„Hier sind alle willkommen!“

Interview: Natascha Grasser, Manfred Weissensteiner - spleen*graz

Text: - 19.04.2024

Rubrik: Theater

Natascha Grasser, Hanni Westphal, Manfred Weissensteiner (v. l. n. r.). Credit: Clemens Nestroy

In diesem Jahr findet die 10. Ausgabe von spleen*graz statt. Mezzanin-Leiterin Natascha Grasser und TaO-Gründer Manfred Weissensteiner kuratieren mit Hanni Westphal das Programm des alle zwei Jahre stattfindenden Theaterfestivals für junges Publikum. Im Gespräch mit KUMA sprachen sie über den Stellenwert von Kindertheater, die Ehrlichkeit des jungen Publikums und den einladenden Charakter von Sternchen.

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Was hat euch dazu inspiriert vor 18 Jahren ein Kindertheaterfestival in Graz aufzuziehen?

Manfred Weissensteiner: Wir, das TaO und das Mezzanin Theater, waren als Theatermacher*innen für junges Publikum damals bereits viel auf Festivals unterwegs. Zu der Zeit gab es in Österreich erst zwei Festivals für Kinder- und Jugendtheater. So sind wir mit unserem Vorhaben, über den Tellerrand zu blicken und internationales Theater für junge Menschen nach Graz zu bringen, bei der Kulturpolitik erfreulicherweise sofort auf offene Ohren gestoßen.

Happy Birthday spleen*graz - Eröffnung am 18.04.24 mit Hanni Westphal (mitte) , Credit: Clemens Nestroy

Der kulturelle Austausch ist bei internationalen Veranstaltungen besonders spannend. Gibt es noch sehr große nationale Unterschiede in der Kinder- und Jugendtheater-Szene? 

Manfred Weissensteiner: Die gibt es auf alle Fälle. Es gibt immer Vorreiter und Nachreiter. Wir hatten einmal eine türkische Produktion eingeladen, nicht zuletzt, weil wir für die türkische Community vor Ort etwas anbieten wollten; die hatten z.B. eine für unser Empfinden stark traditionelle Auffassung von Theater.  Im deutschsprachigen Raum ist der Zugang zum Theater über Literatur nach wie vor sehr stark, in den Benelux-Ländern gibt es diese Tradition weniger. Bei uns im deutschsprachigen Raum gab es auch lange eine klare Trennung zwischen Theater für Erwachsene und Theater für junge Menschen; zweiteres hatte deutlich weniger Renommee. In Schweden hat Theater und Kunst für junge Menschen im Allgemeinen einen viel höheren Stellenwert. Der Astrid-Lindgren-Preis als weltweit höchstdotierter Preis für Kinder- und Jugendliteratur veranschaulicht das deutlich, da kann kein Georg-Büchner-Preis mithalten. Natascha Grasser: Abseits von den Kategorien „traditionell“ oder „progressiv“, gibt es ganz unterschiedliche Szenen. Kürzlich war ich in Helsinki; dort ist das Kinder- und Jugendtheater sehr stark vom Zirkus, insbesondere vom zeitgenössischen Zirkus geprägt. Gerade diese Vielfalt an Zugängen macht das spleen*graz-Festival so bunt und interessant. 

Gibt es etwas, was bei Kindertheater definitiv nicht funktioniert?

Natascha Grasser: Kinder geben dir viel schneller und ehrlicher Feedback, wenn etwas langweilig ist oder sie nicht abholt. Kinder sind noch nicht höflich als Publikum. Wenn sie unaufmerksam werden, werden sie unruhig. Das ist eine zentrale, spannende Herausforderung. Gerade bei Jugendlichen funktioniert es nicht so zu tun, als wäre man Jugendlicher und könnte ihnen die Welt erklären.  Manfred Weissensteiner: Meiner Erfahrung nach funktionieren bei kleineren Kindern experimentelle Formate besser als bei den 10- bis 14-Jährigen. Die Älteren haben eher konservativere Vorstellungen von Theater. Was beim ganz jungen Publikum nicht funktioniert, ist Ironie.

Das spleen*-Team im Park vor dem Theater am Ortweinplatz, Credit: Clemens Nestroy

Der Titel spleen* mit dem Sternchen am Ende deutet eine klare Haltung an, wie macht sich das bei der Programmauswahl oder beim Festival generell bemerkbar?

Manfred Weissensteiner: Das Sternchen war bei der Gründung von spleen* noch nicht konnotiert. Heute aber hat das Sternchen Bedeutung, auch und gerade für uns. Daran lässt sich gut erkennen, die Gesellschaft und die Themen haben sich in den letzten 18 Jahren weiterentwickelt. Theatermacher*innen sind heute diverser, ebenso wie das Publikum und die Themen. Natascha Grasser: Für mich ist das Sternchen ein schönes, klares Zeichen, das alle einlädt.  Die Message soll nicht nur sein, dass unser Programm divers ist, sondern sie ist auch eine Begrüßung: „Hier sind alle willkommen!“ Deswegen setzen wir uns stark damit auseinander, wie man einen diskriminierungssensiblen Raum schaffen kann, wo sich viele Menschen wohlfühlen. Und diese Haltung spiegelt sich idealerweise im Programm wider, indem wir möglichst viele Menschen meinen und Barrieren abbauen. Ein Ansatz ist es junge Menschen als Akteur*innen einzubinden, z.B. über die Schiene spleen*trieb, wo junge Menschen eigene Projekte im Rahmen des Festivals präsentieren oder über diverse partizipative Formate und Workshops.

Hat sich seit 2006 - auch in Hinblick auf Smartphonenutzung - sehr deutlich etwas verändert in der Art, wie man mit Theater Kinder und Jugendliche erreicht? 

Manfred Weissensteiner: Insgesamt hat sich natürlich etwas geändert. Wir haben mehr migrantische Kinder in Graz als vor 18 Jahren, die auch auf der Bühne vorkommen müssen, um sie erreichen zu können. Und das Handy hat in Hinblick auf Konzentrationsfähigkeit bestimmt etwas verändert. Aber gerade deswegen ist Theater als reduzierter, gemeinsamer Konzentrationsort relevant. Für Jugendliche ist Theater nicht das erste „Konsum“-Medium, da kommt vorher Musik oder Netflix. Wenn man Jugendliche aber auf die Bühne stellt, wird Theater für sie spannend. Natascha Grasser: Ich glaube, die veränderte Aufmerksamkeit durch das Smartphone ist ein Thema, das uns als gesamte Gesellschaft betrifft; ich merke das an mir selbst. Und dann glaube ich auch, dass neue Theater-Formate relevant sind. Wieso Theater mit Netflix nicht mithalten kann, ist die Verfügbarkeit. Netflix ist immer und überall per Klick zugänglich. Mit Theater kommt man meist nur in Berührung, wenn es von Schule oder Eltern initiiert wird und es ist mit einem gewissen Aufwand verbunden. Deswegen sind unsere Kooperationen mit Schulen so wichtig und werden auch sehr gut angenommen.

Junges Theater Basel: SING ME A LOVE SONG, spleen*graz2024, Credit: Clemens Nestroy

Gibt es Veränderungspläne für die Zukunft?

Manfred Weissensteiner: Nach dem Festival im Mai haben wir eine Team-Besprechung angesetzt, wo wir reflektieren und über die Zukunft nachdenken werden. Die aktuelle Dimension des Festivals funktioniert bestens, wir sind ausverkauft und können die Organisation mit den vorhandenen Strukturen gut bewältigen. Vom Publikumsinteresse her bestünde die Möglichkeit, das Festival zu vergrößern. Die Frage ist, ob das unser Weg ist.

spleen*graz zu einem jährlichen Festival zu machen, ist kein Thema?

Natascha Grasser: Mit einem größeren Team wäre das organisatorisch zwar auch jährlich machbar. Allerdings ist es bereits jetzt so, dass nach dem Festival vor dem Festival ist. Viele Gruppen sind so gut gebucht, dass wir oft schon zwei Jahre davor anfragen müssen.  Das spleen*graz-Festival war für mich persönlich vor vielen Jahren der erste Anknüpfungspunkt in Graz an die freie Szene. Damals habe ich selbst bei der Jugend-Schiene spleen*-Trieb begonnen, Theater zu machen. Zu sehen, wie sich das Festival entwickelt hat und nun selbst am Programm mitzuarbeiten, ist für mich sehr besonders. Interview: Sigrun Karre