Inklusiver Aufschrei im Kunst Klub Kräftner bei NewsOffStyria 2025

Kritik: Aktion Mutante, Angelina Schallerl & Tanja Peball

Text: Robert Goessl - 11.09.2025

Rubrik: Theater
Aktion Mutante von Angelina Schallerl & Tanja Peball

Christina Hofer, Martin Höfler, Christoph Pauger, Dominik Ertl (Fotocredit: Tanja Peball)

Im Film „Aktion Mutante“ von Álex De La Iglesia aus dem Jahr 1993, der im Jahr 2012 spielt, wird die Welt der Reichen und Schönen durch die Terrororganisation „Aktion Mutante“ erschüttert. Diese ausschließlich aus Mutanten, Behinderten und Kommunisten bestehende Gruppe verübt Anschläge auf Prominente und Vertreter der „gehobenen Klasse“. Basierend auf diesem Stoff werden im Kunst Klub Kräftner in einem inklusiven Aufschrei mit Augenzwinkern die Türen geschlossen und Forderungen gestellt.

In makellosem Weiß gekleidet betritt Christof Pauger die Bühne und wirft als Motivationscoach, der sich als „Zukunfts- und Menschenexperte“ bezeichnet, Worthülsen-Sätze ins Publikum unterstützt von Projektionen im Hintergrund unter dem Motto: „Du sollst im System nicht arbeiten, sondern im System wachsen“ oder „Sei Du selbst die Veränderung, die Du Dir wünschst für diese Welt“. Als Priester der Religion der Selbstoptimierung zieht er alle Register, damit das Publikum das letzte aus sich herauszuholen bereit ist. Dann betritt die „Aktion Mutante Österreich Sektion Steiermark“ in Form von Dominik Ertl und Christina Hofer in ihren Rollstühlen begleitet von Martin Höfler aus einem Kasten im Hintergrund die Bühne. Mit dem Motivationscoach wird kurzer Prozess gemacht, er wird geknebelt und gefesselt. Statt Kunstblut wird eine Melone verwendet, die im Leo-Bassi-Stil zerstört wird, bevor deren Reste die marklos weiße Kleidung verunstalten.
Aktion Mutante von Angelina Schallerl & Tanja Peball

Christoph Pauger (Fotocredit: Andreas Stangl)

Die Suche nach dem wahren Kern der Wut

Die „Aktion Mutante“ ist nicht nett zu ihrem Entführungsopfer, es gibt physische und psychische Qualen, auch wenn immer ein Augenzwinkern dabei ist. Es geht um das Aufspüren von Barrieren, von Bürokratie, und dem Zwang zur Optimierung ohne Rücksichtnahme auf die, die in ihrem Bewegungsradius eingeschränkt sind. Das versucht man, das Opfer spüren zu lassen, um ihn damit auch in die echte Welt fernab seiner Worthülsen zu entführen. Aber es wird auch mit dem Publikum gespielt, mit dessen Hoffnungen und Ängsten und nicht zuletzt mit dessen Voyeurismus, wenn von Christina Hofer die Frage gestellt wird: „Ihr findet das super, oder? Sonst seid ihr die nächsten!“
Aktion Mutante von Angelina Schallerl & Tanja Peball

Christina Hofer, Christoph Pauger, Dominik Ertl, Martin Höfler (Fotocredit: Andreas Stangl)

Unbequeme Wahrheiten und Ängste und ein unverrückbares Mindset

In traumartigen Sequenzen reflektieren Christina Hofer und Dominik Ertl Situationen aus ihrem Leben und ihre Wünsche und Hoffnungen, ihre Erschöpfung und den Zwang, einen Zugehörigkeitsbeweis erbringen zu müssen. Dazu kommt die Angst zurückgelassen zu werden, die Angst zu laut zu sein, wenn man mal Hilfe braucht. Auf der anderen Seite erklärt Christina Hofer selbst ironisch, dass sie deswegen eine so altkluge Seele ist, weil auf den Partys in ihrer Kindheit und Jugend immer nur Erwachsene waren und Dominik Ertl zeigt dem Publikum mit leichtem Gruselfaktor seine Liebe zu Perchten. Martin Höfler zeigt sich indessen sehr kreativ als Folterknecht. Und so führt der Arschloch-Test zurück zur Wut auf das System, aber doch mit etwas Empathie für ihr Opfer, auch wenn dieses seinem Mindset treu bleibt. Sobald der Motivationscoach wieder etwas Freiheit genießen darf, macht er auf unvorstellbar schleimige Weise Vorschlage zur Optimierung des Marketings für die Terrorzelle: „Ihr müsst euch von anderen Terrororganisationen abheben. Ihr braucht ein Alleinstellungsmerkmal. Das Wort ‚Gewalt‘ schreckt die meisten Menschen ab.“ Sein Versuch, Zwietracht zwischen den beiden zu sähen, scheitert am Ende doch an deren gegenseitiger Solidarität.
Aktion Mutante von Angelina Schallerl & Tanja Peball

Christina Hofer, Christoph Pauger, Dominik Ertl, Martin Höfler (Fotocredit: Andreas Stangl)

„Uns nicht sein zu lassen ist Gewalt“

Die auf die dezent, aber wirkungsvoll von Flora Hogrefe gestaltete Bühne gebrachte Splatter-Komödie mit erstem Hintergrund macht Spaß beim Zuschauen. Die drei großartigen Akteur: innen Dominik Ertl, Christina Hofer, Martin Höfler und Christoph Pauger haben sichtlich auch Vergnügen bei ihrer Darstellung und lassen das Ganze sehr lebendig und nahbar erscheinen, trotz oder sogar wegen des Zynismus, die dieser Inszenierung von Angelina Schallerl und Tanja Peball ständig innewohnt. Vielleicht wirkt die Produktion auch deswegen so mitreißend, weil die Angst abgehängt zu werden, wenn man im System nicht ständig das letzte aus sich herausholt, etwas ist, das nicht nur körperlich eingeschränkte, sondern alle Menschen betrifft. Denn für jeden Menschen gibt es Orte, die man sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinn erreichen möchte, ohne dass man sich dabei ständig neu erfinden und Hürden aller Art wegoptimieren muss. Und wenn es darum geht, alles, was nicht perfekt funktioniert, entweder auszuschließen oder um jeden Preis zu verbessern, wird das am Ende vor keinem Menschen haltmachen. Der große Wert der Inszenierung liegt darin, dass sie daran erinnert und zur Solidarität mit anderen statt zur Optimierung des Selbst motiviert, weil am Ende immer gilt: „Systemscheinheiligkeit ist behindert“
Aktion Mutante von Angelina Schallerl & Tanja Peball

Martin Höfler, Christoph Pauger, Christina Hofer, Dominik Ertl (Fotocredit: Tanja Peball)

„Aktion Mutante“ von Angelina Schallerl &Tanja Peball im Kunst Klub Kräftner

Schauspiel: Dominik Ertl, Christina Hofer und Martin Höfler Schauspiel und künstlerische Mitarbeit: Christoph Pauger Idee/Konzept/Regie: Angelina Schallerl Co-Regie/Dramaturgie/Produktion: Tanja Peball Text: alle Beteiligten Video/Animation: Leonie Bramberger Bühne/Ausstattung: Flora Hogrefe Musik: Jakob Rüdisser Technik und Licht: Lorenz Mailer Termine im Kunst Klub Kräftner (Reitschulgasse 13, 8010 Graz): 15.09. (Mo), 16.09. (Di), 17.09. (Mi) jeweils 19:00 16.11. (So) um 16:00 im Rahmen des InTaKT Festivals (Inklusives Tanz-, Kultur- und Theaterfestival) Termin im K3 in Pischelsdorf : 22.09. (Mo) um 10:30 Kartenreservierung unter 0664/3513434 oder unter njata@gmx.at