La Fleur â The Phantom of the Operetta
Interview: Monika Gintersdorfer, steirischer herbst'24
Text: Stefan Zavernik - 17.09.2024
Rubrik: Kunst
Das transnationale Kollektiv La Fleur wird bei der Eröffnung des steirischen herbst 2024 auf Einladung des Festivals mit einer Performance die gesellschaftspolitische Bedeutung der spÀten Wiener Operette erkunden. KUMA sprach mit Regisseurin Monika Gintersdorfer.
Der steirische herbst ist bekannt fĂŒr seine avantgardistischen und experimentellen AnsĂ€tze. Was bedeutet es fĂŒr Sie, an diesem Festival teilzunehmen, und welche Erwartungen haben Sie an das Publikum in Graz?
Wir freuen uns sehr auf Graz und diese spezielle Einladung des Festivals. Erwartungen an das Publikum habe ich persönlich eigentlich nie, im Moment der AuffĂŒhrung entscheidet sich, ob der Kontakt zum Publikum sich herstellt, oder eben nicht. Die Operette ist ein Unterhaltungsgenre und wir mögen Entertainment. Wir wollen wirklich gutes, mitreiĂendes Entertainment machen und gleichzeitig, einige Gedanken und Kontexte zu KĂĄlmĂĄn vermitteln, die vielleicht noch nicht allen bekannt waren.

La Fleur, The Phantom of the Operetta (2024), Performance, Foto: Monika Gintersdorfer
Die Operette wird oft als nostalgische Reminiszenz an die Zeit der österreichisch-ungarischen Monarchie betrachtet. Wie nÀhert sich La Fleur diesem Genre an, und welche neuen Interpretationen und Einsichten möchten Sie dem Publikum vermitteln?
Der nostalgische Blick auf die Operette ist verkĂŒrzt. Gerade in Hinblick auf den Komponisten Emmerich KĂĄlmĂĄn, der zeitlebens aktuelle musikalische und tĂ€nzerische Tendenzen in seine Operetten einbaute, stimmt das nicht. KĂĄlmĂĄns Interesse fĂŒr die Vereinigten Staaten und fĂŒr die von dort kommenden, neuesten Stile machten ihn zu einem KĂŒnstler am Puls der Zeit. In unserem StĂŒck stellen wir diese transatlantischen BezĂŒge in den Fokus.
Wie haben Sie die Musik von Emmerich KĂĄlmĂĄn fĂŒr Ihre Inszenierung adaptiert?
Wir spielen KĂĄlmĂĄn-Titel mit einem kleinen Streicherorchester, zu dem wir manchmal perkussive Live-Instrumente oder elektronische Musikelemente hinzufĂŒgen. Manchmal spielen wir auch den Originaltitel und anschlieĂend eine eigene Version. Aber wir komponieren auch neue eigene Titel, in denen die Kontexte des Genres besungen werden. Die Operette der 1920er Jahre war sehr offen fĂŒr neue EinflĂŒsse und stĂ€ndige Ăberarbeitungen, um ModetĂ€nze oder angesagte Stile einzufĂŒgen, wie z.B. Tango oder Jazz, die damals gerade in Mitteleuropa bekannt wurden. KĂĄlmĂĄn hatte da kaum Hemmungen â solange die Ăberarbeitungen Erfolg versprachen.

Das Kollektiv La fleur (Credit: Mukenge/Schellhammer)
Welche Parallelen sehen Sie zwischen den politischen UmbrĂŒchen der Zeit um 1900 und den heutigen globalen Entwicklungen?
In unserem heutigen Kontext ist nicht nur die Zeit um 1900 interessant, sondern die Jahrzehnte von 1900 bis in die Nachkriegszeit der 1950er Jahre. Das Heute erinnert in seiner gesellschaftlichen Zerrissenheit, aber auch in der kĂŒnstlerischen ProduktivitĂ€t an die 1920er Jahre, in denen sehr weit auseinanderklaffende politische und Ă€sthetische Positionen nebeneinander existieren konnten. Bis sie dann vom Faschismus zugunsten einer vereinheitlichten, nationalen Kultur brutal beendet wurden. Ab diesem Moment wurde Abweichendes als entartet gebrandmarkt und verboten. Die Zeichen unserer Zeit weisen deutlich in eine Ă€hnliche Richtung. Die Offenheit fĂŒr multiple EinflĂŒsse, Ăsthetiken und Lebensweisen, an die wir uns in den letzten Jahrzehnten gewöhnt hatten, droht wieder zurĂŒckgedreht zu werden. Rechte Politiker*innen werden in demokratische Ămter gewĂ€hlt, menschenfeindliche Gedanken sind Teil unserer diskursiven Ăffentlichkeit geworden. Und wie in den 1920er Jahren werden diese Tendenzen durch wirtschaftliche Schwierigkeiten und das Desinteresse der Politik, diese Schwierigkeiten zu beheben, befeuert.
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Credit: Grupa Ee
Die Operette war traditionell ein Unterhaltungsformat, das oft als eskapistisch betrachtet wurde. Inwiefern sehen Sie in Ihrer Arbeit eine Möglichkeit, dieses Genre zu dekonstruieren und seine dunkleren Untertöne hervorzuheben?
Dass der Operette Eskapismus vorgeworfen wird, ist ein Erbe der 1950er Jahre, als Politik, Kultur und alle anderen gesellschaftlichen Bereiche in Ăsterreich und Deutschland in einer gigantischen Kraftanstrengung versuchten, die Schuld und die Verbrechen der vorangegangenen 20 Jahre zu vergessen. Die lebendige, lustige, glamouröse Operette der Zeit vor dem 2. Weltkrieg fiel diesen VerdrĂ€ngungsbestrebungen zum Opfer. Das Phantom der Operette beschĂ€ftigt sich nicht mit der Operette der 1950er Jahre. FĂŒr uns ist die schillernde Operette der 1920er Jahre interessant.
La Fleur besteht aus KĂŒnstler*innen unterschiedlicher kultureller HintergrĂŒnde. Wie beeinflusst diese transnationale Zusammenarbeit Ihre kreative Praxis, insbesondere bei der Inszenierung eines so spezifisch europĂ€ischen Genres wie der Wiener Operette?
Die Operette ist kein «spezifisch europĂ€isches» Genre, zumindest nicht, wenn es um Emmerich KĂĄlmĂĄn geht. Kalman war ein Kosmopolit und diese Neugier fĂŒr die Welt spricht aus seinen Werken. Die Deutung Kalmans als nationales Kulturgut ist wirklich ein PhĂ€nomen der Nachkriegsrezeption (und heutzutage von Viktor OrbĂĄn, der KĂĄlmĂĄn zum ungarischen Nationalkomponisten stilisiert). Man spricht bis heute kaum ĂŒber KĂĄlmĂĄns transatlantische EinflĂŒsse und ĂŒber Werke wie "Die Herzogin von Chicago" und "Arizona Lady", die viel weniger bekannt sind als "Die CsardasfĂŒrstin", "Die Zirkusprinzessin" oder "GrĂ€fin Mariza" beispielsweise. Aber selbst diese österreichisch-ungarischen Kassenschlager wurden damals am Broadway und in vielen anderen LĂ€ndern gespielt. KĂĄlmĂĄn war schon frĂŒh international vernetzt und kannte Komponistenkollegen wie Gershwin und Cole Porter sehr gut. KĂĄlmĂĄn als Nationalkomponist ist eine verfehlte Interpretation.
La Fleur wurde 2016 gegrĂŒndet und hat seitdem auf verschiedenen internationalen BĂŒhnen performt. Wie hat sich Ihre kĂŒnstlerische Vision seit der GrĂŒndung des Kollektivs entwickelt, und inwiefern spiegelt sich diese Entwicklung in Ihrer aktuellen Arbeit wider?
Diese Inszenierung ist eine konsequente Fortsetzung unserer Arbeit, die immer wieder Showbiz und Mechanismen des Freien Theaters sowie des Stadttheaters in Beziehung zueinander bringt. Wir entwickeln Methoden des internationalen Austauschs, Mehrsprachigkeit, setzen verschiedene Musik- und Tanzstile in Beziehung, das ist unsere Kernkompetenz. KĂĄlmĂĄns Operetten gefallen uns sehr â je öfter wir die Titel mit dem Orchester singen, desto mehr. Die Operette ist so etwas wie der europĂ€ische GroĂvater oder die GroĂmutter des Showbiz und in dieser Arbeit lernen wir sie besser kennen, das ist wirklich interessant.