„Wir machen eben keine Mainstream-Literatur“
Interview: Paul Klingenberg, Laura Schuler, Klingenberg Verlag
Text: Lydia Bißmann - 14.12.2024
Seit 2017 bringt der Grazer Klingenberg Verlag eine sehr feine und konzise Auswahl an Lyrik, Prosa und Sachliteratur, die sich durch ihre diverse Ausrichtung und Mehrsprachigkeit auszeichnet. Im Interview erzählen Paul Klingenberg und Laura Schuler über ihre Arbeit, ihre Bücher und ihre Autoren.
Paul Klingenberg und Laura Schuler. (Credit: Klingenberg Verlag)
Der Klingenberg Verlag beging dieses Jahr seinen siebten Geburtstag. Im menschlichen Körper erneuern sich die Zellen alle sieben Jahre – dann ist man von Kopf bis Fuß ein neuer Mensch. Wie hat sich euer Verlag in dieser magischen Zeit verändert?
Paul Klingenberg: Mein Leben ist inzwischen stark um diesen Verlag herum gebaut. Seit zwei Jahren haben wir ein eigenes Büro, was ja auch zeigt, dass sich einiges manifestiert hat. Vorher habe ich zu Hause gearbeitet, das war alles sehr improvisiert, und ich musste zwischen den Bücherkisten schlafen. Inzwischen erscheinen mehrere Bücher im Jahr, und wir haben uns gut in diesen Rhythmus von Frühjahrs- und Herbstprogramm eingefunden. Das erfordert Erfahrung, langfristiges Denken, aber auch Beziehungen. Am Anfang stand das erste Buch meines Vaters im Zentrum, aber seitdem sind viele neue Bücher erschienen.
Laura Schuler: Ich bin erst seit vier Jahren dabei, aber anfangs mussten wir uns aktiv bemühen, mehr Programm und Lesungen auf die Beine zu stellen. Mittlerweile ist so viel los, dass wir mit der Arbeit oft gar nicht nachkommen. Wir bekommen inzwischen sehr viele Manuskripte zugeschickt, manchmal kommen täglich E-Mails mit Texten. Vieles geht nun immer mehr von selbst.
Paul, Du wolltest eigentlich Volksschullehrer werden und hast auch Philosophie studiert. Wie bist du schließlich Verleger geworden?
Paul Klingenberg: 2016 ist mein Vater leider verstorben, und er hat mir vorher das Manuskript seines Buches Prüfungskunde vermacht. Wir hatten in gemeinsamer Absprache beschlossen, dass das Buch unbedingt erscheinen soll, wobei er explizit nicht wollte, dass ich es selbst herausgebe. Es war aber nun mal ein Herzensprojekt von mir. Es ist ein gutes Buch – es mag vielleicht wie eine wissenschaftliche Arbeit wirken, ist aber Satire, humorvoll und hat durch die klare, schöne Sprache auch etwas Literarisches. Ich wollte, dass es in einer hochwertigen Edition verfügbar ist. Damit war mir dann die Aufgabe gestellt, selbst einen guten Verlag aufzubauen.
Laura Schuler: Wir machen eben keine Mainstream-Literatur, keinen fünfhundertsten Krimi oder irgendwelche Reiseführer, sondern das, was uns gefällt. Das kann schon auch einmal unkonventionell sein. Wir machen Bücher, die nischig sind, die man nicht so leicht in eine Schublade einordnen oder kategorisieren kann.
Paul Klingenberg: Damals wollte ich einfach dieses eine Buch herausbringen und schauen, wie das überhaupt geht. Ich bin nicht mit einem Reißbrett rangegangen. Wenn etwas entstehen soll, muss man auch die Möglichkeiten zur Entwicklung bieten. Kommt ein Kind zur Welt, sagt man vorher ja auch nicht, die Nase soll genau so aussehen und es muss unbedingt blond sein. Das wäre schlimm. Das Motto mit der Schublade kam uns, als Leuchtfeuer im Kupfer der Dämmerung von Jim Palmenstein bereits erschienen war. Er schreibt sehr unkonventionell und hat lange nicht veröffentlicht. Das Buch meines Vaters war ja auch lange in einer Schublade. Ähnlich war es bei den englischen Kurzgeschichten Worlds Apart von David Newby. David hat zu mir gesagt: „Ich habe diese Geschichten schon lange, aber ich bin schüchtern, ich vermarkte mich sehr, sehr ungern, aber dir traue ich das zu!“
Mehrsprachigkeit ist eines eurer Merkmale. Hat das damit zu tun, dass Du Paul ein englischsprachiges Gymnasium besucht hast?
Paul Klingenberg: Die Graz International Bilingual School (GIBS) als internationale Schule hat sicher dabei geholfen. Ich bin auch immer gerne gereist. Wenn man einen mehrsprachigen Verlag hat, hat man immer ein Alibi, um zu verreisen – das habe ich mir jedenfalls eingeredet. Das Konzept ist aber überhaupt nicht aufgegangen. Ich war noch nie in Kanada, wo unser Autor Jean Peron herkommt. In Kurdistan, Andalusien oder der Ukraine waren wir auch noch nie. Da kommen nur die Bücher her.
Laura Schuler: (lacht): Ja genau, wir tun eigentlich nur so. als wäre wir multikulturell, aber eigentlich bleiben wir immer nur hier. Wir haben beide ein Auslandssemester in Italien gemacht – da haben wir uns auch kennengelernt. Vorher habe ich schon ein Jahr in Rom gelebt. Ich selbst beherrsche jetzt nicht so viele Sprachen, aber ich finde, man kann über eine Sprache viel über eine Kultur lernen. Ich mag die Vielfalt und die Unterschiede.
Mit dem Buch Der Rabe, der mich liebte von Abdelaziz Baraka Sakin habt ihr ein Buch eines Grazer Stadtschreibers verlegt. Was ist das Besondere daran?
Paul Klingenberg: In diesem Roman spielt Graz eine Schlüsselrolle – die Stadt ist für die Hauptfigur Adam Ingliz zunächst eine Zwischenstation, wird dann aber eigentlich zum Ort seines Untergangs. Er lebt hier als Junkie. Natürlich ist Graz nicht schuld an seinem Untergang; das liegt an dem den Zynismus gesellschaftlicher und politischer Natur, der im Umgang mit Flüchtenden an den Tag gelegt wird. Trotzdem wird dieses tragische Thema mit viel Humor und Leichtigkeit behandelt.
Laura Schuler: Ich finde es interessant, dass die Geschichte der Hauptfigur auf sehr unterschiedliche Weise und immer mit großer Empathie aus verschiedenen Perspektiven erzählt wird. Dadurch gewinnt sie an Vielschichtigkeit.
Paul Klingenberg: Das Buch, das wir gemeinsam mit dem Kulturamt der Stadt und der Kulturvermittlung Steiermark herausgeben, wird aktuell gut und häufig von Medien und Bloggern besprochen. Das haben wir auch der Übersetzerin Larissa Bender zu verdanken, die sehr gut vernetzt ist. Abdelaziz Baraka Sakin wurde in den literarischen Salon von Navid Kermani und Guy Helminger nach Köln eingeladen und ist jetzt auf der Litprom-Bestenliste gelistet, die viermal im Jahr belletristische Neuübersetzungen aus aller Welt nominiert.
Der Rabe, der mich liebte von Abdelaziz Baraka Sakin (Credit: Klingenberg Verlag)
Zerfall der Lage von Rudolph J. Wojta ist eine erfundene Geschichte über einen jungen, bisexuellen Schriftsteller, der aber auch Heimito von Doderer sein könnte. Wie seid ihr zu diesem Buch gekommen, mit dem ihr auf der Buch Wien im Programm vertreten gewesen seid?
Paul Klingenberg: Die Geschichte basiert auf den Tagebucheintragungen von Heimito von Doderer. Darin beschreibt er seine Erfahrungen im sibirischen Kriegsgefangenenlager sehr detailgetreu. Die Geschichte ist also halb erfunden. Ein lieber Freund unseres Autors David Newby, Nick Allen, ist mit Rudolph J. Wojta bekannt und hat uns gefragt, ob wir ihn nicht auch herausbringen könnten. Er hat ja schon einmal ein erfolgreiches Buch geschrieben. Zuerst habe ich gedacht, Doderer klingt schon etwas altbacken, aber dann habe ich entdeckt, dass der Text genial ist. Die Sprache ist wahnsinnig gut, Rudolph hat Humor und ist historisch extrem bewandert. Das hat Substanz und Qualität. Ich habe dann auch angefangen, mich mit Doderer zu beschäftigen, obwohl ich ihn als Schriftsteller eigentlich eher kritisch sehe.
Laura Schuler: Ich hatte Doderer auch noch nie gelesen, aber mich erinnert die Sprache von Rudolph J. Wojta an Thomas Mann. Neben Heimito von Doderer und Marcel Proust ist Thomas Mann einer der Schriftstellergötter von Rudolph. So wie ich das verstanden habe, ist er, seitdem wir mit ihm arbeiten, hochmotiviert und schreibt unablässig an neuen Romanprojekten. Zerfall der Lage war ganz sicher nicht das letzte Buch, das wir mit ihm gemacht haben. Er hat auch noch sehr vieles in der Schublade liegen.
Zerfall der Lage von Rudolph J. Wojta (Credit: Klingenberg Verlag)
Was muss man als Verleger:in , abgesehen von der treffsicheren Auswahl der Texte, noch alles können?
Paul Klingenberg: Man muss verbindlich sein können, denke ich. Ein Autor oder eine Autorin gibt einem ja ein Werk von sich – das ist etwas ungemein Intimes und Wichtiges für diese Person. Man muss ihnen das Gefühl vermitteln, dass man vertrauenswürdig ist und dass sie sich im gesamten Prozess auf einen verlassen können. Bei einem kleinen Verlag wie unserem muss man dazu bereit sein, wirklich enge Arbeitsbeziehungen zu pflegen.
Verlag Klingenberg
Färbergasse 6, 8010 Graz