„Ich lasse mich nicht mehr anschreien.“

Interview: Stefanie Reinsperger

Text: Sigrun Karre & Lydia Bißmann - 18.03.2024

Rubrik: Film

Stefanie Reinsperger (Credit: Edi Haberl)

Stefanie Reinsperger ist als Film-, Fernseh- und Theaterschauspielerin und Autorin erfolgreich. Wir sprachen mit ihr über den feministischen Status quo, schöne Wut und die Verantwortung von Macht.

Liebe Stefanie, dein Buch „Ganz schön wütend“ ist schon vor zwei Jahren erschienen. Hast Du das Gefühl, dass sich im Umgang mit Frauen seither etwas verändert hat?

Für mich persönlich kann ich sagen, dass ich schon Veränderungen wahrnehme. Übergriffe passieren jedoch nach wie vor, auch mir passieren sie noch. Wenn ich Drehbücher zugeschickt bekomme, fällt mir auf, dass die optischen Beschreibungen der Rollen wegfallen. Aber wir sind schon bei ganz vielem noch genau da, wo wir vor ein paar Jahren waren.

Stefanie Reinsperger (Credit: Edi Haberl)

In deinem Buch willst du das Wort „dick“ nicht canceln, sondern positiver konnotieren, auch die Wut möchtest du rehabilitieren. Wieso hat Wut so einen schlechten Ruf?

Wut ist eine Emotion, die Frauen sehr lange abgesprochen wurde. Wut wird bei Frauen mit Hysterie und bei Männern mit Kraft assoziiert. Vor einem wütenden Mann haben wir entweder Angst oder Respekt – eine wütende Frau gilt als anstrengend. Den Jungs wird gesagt, „Weine nicht!“, den Mädels wird gesagt „Schrei nicht!“. Beide Geschlechter haben Anrecht auf beide Emotionen. Den Zugang zur Wut gefunden und keine Angst mehr vor ihr zu haben, hat für mich persönlich etwas Befreiendes. Aber ich musste das lernen. Ich hatte im Laufe meiner Karriere mit schreienden Regisseuren und männlichen Kollegen zu tun, die schnell laut wurden. Bei wütenden Frauen wurden sofort die Augen gerollt, bei Männern waren alle ruhig. Mittlerweile erlebe ich, dass ich, wenn ich laut und wütend werde, mehr Respekt bekomme und man mir zuhört. Eigentlich bin ich ja harmoniesüchtig, aber ich habe mir abgewöhnt, die Wut runterzuschlucken, denn dann wird aus Wut unproduktiver Hass.

Du schreibst im Buch über Persönliches und Intimes. Wie fühlt es sich an, nach zwei Jahren daraus vorzulesen?

Bei den ersten Lesungen war ich sehr aufgeregt, weil es natürlich etwas anderes ist, als Schauspielerin die eigenen Wörter zu lesen. Mittlerweile freue ich mich einfach darauf, weil ich weiß, dass mein „Steffi-Humor“, mein Duktus, durch das Sprechen noch einmal deutlicher rauskommt. Ich kann es oft gar nicht glauben, dass das Interesse an dem Buch immer noch so groß ist. Das Schönste an den Lesungen ist für mich der Austausch mit den Menschen danach. Ich bekomme so wertschätzende und tolle Nachrichten von Menschen, denen mein Buch vermittelt hat, dass sie mit ihrem Problem nicht alleine sind.

Stefanie Reinsperger (Credit: Edi Haberl)

Mit Begriffen wie Body Shaming oder Body Positivity stehen heute Worte zur Verfügung, die ein Problem benennen, wodurch es überhaupt erst ins gesellschaftliche Bewusstsein rücken konnte. Ist die Überwindung der Sprachlosigkeit zumindest ein Schritt in die richtige Richtung?

Richtig. Es wird mehr darüber geredet. Bei aktiver Veränderung haben wir aber noch ordentlich Luft nach oben. Wir sprechen zum Beispiel viel über mein Lieblingsthema – die Quote, wo dann Männer reflexhaft Angst bekommen (lacht). Niemand braucht Angst zu haben vor einer Quote, die noch meilenweit entfernt ist. Ja, es gibt die Begriffe und es gibt die Plattformen, aber in Österreich hat man sich erst neulich wieder dazu entschlossen, einem Mann, einem Täter die Plattform zu geben und nicht den Menschen, die betroffen sind.

Du spielst auf den ORF-Auftritt von Paulus Manker an, der in der NDR-Doku über Missstände in der Kulturbranche nicht gut wegkommt. Wie sind deine Gefühle zu diesen Vorgängen in der Filmbranche? 

Dass der ORF den Paulus Manker zum Kulturmontag eingeladen und ihm eine Plattform geboten hat, hat mich wieder sehr wütend gemacht! Zugleich empfinde ich großen Respekt und Dankbarkeit für die Menschen, die endlich laut geworden sind!

Stefanie Reinsperger (Credit: Edi Haberl)

Du kannst dir deine Rollen mittlerweile vermutlich aussuchen. Wie stark tangiert Dich das Thema Abhängigkeiten noch persönlich?

Nein, ich kann mir meine Rollen nicht aussuchen und gehe nach wie vor zu Castings, bekomme Rollen nicht, bekomme Absagen.

Aber du musst dich nicht mehr anschreien lassen.

Ich lasse mich nicht mehr anschreien. Es passiert trotzdem nach wie vor und es passiert auch mir. Und es passiert nach wie vor, dass ein depperter Kommentar von einem Regisseur kommt, aber da sag’ ich dann: „Stopp. Aus! Ich nehme die Produzentin mit in den Raum und allein rede ich gar nicht mit dir.“ Das kann ich jetzt, weil ich in einem Alter bin, wo ich es mir zutraue. Aber ich habe jedes Mal, wenn in der Dokumentation das Wort „Angst“ fällt, den Moment, wo ich an meine jungen Studierenden denke. Diese Angst, wenn man etwas sagt, gilt man als schwierig, dann sind die genervt von einem und man bekommt den Job nicht, dieses Gefühl kenne ich nur zu gut.

Du hast heute vor Schauspiel-Studierenden der Kunst-Universität Graz KUG gesprochen; konntest du ihnen aus deiner Erfahrung heraus Tipps geben?

 

Den Studierenden die Welt zu erklären, fände ich vermessen, denn eigentlich bin ich es, die von der jungen Generation ganz viel lernt. Es liegt vielmehr in meiner Verantwortung, als ältere Kollegin auf die Jüngeren aufzupassen und in einer Position, wo ich mehr Raum habe, den Mund aufzumachen. Ich unterrichte auch, in dieser Position ist es für mich das Wichtigste, erst einmal einen angstfreien Raum zu schaffen, wo wir scheitern, ehrlich miteinander sein können, wo auch mir gesagt werden kann „Stopp!“. In der Unterrichtssituation bin ich die Person mit Macht und Autorität, deswegen habe ich die Verantwortung. Wenn ich achtsam agiere, ist das ein viel geringerer Kraftakt, als wenn Studierende Grenzen wahren müssen.

Es gibt parallel zwei sehr konträre Bewegungen, einerseits mehr Diversität in Hinblick auf Körper- und Schönheitsnormen, andererseits feiert ein ultrakonservatives Frauenbild Renaissance bei ganz jungen Mädchen. Was kann man dagegen tun? Wie erreicht man junge Frauen in ihrer Barbie-Blase?

Diese Bilderflut auf Social Media ist sehr überfordernd, ich bin froh, dass ich damit nicht aufwachsen musste. Was mir in diesem Alter wahnsinnig geholfen hat, war es, mir andere Vorbilder zu suchen, denn die gibt es auch. Im Umgang mit Social Media ist Selektion der Inhalte wichtig. Ich selbst bin nur auf einer Social-Media-Plattform vertreten und selbst die überfordert mich manchmal.

Credit: Edi Haberl

Frauenbilder waren und sind immer noch Produkte männlicher Fantasie; wo ist der weibliche Blick auf uns selbst als Frauen?

Solange sich Strukturen und Hierarchien nicht ändern, wird hier nicht viel passieren. Das muss uns einfach klar sein, nicht nur in Hinblick auf Frauen, sondern überhaupt auf diverse Geschichten. Die Führungsebenen in Theater und Film sind nach wie vor männlich, weiß und cis-geprägt. Daraus entstehen automatisch „alte Entscheidungen“, wenn es um Fragen geht wie: welche Stoffe behandeln wir, welche Filme produzieren wir, wie besetzen wir? Das zu ändern bedeutet, dass gewisse Leute Macht abgeben müssen. Das will natürlich niemand. Erst wenn das passiert, wird sich der Blickwinkel ändern, dann werden die Geschichten anders erzählt werden. Frauen ab 35 Jahren verschwinden immer noch aus Film und Fernsehen, während 40- bis 50-jährige Männer noch tolle Rollen bekommen, mit Love Interests und dergleichen. Wir Frauen müssen mehr Allianzen schaffen. Beim Film ist da der Produzent, der sagt „Den Stoff geb i meim Haberer, der macht des urleiwand“. Wir Frauen machen das noch zu selten. Ich komme selbst aus einer Generation, da hieß es, von uns Schauspielerinnen gibt es zu viele, da muss man die Ellbogen ausfahren, es kann nur eine geben. Verbrüderung ist viel mehr in unserem Sprachgebrauch verankert als Sisterhood oder Verschwestern. Das patriarchale System hat uns eingetrichtert, uns als Konkurrentinnen zu sehen. Wir sollten viel mehr Bewusstsein dafür entwickeln, was für einen Schatz an Frauen wir in unserem Umfeld haben.

Apropos Macht oder weibliches Vorbild. Du hast für die großartige Rolle der Franziska Heilmayr im Landkrimi vor zwei Jahren die Romy bekommen. Durftest du bei der Entwicklung der Rolle mitreden?

Gute Frage. Ich muss sagen, dass es wirklich gemischt war. Und ich muss betonen, dass es mich schon noch einmal anders verletzt hat, wenn es von Frauen kam, weil ich dachte: Wie kann man nur? Ich war damals 24, 25 und die Menschen waren so um die 40 und älter. Die Angriffe kamen sowohl von Leuten, die mich auf der Bühne gesehen hatten, als auch von solchen, die nur Bilder aus der Zeitung kannten oder sich dem Social-Media-Shitstorm angeschlossen hatten. Die Veranstaltung Jedermann war und ist, denke ich, eine Art Katalysator, denn oberflächliche Kritik zum äußeren Erscheinungsbild der Buhlschaft kommt fast jedes Jahr.

Die Schriftstellerin Fatma Aydemir meint, dass Männer ebenfalls unter patriarchalen Strukturen leiden und Frauen durchaus daran beteiligt sind, sie aufrechtzuerhalten. Könnte deine Erfahrung mit negativen Reaktionen von Frauen diese These bestätigen?

Es ist wissenschaftlich belegt und eine gesellschaftliche Tatsache, dass Männer von der Art, wie unsere Gesellschaft aufgebaut ist, profitieren. Ich beobachte Männer oft und denke mir: „Wahnsinn, wie der sich bewegt und durch die Welt geht, das ist so ein anderes Selbstverständnis!“ Allein nicht mit dem Satz „Geh nicht im Dunklen allein nach Hause!“, aufzuwachsen, das macht doch was mit dir! Dass es Männer oder männlich gelesene Menschen gibt, die unter den Strukturen leiden: ja. Wenn ein Mann mein Mitleid möchte wegen seinem Patriarchat: sicher nicht! Empathisch, wie wir Frauen aufgrund unserer Sozialisierung sind, kippen wir in dieses Denken schnell rein, ich nehme mich da gar nicht aus. Sofort bin ich bedacht zu sagen: “Ich kenne ganz tolle Männer, ich habe mit fantastischen Kollegen, großartigen Regisseuren gearbeitet, ich habe einen super Papa.“ Warum fühlen wir uns bemüßigt, das zu betonen? Es ist eine zusätzliche Anstrengung von uns, die kein Mann auf sich nimmt. Wir Frauen glauben, wir müssen uns immer gleich ein bisschen entschuldigen. Wenn Du als Frau erfolgreich bist, bitte nicht zu viel, sonst bist Du dominant. Wenn Du als Frau zu schön bist, dann haben die anderen Angst. Und wenn Du als feministische Frau zu laut wirst, dann kommt: „Jetzt bitte denk aber auch an die Männer“. Das würde man von keinem Mann verlangen. Was ich mir wünschen würde, sind mehr Männer, die sich für den Feminismus einsetzen. Ich habe so wenig Kollegen in meinem Umfeld, die mal was dazu posten und ihre Reichweite für Frauenthemen nutzen. Das fehlt der Bewegung.

Credit: Edi Haberl

Woran arbeitest du aktuell?

Jetzt gerade drehe ich „CumEx“, eine Serie über den deutschen Finanzskandal. Mit 47 Männerrollen und vier Frauenrollen. Weil auch das etwas ist, was eigentlich nur Männer getan haben. (lacht) Einen Film in Köln, auf den ich mich sehr freue, über ein sehr ernstes Thema, Jugendsuizid, dann Tatort …

Und dann Landkrimi …

Hoffentlich, das wäre sehr, sehr schön! Und dann kommen noch einige Projekte, über die ich, wie das so üblich ist, noch nicht sprechen darf. Und dann spiele ich natürlich noch Theater und freue ich mich natürlich auf die nächste Spielzeit beim Berliner Ensemble.

Lydia Bißmann, Sigrun Karre (v.l.n.r.) Credit: Edi Haberl