Filmische Intimität ohne Nähe

Kritik: bluish, Lilith Kraxner & Milena Czernovsky

Text: Sigrun Karre - 01.04.2025

Rubrik: Film und Kino
Kritik: bluish, Lilith Kraxner & Milena Czernovsky

Natasha Goncharova, Credit: Panama Film

bluish, der zweite Spielfilm von Lilith Kraxner und Milena Czernovsky, ist eine stille Studie über das Schweben im Alltäglichen – zwischen digitalem Raum, Körperlichkeit und einem melancholisch blauen Lebensgefühl. Bei der Diagonale wurde der formal streng komponierte Film mit dem Preis für das beste Sounddesign (Benedikt Palier) ausgezeichnet.

Bluish nähert sich einem schwer fassbaren Zustand, der dem Film auch seinen Namen gibt: ein „bläuliches“, emotional diffuses Dasein zwischen Verlorenheit und Verortung. Was wie eine dokumentarische Beobachtung wirkt, ist in Wahrheit sorgfältig inszeniert – bluish simuliert eine Doku, bleibt dabei aber konsequent im Fiktionalen. Es ist ein oft unerträglich stiller Film über zwei junge Kunststudentinnen, Errol (Leonie Bramberger - in Graz u.a. bekannt als umtriebiges Mitglied des Performance-Kollektivs Das Planetenparty Prinzip) und Sasha (Natasha Goncharova), deren Wege sich nie kreuzen – und die sich doch im selben Rhythmus und in derselben Szene treiben lassen.

In langen, unaufgeregten Einstellungen begleitet die Kamera sie durch ihren Alltag: bei der Muttermal-Kontrolle, beim Nägel lackieren, Schwimmen, Arbeiten oder auf Dates. Immer wieder durchqueren sie digitale Räume – streifen durch Google Street View, besuchen ein virtuelles Einkaufszentrum als 3D-Modell, nutzen eine Meditations-App. Die Grenze zwischen Realität und Simulation verschwimmt. Behutsam tastet sich die Kamera heran, rückt dicht auf die Haut – bis sie scheinbar in die subjektive Wahrnehmung kippt. 

Auch die visuelle Gestaltung folgt dieser Intimität: Kleidung, Räume, Licht – alles wirkt wie von einem bläulichen Filter überzogen. Das Design zieht sich wie ein stiller Sound durch den Film – zurückhaltend, aber präzise gesetzt. So eindrucksvoll diese Ästhetik ist, so sehr steht sie auch im Verdacht, mehr zu verbergen als zu zeigen.

Kritik: bluish, Lilith Kraxner & Milena Czernovsky

Leonie Bramberger, Credit: Panama Film

Stillstand als Stilmittel

Über weite Strecken bleibt bluish in der distanzierten Beobachtung dieses schwer greifbaren Lebensgefühls verhaftet. Für dessen Darstellung hätte es die Spielfilmlänge kaum gebraucht – im Gegenteil: Das Gefühl von Stagnation wird durch die Dauer eher zementiert. Doch gerade sie schafft Raum für jene seltenen, erlösenden Momente, in denen Kunst ins Spiel kommt – etwa durch eine Gruppenperformance oder den Gastauftritt der feministischen Musik-Performance-Künstlerinnen Les Reines Prochaines, die mit ihren kraftvollen Auftritten Anfang und Ende markieren – fast wie ein Gegenzauber zur vorherrschenden Tristesse. Erst dann bricht etwas auf, wird Tiefe spürbar, Transformation möglich. bluish zeigt hier seine stärkste Seite: als leise Reflexion über das Potenzial von Kunst, aus innerer Leere herauszuführen.

Der Film gibt keine Antworten. Er beobachtet – mit einem dokumentarisch simulierten Blick, der ganz nah an der Körperlichkeit bleibt: unsexualisierte Intimität, viel Haut, kaum Worte. Eine Pflanze wird vorsichtig vom Staub befreit – eine stille, meditative Geste, fast wie ein kleines Manifest der Achtsamkeit.

Nur vereinzelt durchbrechen Humor in der Körpersprache, Performances oder Musik die Tristesse. Die visuelle Klarheit – in den Einstellungen – unterstreicht die melancholische Grundierung, ohne sie je aufzulösen.

Kritik: bluish, Lilith Kraxner & Milena Czernovsky

Credit: Panama Film

Formvollendet, aber seltsam leer

Zweifellos lässt sich dem Film ein Hauch von Nabelschau unterstellen – und das nicht ganz zu Unrecht. bluish versenkt sich tief in sein eigenes Milieu, kreist um Stimmungen und Oberflächen, ohne dabei den Blick je wirklich zu weiten. Die Sorgfalt der Inszenierung steht dabei oft im auffälligen Kontrast zur erzählerischen Leerstelle. Ja, der Film ist formal beeindruckend. Ja, er schafft Momente von Intimität, Irritation und Schönheit. Doch vieles bleibt Behauptung – atmosphärisch stark, inhaltlich blass.

bluish ist ein Film, der vor allem gesehen werden will – weniger verstanden. Das kann faszinieren, aber auch ermüden. Wer mehr sucht als eine ästhetisch dichte Studie in Schwebezuständen, könnte am Ende das Gefühl haben, sehr lange auf etwas gewartet zu haben, das dann doch nicht kommt.