue Mode entsprechende mit kürzeren Haaren wagt. Obwohl mittlerweile 62 Jahre alt, dürstet ihn nach einer jungen Frau. Er wirkt als wäre es selbstverständlich für ihn an sein Ziel zu gelangen. Damir Smajic kommentiert das geschehene immer wieder mit seiner Gitarre mit punkigen Mozartklängen. Es ist, als ob im Hintergrund damit schon die möglichen Brüche kurz spürbar werden, obwohl die beiden alten stolzen Männer, souverän von den beiden Damen gespielt, noch in ihrer eigenen Welt zu leben scheinen – eine davon als männliche Diva, die sich nur für sich selbst zu interessieren scheint.
Credit Michael Traussnigg
Die perfekten Vorbereitungen auf das Abenteuer
Da das Ganze als szenische Lesung mit Musik funktioniert, wird zwar auch gespielt aber auch viel erzählt. Barockartige Visuals (Daniela Kuich) beherrschen die Bühne, aus denen sich die Figuren herausschälen, das Gefühl eines feudalen luxuriösen Lebens stellt sich ein. Doch unmerklich steht man auch an einer Zeitenwende, das üppige, überbordende Rokoko Casanovas wird durch eine neue Zeit abgelöst, ein respektloser Rockstar mit Gitarre steht für diese neue Zeit. So braucht auch der Legendäre Giacomo Girolamo Casanova etwas Hilfe, um sein Date zu checken. Premierenkarten für die Uraufführung von Wolfgang Amadeus Mozarts Oper "Don Giovanni" sind da ein willkommenes Lockmittel. Und so betritt er mit einer jungen Dame die Oper, die ganze Zeit nur sein mögliches Abenteuer in seinem Kopf, und verlässt diese weit vor Ende der Aufführung, um zu seinem Schäferstündchen zu kommen.
Credit Michael Traussnigg
Die Verführung findet nur auf der Opernbühne statt
Doch bleibt ihm der Erfolg versagt, das Mädchen verweigert sich ihm. Für sie ist Mozart der Star, den sie anhimmelt und in dessen Nähe sie sein will. Und so landet Casanova bei der Premierenfeier des Graf Waldstein in dessen Palais. Er scheint die Welt nicht mehr zu verstehen, geht in sich und nimmt so überraschend das Angebot des Grafen an, irgendwo in der Pampa Böhmens sein Bibliothekar zu werden, um dort auch seine Memoiren zu schreiben. Der weltgewandte Lebemann zieht sich von der Welt zurück, die nicht mehr die seine ist. In diesen Momenten einer Kutschenfahrt ergibt sich aus den Visuals zusammen mit dem Gitarrenspiel eine Atmosphäre der Verlorenheit und der Sprachlosigkeit, während an den Fenstern der Kutsche die eintönige Landschaft vorbeizieht.
Credit Michael Traussnigg
Die vordergründig durch die Visuals üppige Inszenierung funktioniert als Metapher, wie schnell der eigne Glanz verblassen kann, wenn man selbst als einer der berühmtesten Menschen seiner Zeit nur noch als lebende Legende in den Köpfen der Menschen existiert, und dann als Schaustück, das man gerne stolz auf Feiern präsentiert, endet. Zumindest gelingt es Casanova elegant die Reißleine zu ziehen und sich in seine Erinnerungen beim Schreiben der Memoiren zu flüchten. Vor allem erweist sich dabei die Cross-Gender-Besetzung als geniale Idee, da sie dem männlichen Blick zusätzliche Nuancen hinzufügt und so eine allgemeinere, offenere Sicht auf die menschlichen Verhaltensweisen ermöglicht.