Das Glück liegt auf der Straße
Interview: Werner Schrempf, La Strada
Text: Wolfgang Kühnelt - 22.07.2022
Rubrik: Kunst
Ihr habt vor einem Vierteljahrhundert als Festival begonnen, das Produktionen eingeladen und gezeigt hat. Dann seid ihr immer mehr dazu übergegangen, selbst zu produzieren. Wann hat das angefangen und warum?
La Strada hat sich über all die Jahre kontinuierlich entwickelt, wir haben mit Aufführungen begonnen, das stimmt. Wir haben gestaunt und gelernt, wenn wir uns etwa an die Familie Flöz erinnern oder an großes Straßentheater aus Frankreich. 2003 haben wir bereits mit der Unterstützung durch EU-Mittel koproduziert und den Austausch von heimischen und internationalen Künstlerinnen und Künstlern unterstützt. Das war möglich, weil wir damals unser internationales Netzwerk IN SITU gegründet haben, das seit damals besteht. Heute versuchen wir, uns auf dieser Grundlage weiterzuentwickeln. Wir gingen dabei immer schon gerne Risiken ein. Jetzt beginnt gerade wieder etwas Neues: Wir beschäftigen uns über den eigenen Tellerrand hinaus interdisziplinär mit gesellschaftlichen Fragen. Uns interessiert, was wir unterstützen und verstärken können. Etwa durch die Zusammenarbeit mit Wissenschaft und Forschung. Ich will keine Projekte mehr machen, bei denen ich am Anfang schon weiß, was am Ende herauskommt.
Euer Festival hat sich immer wieder implizit und explizit mit dem Thema Reisen beschäftigt. Und dann kam die Pandemie. Wie habt ihr reagiert?
Wir hatten ein fantastisches internationales Programm für 2020 vorbereitet, alles war fertig und plötzlich stand die Welt auf dem Kopf. Nach einer Schrecksekunde habe ich zuerst Christian Muthspiel, Günter Meinhart, Chris Haring und Willi Dorner angerufen und sie gefragt, wie es ihnen geht. Sie haben erzählt, dass alles still steht, dass es höchstens Anfragen für das Jahr darauf gibt. Ich habe dann gesagt: Es gibt euch noch, es gibt uns noch und es gibt auch noch ein kulturinteressiertes Publikum. Also lasst uns überlegen, was wir machen können. Das war mir immer wichtig: das eigene Umfeld zu betrachten, die eigenen Möglichkeiten. Beim zweiten Telefonat ging es schon um Ideen und Projekte, die wir dann weiter verfolgt haben, ungeachtet der weit verbreiteten Ängste und der übergeordneten Regeln. Günter Meinhart hat zum Beispiel ein wunderbares Projekt gemacht, mit 19 Minuten Musik und einem Solo für viele Musikerinnen und Musiker, die in der Grazer Innenstadt jeweils 15 Meter Abstand hielten. Christian Muthspiel hat ein Stück komponiert, das wir im Landhaushof und vor dem Grazer Dom aufgeführt haben. Ein Jazzorchester in Bewegung im öffentlichen Raum. Willi Dorner hat Grazerinnen und Grazer eingeladen, mit ihren Küchensesseln Stadträume wieder zurückzuerobern. Chris Haring hat mit Tänzerinnen und Tänzern in der Stadt am Stück Stand Alones gearbeitet. Mit den La Strada-Produktionen The Graz Vigil von WLDN/Joanne Leighton und What if… von Danae Theodoridou haben wir eine Achse zwischen dem Schloßberg und den Reininghausgründen gespannt.
Happiness, Dries Verhoeven Foto: Willem Popelier
Geht ihr davon aus, dass ihr in Zukunft wieder so reisen und arbeiten könnt wie zuvor?
Es ist wichtiger geworden zu fragen: Wie reist jemand an? Wie lange bleibt er oder sie für eine Residency da? Wie teilen wir Ressourcen, wie schauen unsere Städte in Zukunft aus? Genau darüber denkt unser Netzwerk In Situ nach, etwa mit dem gegenwärtigen Projekt (UN)COMMON SPACES, das bis 2024 läuft. Für mich persönlich, aber auch für uns alle, gilt heute: Wir denken darüber nach, welche Reisen notwendig sind und welche Verkehrsmittel wir dafür einsetzen.
Ihr habt bereits vor vielen Jahren die Reininghausgründe bespielt. Aus der Sicht von heute: Was wird in diesem Stadtteil passieren, was würdet ihr dort gerne machen, wie siehst du den Ort heute?
Du hast recht, wir haben die Reininghausgründe früh genutzt. Es sind immer wieder Fenster aufgegangen, in denen wir gehofft haben, hier zusammen mit anderen überregional Bedeutsames zu schaffen. Gemeinsam mit Menschen, die hier wohnen und die neu hierherziehen, etwas zu gestalten, wäre möglich und sinnvoll gewesen. Wir hätten uns einen produktiven Austausch Grazer Kulturschaffender mit internationalen Künstlerinnen und Künstlern gewünscht. Ein Creation Center inmitten eines sich entwickelnden Stadtteils. Ob derartige Überlegungen dort in Zukunft noch Platz finden werden, steht in den Sternen. Heute liegen jedenfalls Konzepte auf, die in eine ganz andere Richtung gehen. Wir konzentrieren uns jedenfalls auf Projekte, die die Stadt auf zeitgemäße und kooperative Weise in ihrer Entwicklung begleiten.
Du stammst aus dem Ennstal und hast etwa am Dachstein spektakuläre Ideen realisiert. Erfüllt dich das mit zartem Stolz, etwas „daheim“ zu machen und erleichtert der dort verbreitete Name Schrempf solche Vorhaben?
Ja, es macht mir Freude. Und es bietet sicher Vorteile, wenn man sich in der Gegend auskennt. Unser widerspenstiges Projekt bei der regionale 10, einen chinesischen Stein auf den Dachstein zu hieven, hat uns Respekt und auch Feindschaft eingebracht. Was ich gelernt habe: Dass man ein Projekt erklären muss, bevor es die anderen tun. Auch wenn ein weltberühmter Künstler wie Ai Weiwei beteiligt ist, sind nicht automatisch alle dafür. Aber das war ohnehin nur die Ouvertüre. Heuer zeigen wir bei La Strada Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern, die am Dachstein entstanden sind. Und dafür haben wir auch den idealen Platz in Graz gefunden, den Steiermark-Relief-Raum im Naturkundemuseum. 2024 soll in Schloss Trautenfels dann eine Installation zu sehen sein, mit Lesungen, Diskussionsveranstaltungen und mit Musik.
Bei La Strada 2022 gibt es zum Auftakt die Uraufführung einer Komposition von Christian Muthspiel, basierend auf einer Überlegung von dir. Wie entsteht ein Projekt wie „La Melodia della Strada“?
Unseren Festivalnamen hat damals Günter Brus vorgeschlagen, der meinte: Ein Straßentheater-Festival heißt La Strada. Mit Christian Muthspiel zusammenzuarbeiten ist natürlich fantastisch. Der Ausgangspunkt waren die Filme von Federico Fellini und für einen Musiker bedeutet das auch: Eine Auseinandersetzung mit dem Werk von Nino Rota. Christian und mir war von Anfang an klar, dass es nicht darum geht, den Film herzuzeigen oder die Musik nachzuspielen – sondern dass es gelingt, die Inspiration spürbar zu machen und gleichzeitig etwas Offenes zu gestalten, das in anderer Form weitergeführt werden könnte. Das ist auch für Christian Muthspiel eine Herausforderung. Zu sehen und zu hören ist das dann in der Oper Graz.
Du sagst, du gehst gern ein Risiko ein. Das bringt die Möglichkeit mit sich, dass etwas mal „nicht aufgeht“. Wie gehst du damit um, wie lernt man daraus?
Es ist vieles aufgegangen, was großartig war. Zuweilen ist manches nicht gelungen, auch bei bekannten Kompagnien kann das passieren. Und es gibt Experimente, die sich nicht wie geplant realisieren lassen, da muss man halt im schlimmsten Fall die Notbremse ziehen, etwas letztlich nicht zeigen. Aber es dominieren erfreulicherweise bei Weitem die Momente, wo etwas gelungen ist. Die riskantesten Erfolge waren oft auch die Schönsten.
Infos über La Strada im 25. Jahr gibt es unter www.lastrada.at