„'Unten' war Krieg, hier waren wir wieder alle befreundet"
Interview: Vesna Petković, Musikerin
Text: Sigrun Karre - 09.11.2022
Rubrik: Musik
Die Musikerin über Star Trek & Trompete zum Zeitvertreib, musikalische Schubladen und Graz als Hotspot des Balkan-Jazz-Booms der 1990er-Jahre.
Wann war dir klar, dass du Musikerin, Sängerin werden willst?
Ich habe diesen Luxus im Leben gehabt, von klein auf zu wissen, was ich im Leben machen möchte und das war immer mit Singen, mit Musik verbunden. Es war selbstverständlich ein langer Weg, hierherzukommen, wo ich jetzt bin. Aber es gab keine Zweifel, es war immer klar.
Kommst du aus einer Musiker-Familie, oder hat Musik in deiner Familie eine besondere Rolle gespielt?
Ich komme aus Niš, das heute zu Serbien gehört. Mein Vater war Sänger und Gitarrist in einer Band, meine Mutter war Tänzerin. Ihre Brotjobs im damaligen Jugoslawien hatten sie allerdings in der Fabrik. Aber zu Hause wurde immer musiziert, das war Bestandteil des Alltags, auch meine Schwestern machen gerne Musik.
Du bist während deiner Studienzeit in Graz regelmäßig als Straßenmusikerin aufgetreten, wie war das?
Ja, ab 1996 habe ich, um mir mein Jazz-Gesangs-Studium an der KUG zu finanzieren, in Graz mit einer Rock ’n’ Roll/ Rhythm and Blues-Band Straßenmusik gemacht. Wir haben zweimal täglich, vormittags bis zwölf, halb eins, und am Abend von sechs bis neun, halb zehn gespielt. Damals war es leichter spontan auf der Straße zu spielen, man benötigte keine Genehmigung. Das war wirklich eine spezielle Zeit.
Mit Sandy Lopičić und Werner Radzik hast du 2021 ein David-Bowie-Tribute-Album aufgenommen. Bowie spielte und spielt für dich als Künstlerin eine große Rolle, kannst du in Worte fassen, was dich an ihm besonders fasziniert?
Bowie kennt jeder und jeder weiß, er war ein großer Künstler. Ich habe dann auch Biografien über ihn gelesen und was mich am meisten fasziniert hat: Er ist keinerlei Kompromisse eingegangen und hat seine eigene Vision in der Kunst konsequent umgesetzt. Das ist in der Kunst-Branche schwierig, denn man muss ständig kämpfen, sei es in finanzieller, oder zwischenmenschlicher Hinsicht. Man muss sehr standhaft sein, um sich treu zu bleiben. Die Vorgeschichte zum Album ist, dass ein enger Freund und großer Bowie-Fan, Peter Pilz – nicht der Politiker, der Steuerberater (lacht) – mich nach dem Tod von Bowie angerufen hat und meinte, „Wir müssen unbedingt was machen“. Also haben wir eine große Band zusammengestellt und Konzerte in Graz und Wien gespielt, um ihn zu ehren, die alle restlos ausverkauft waren. Nach dem fünfjährigen Todestag von Bowie hat er mich wieder angerufen und gemeint „Jetzt müssen wir noch einmal was machen“. Und so kam die Idee für ein Album, das ganz reduziert – zwei Klaviere, Gesang – Bowie-Songs aus verschiedenen Jahrzehnten interpretieren sollte. Und es sollte ein karitatives Projekt sein, der Reinerlös kommt der österreichischen Hospizbewegung zugute.
Du gibst demnächst wieder einige Konzerte, was sind deine aktuellen Projekte?
Ich mische gerne Musik-Stile und bin sehr offen für Neues und in diesem Jahr ist das serbische Novi Sad gemeinsam mit dem litauischen Kaunas und Esch-sur-Alzette in Luxemburg europäische Kulturhauptstadt. Ich habe eine Band aus Serbien und das habe ich zum Anlass genommen und eine kleine Tour Anfang November in der Steiermark organisiert. Ein ganz neues, wunderbares Projekt, das gerade im Entstehen ist, nennt sich „Vesna and the Neighbours“, wo ich singe, und – etwas Neues für mich – eine Udu-Drum spiele. Mit dabei sind mein alter Kollege Saša Prolić am E-Bass und Sina Shaari, aus Teheran, der auch in Graz zu Hause ist und Udu und akustische Gitarre spielt. Im Dezember spielen wir im Greith Haus in der Nähe von Leibnitz wieder das Bowie-Projekt „Pure“. Und mit meinem Herzensprojekt, dem SoSamma-Frauenchor singen wir am 23. Dezember im Schauspielhaus Graz und Ende Dezember im Kulturhaus in Weiz.
Credits: Johannes Gellner
Als Leiterin des multikulturellen Frauenchors SoSamma hast du dieses Jahr den Grazer Frauenpreis verliehen bekommen. Warum ist es ein reiner Frauenchor und weshalb ist er bewusst multikulturell zusammengesetzt?
Den Chor gibt es seit 20 Jahren, gegründet vom Verein Omega, der sich für Migrant*innen in den Bereichen Integration und Unterstützung bei physischen und psychischen Krankheiten einsetzt. Die Idee war, dass alleinerziehende Mütter, Frauen, die gerade aus verschiedenen Ländern angekommen sind usw., sich beim gemeinsamen Singen treffen und auch ihre Kinder mitnehmen können. Ich wurde 2009 gefragt, ob ich den Chor leiten möchte. Ich bin keine Sozialarbeiterin, aber ich fand die Verknüpfung von Musik und dem sozialen Charakter sehr spannend. Jetzt habe ich 65 Frauen im Chor, eine bunte Mischung aus Österreicherinnen, Frauen mit Migrationshintergrund und Frauen, die in den letzten Jahren nach Österreich kamen und Anschluss gesucht haben. Aber es geht nicht nur ums Singen, wir tauschen uns aus, helfen einander. Es ist eine Gemeinschaft.
Kürzlich hat ein Musiker im Gespräch gemeint, gemeinsam zu Singen sei ein magischer Akt, kannst du dem – auch in Hinblick auf deine Erfahrung mit dem SoSamma-Chor - etwas abgewinnen?
Gemeinsames Singen ist mir sehr, sehr wichtig, ich verbinde es mit Gemeinschaft und Familie. Als Kinder haben wir unter dem Tisch gespielt und die Eltern, Onkels und Tanten haben gesungen. Ich kann mich erinnern, als ich nach Graz gekommen bin, haben Leute noch in Gasthäusern gesungen und dann ist das irgendwann verschwunden, das finde ich schade. Ich liebe traditionelle Musik. Das Singen im Gasthaus sollte es wieder geben. Es muss ja nicht nur österreichische traditionelle Volksmusik sein, sondern jeder singt die Musik, die in dem Land, aus dem er kommt, gesungen wird oder Jazz oder was immer und alles vermischt sich, das macht einfach Spaß. Und weil du erwähnt hast, dass es etwas Meditatives oder Magisches hat. Ich meine, es ist etwas Heilsames dabei, wenn man gemeinsam singt. Chor bedeutet interagieren, man muss aufeinander hören, man schickt einander Energie. Unsere SoSamma-Chor-Proben sind immer montagabends, da kommen alle erschöpft vom Tag, von der Arbeit. Nach der Probe gehen alle wie verwandelt voller Energie nach Hause. Das macht Freude und baut auf. Und genau dieses Gemeinsame ist in der Covid-Zeit den Menschen so abgegangen. Online gibt es kein echtes Miteinander, das ist kein Ersatz.
Stichwort Covid, die Frage ist zwar schon etwas überstrapaziert, aber wie bist du als Musikerin mit den Begleitumständen der letzten zwei Jahre umgegangen?
Ich habe im ersten Monat nur geschlafen, weil ich wirklich Erholungsbedarf hatte aufgrund meiner vielen Aktivitäten, danach habe ich Star Trek geschaut (lacht) und dann habe ich mir eine Trompete gekauft, denn ich wollte immer schon Trompete spielen lernen. Vor allem aber hatte ich wirklich wieder Zeit innezuhalten und nachzudenken, was ich wirklich will und ich habe mich bemüht dieses „Licht“ wieder in mein Leben zurückzuholen. Als selbstständige Musikerin hast du es nicht leicht, du musst schauen, wie du über die Runden kommst. Wenn ich anfangen würde, dir alles zu erzählen, was ich mache... (lacht) Es sind sehr viele unterschiedliche Sachen, aber alles hat mit Musik zu tun. Es ist ein wirklich buntes Leben... Was für mich wieder wichtig geworden ist in dieser Zeit: Nicht immer „Ja“ zu sagen, Aufgaben auch abzugeben oder aufzuteilen. Das rate ich auch jungen Künstler*innen. Zugleich aber im richtigen Moment sich dann getrauen „Ja“ zu sagen, Chancen wahrzunehmen. Gerade wir Frauen neigen immer noch dazu, uns kleiner zu machen, als wir sind. In Sachen Selbstbewusstsein haben wir noch Nachholbedarf. Ich habe eine große Community an Frauen, in der ich mich bewege, auf der Uni, beim Chor usw., da sehe ich, wir Frauen müssen weiterhin noch daran arbeiten, aber natürlich auch die Männer, wir alle.
Deine unterschiedlichen kulturellen Einflüsse sind ein guter Fundus für künstlerischen Facettenreichtum. Fühlst du dich ausschließlich beschenkt dadurch, oder ist da manchmal auch das Gefühl alleine im "Niemandsland" zu sein?
Das ist absolut ein Thema! Jeder hat eine Schublade, wo er dich einordnen will, damit habe ich gekämpft, ewig lange. Ich war sehr traurig darüber, dass viele Menschen das nicht richtig verstanden haben. Begriffe wie Balkan Jazz sind verbunden mit tanzbarer Brass Musik, ich habe da nicht reingepasst und hatte das Gefühl, die Erwartungen der Leute nicht zu erfüllen. Jetzt kommen wir wieder zu David Bowie, keine Kompromisse eingehen usw. Als junge Musikerin habe ich manchmal versucht Kompromisse zu machen und mich dabei nicht wohlgefühlt. Das Einzige, was hilft, ist, sich zu sagen „Es wird sich diese Schublade für das, was du machst, einmal ergeben, weil dann bist du diese Schublade.“ Ich rede da jetzt vielleicht zu groß, aber ich bin mittlerweile sehr selbstbewusst in dem, was ich tue und langsam etabliert sich, was ich mache. Plötzlich tauchen andere Musiker*innen auf, die etwas Ähnliches machen wie ich. Früher habe ich mich oft allein gefühlt damit.
Du pendelst regelmäßig zwischen Graz und Belgrad. Wie geht es dir damit?
Graz ist mein Zentrum, ich pendle alle 14 Tage für zwei Tage nach Belgrad, für meinen Lehrauftrag an der Uni. Ich habe ja früher einmal gedacht, ich würde keinen Fuß mehr nach Serbien setzen, nachdem sich die Politik so schlecht entwickelt hat. Ich bin mit vielem, was dort passiert ist, nicht einverstanden gewesen. Jetzt sehe ich, ich kann den Studierenden etwas geben und eine neue Generation kennenlernen. Wir sind alle ein Glied in der Kette und ich bin sehr froh, dass ich durch meine Arbeit an der Belgrader Uni dieses eine Glied in der Kette sein darf. Belgrad ist eine aufregende, lebendige Stadt. Es bewegt sich sehr viel, die Subkultur blüht, das gibt mir unglaublich viel Energie. Ich brauche künstlerisch diesen Mix aus Eindrücken in Österreich und Serbien. Ich liebe es, wie es ist. Aber mal sehen, es verändert sich ja gerade alles.
War es immer dein Plan (hauptsächlich) in Graz zu bleiben?
Ursprünglich wollte ich ja nach Frankreich, in den 1990ern war dort die World Music-Szene sehr stark, aber dann ist Graz zum Mittelpunkt geworden, mit der ganzen Balkan Musik-Bewegung rund um Sandy Lopičić usw. Es war musikalisch eine unglaublich turbulente, spannende Zeit. Ich habe die Volksmusik aus meiner Heimat erst in Österreich wieder entdeckt. Auf einmal waren alle hier, Serben. Slowenen, Kroaten, Mazedonier etc. „Unten“ war Krieg, hier waren wir wieder alle befreundet. Wir sind ja mit den gleichen Werten aufgewachsen und haben diese mitgenommen. Wenn etwas Positives bei diesem Krieg herausgekommen sein sollte, wenn man das überhaupt so formulieren kann, dann, dass wir unsere Musik und Kultur nach Österreich mitgeschleppt und hier verbreitet haben. Ich kann mich an die ersten Konzerte mit Sandy Lopičić erinnern, zu Beginn waren 90 Prozent des Publikums aus Ex-Jugoslawien. Die sind gekommen, um diese traditionellen Lieder aus ihrer Heimat zu hören. Dann haben sie begonnen ihre österreichischen Nachbarn, Freunde, Arbeitskollegen mitzunehmen, um ihnen ihre Kultur näher zu bringen und bald waren über 50 Prozent des Publikums Österreicher*innen. So ist der Boom entstanden. Das war DIE Zeit und das war in Graz und wir waren dabei. Dafür bin ich sehr dankbar.
Credits: Sabine Hoffman