"Das Leben steckt voller großer Gefühle"
Interview: Max Prosa, Musiker
Text: Sigrun Karre - 07.10.2022
Rubrik: Musik
Es ist nicht alles Kitsch, was glänzt. Max Prosas Lieder stehen für eine neue Empfindsamkeit. KUMA sprach mit dem Berliner Liedermacher anlässlich seines ersten Graz-Konzerts über sein musikalisches Gegenmittel zum Schwarz-Weiß, den Preis der künstlerischen Freiheit und Singen als magischen Prozess.
Die Single deines Albums „Wann könnt ihr endlich friedlich sein“ bezieht sich inhaltlich unüberhörbar auf die Vorgänge in Europa, in der Ukraine. Es ist aber kein politischer Song, sondern ein humanistischer Appell. Glaubst du mehr an das Gute als an das Schlechte im Menschen?
Zumindest würde ich sagen, ich glaube nicht an das Böse im Menschen oder, dass es so ganz klare schwarz-weiße Fronten gibt, die man unterstützen oder gegen die man sich auflehnen sollte, so wie es jetzt gerade vielfach passiert in den Medien. Praktisch als Gegenmittel dazu finde ich es wichtig zu sehen, dass wir „unter der Haut“ und „hinter der Sprache“ so ähnlich sind. Darauf will dieser Song hinaus, auf das Verbindende.
Kannst du ein bisschen was zur Entstehung des Albums sagen, das du am 8. Oktober auch in Graz präsentieren wirst?
Es sind 10 Lieder, die ich aufgenommen habe mit meiner Band von 2012, wir waren ja 2012/13 auf Tour mit dem Album „Die Phantasie wird siegen“ zu Beginn meiner Karriere, danach war ich sehr lange alleine unterwegs und hab mir dann Anfang 2021 die alten Sachen wieder angehört und sie so gut gefunden, dass ich daraufhin meinen alten Bandkollegen eine Mail geschrieben habe: „Wollen wir nicht noch einmal zusammen in den Proberaum?“. Darauf haben sie sich dann eingelassen und so ist das Album entstanden.
Auffallend ist der Enthusiasmus, der aus deinen Liedern sprüht. Woher kommt der?
Der Enthusiasmus, das Euphorische ist jetzt auch viel die Band gewesen, wir hatten alle gute Laune, waren froh, dass es wieder weitergeht, dass wir wieder spielen können. Wir hatten eine euphorische Grundstimmung und Lust diese ganzen Lieder auf diese Art zu spielen und zu arrangieren. Und ich war froh, dass ich plötzlich wieder diese Band hinter mir habe, was eine besondere Energie entfacht. Ich spiele auch nach wie vor gerne Solo-Konzerte als eine Art Geschichten-Erzähler, aber mit der Band Musik zu machen, das wird sicher weitergehen.
Du bist bereits 2012, also mit Anfang 20 als Musiker in Erscheinung getreten. Das Songwriting von z.B. 'Flügel' klingt in Anbetracht deines damaligen Alters sehr ausgereift. Ist dir die Musik in die Wiege gelegt?
Nein, also in meiner Familie gibt's keine Künstler und Musiker außer mir, deswegen lag das eigentlich gar nicht so nahe Musik zu machen. Ich habe zuerst auch alles Mögliche versucht, um davor zu fliehen, hab Physik und Philosophie studiert, aber die Musik hat mich immer wieder „gekriegt“ und abgeholt. Mit 18 war ich eine Zeit lang als Straßenmusiker in Irland, hab Dylan und Cash gespielt, um mir die Reise zu finanzieren, bei der Gelegenheit Mundharmonika spielen gelernt. Irgendwann habe ich dann gemerkt: „Ok, das mit der Musik hat anscheinend eine Bewandtnis.“ und dann hab ich ernsthaft Musik gemacht und es hat mit dem ersten Album gleich gut geklappt.
Nicht jeder kann von Kunst, von Musik leben. Sollte man trotzdem in jedem Fall seinen Träumen treu bleiben?
Ja, auf jeden Fall. Der Zeitgeist ist auch nicht immer auf der Seite von einem, ob etwas sich verkauft liegt an so vielen Dingen, ob man in der Lage ist diese Infrastruktur aufzubauen usw. Am Ende ist man als Künstler, im künstlerischen Prozess, aber davon abgekoppelt: Am Klavier sitzen und dieses Lied schreiben, das könnten wir alle, das ist ja das, was passiert und worum es eigentlich geht. Ob man danach noch seinen Beruf daraus macht oder sich dazu entscheidet, beruflich was anderes zu machen und dann trotzdem künstlerisch tätig zu sein, das muss jeder für sich selbst entscheiden. Vielleicht sind die größten Künstler ja gar nie an die Öffentlichkeit getreten, wer weiß das schon?
Wie ist es dir als Musiker in den "konzertlosen" letzten Jahren ergangen?
Das letzte Jahr habe ich am aktuellen Album gearbeitet. Davor bin ich eigentlich ganz gut durch die Zeit gekommen. Ich schreibe ja auch Gedichte und hab ein Gedicht-Abo mit 750 Abonnenten, die jeden Monat ein Gedicht von mir bekommen, das hat mich gut durch die ganze Pandemie gebracht. Und 2020 habe ich ja auch noch das Album „Grüße aus der Flut“ aufgenommen, „Wann könnt ihr endlich friedlich sein“ ist so gesehen fast das Post-Pandemie-Album, wenn man so will.
Max Prosa und Band 2022 live in Magdeburg, Credits: FB
Werden Gedichte manchmal zu Songs, oder ist das ein anderer kreativer Vorgang?
Songs schreibe ich am Klavier, da kommt diese Stimmung auf und da wird es gleich musikalisch begleitet. Meistens haben Lieder ja einen Refrain, und ein Gedicht ist mehr eine Schlagrichtung und es hat irgendwie ein anderes Gefühl und eine andere Form für mich.
Wie sieht so ein Arbeitstag bei dir aus: Gibt es da auch Routinen, oder lässt du dich eher treiben?
Ich hätte das gerne, eine Routine, aber eigentlich ist jeder Tag anders, weil ich viel auf Tour bin. Ich habe auch zwei Kinder, um die ich mich kümmere und so ist eigentlich bisher relativ wenig Struktur und ich muss mir das jeden Tag wieder neu erschaffen und auch innerlich spüren, wenn es wieder mal Zeit ist mich ans Klavier zu setzen. Aber es lässt sich gut vereinbaren, die Kinder sind mit auf Tour, beim letzten Lied am Album singen sie den Chor und das ist dann auch mein Familiending, mit ihnen unterwegs zu sein.
Was brauchst du, um kreativ zu sein? Schaffenskrisen sind angesichts regelmäßig neu erscheinender Alben vermutlich kein Thema?
Manchmal habe ich ein bisschen den Faden verloren, und weiß irgendwie nicht genau wie weiter, aber nur um ihn dann irgendwo wiederzufinden. (lacht) Die Gefahr ist eher, dass ich mir nicht genug Raum geben für das Eigentliche, das Kreative. Das ist bei den meisten Künstlern ein Thema, weil wir ja auch viel selber machen. Künstler sind ja häufig in Personalunion Manager, Booker und Musikschreiber, Dichter, Interpreten usw. und die Kreativität braucht halt diesen leeren Raum, dann kommt sie bei mir aber bisher immer zuverlässig.
Du warst jahrelang bei einem Major-Label, wo dir die aufgezählten Tätigkeiten abseits des Kreativen abgenommen wurde, und hast dich dann entschieden, deine Musik selbst zu produzieren.
Ja, der Preis ist eben hoch, wenn man bei einer großen Firma unter Vertrag steht. Man verliert seine Freiheit und muss Dinge machen, um seine Musik zu verkaufen und Musik womöglich auch so machen, dass sie sich verkaufen lässt. Und das war dann doch nicht das Richtige für mich.
Kann man sich dem Business denn wirklich entziehen?
Wenn man davon leben will, kann man sich dem natürlich nicht ganz entziehen, man muss auch irgendwie aufbereiten, was man da macht. Manchmal tut das der Sache aber auch gut. Ein Album abzuschließen, bedeutet auch, dem ein schönes Design zu geben. Für mich muss es so sein, dass ich selbst noch Freude daran habe und die anderen Leute, die daran mitarbeiten, das gerne tun. Das ist am Ende, was der Vision entspricht und nicht dem Zeitgeist. Dass wir dem Trend nicht hinterherrennen müssen, dafür bin ich schon sehr dankbar. Der Preis dafür ist, dass ich alles selbst machen muss.
Du hast keine Berührungsängste in Richtung Pathos und Gefühl. Ist das eine bewusste Haltung?
Ich finde es interessant an Kunst und an Ausdruck, wenn ich diese Gefühle da reinnehme, was andere dann vielleicht als Pathos beschreiben. Ich glaube, mein Zugang ist oder war zumindest lange so ein wenig gegen den Zeitgeist. Die Liederschreiber der Hamburger Schule haben das z.B. immer vermieden, so getan, als gäbe es das nicht, und eher versucht cool zu klingen. Trotzdem gibt es das natürlich, jetzt gerade in dieser Zeit merkt man, wenn der Krieg ausbricht, dass das Leben doch voller großer Gefühle steckt. Ich habe den Eindruck viele meiner Lieder treffen jetzt erst auf den Nährboden, der lange gefehlt hat, weil es die letzten Jahre uncool war, seine Gefühle groß zu zeigen.
Gerade im deutschsprachigen Raum herrscht tendenziell eine große Distanz zum Gefühlten, in der Literatur, im Songwriting. Oder aber man ironisiert es. Die deutsche Sprache scheint aktuell ein wenig verkopft zu sein. Woran könnte das liegen?
Ich glaube das große Gefühl, das wurde zumindest in Deutschland mit so Dingen wie dem Nationalsozialismus, mit Wagner und so weiter assoziiert. Deswegen hat man wohl versucht Distanz einzunehmen und Dinge vom Gegenteil ausgehend auszudrücken und einzufangen, das hat ja auch zu interessanten Ergebnissen geführt, trotzdem ist das nicht der einzige Weg.
Credits: FB
Einer meiner Söhne meinte kürzlich, deine Musik klingt wie aus einer anderen Zeit, du seist so eine Art Minnesänger. Hattest du schon mal das Gefühl, in der falschen Zeit zu leben?
Das liegt natürlich nahe bei mir, weil ich z.B. in Notizbücher schreibe und analog unterwegs bin. Ich versuche aber immer nicht so zu denken, weil das zu einfach ist, zu sagen, ich mache das alles so wie früher. Ich versuche gar nicht zu klingen wie 1960, es ist nur glaube ich trotzdem so. Ich produziere nicht am Computer alles vor, sondern frage meine Band, ob sie ins Studio kommt. Und alleine das ist wohl heutzutage schon ungewöhnlich.
Du beschäftigst dich in deinen Liedern deutlich hörbar auch mit Spiritualität, wie ist da dein Zugang?
Singen ist eine spirituelle Tätigkeit, in allen Religionen und Kulturen seit Tausenden und Abertausenden von Jahren gab es Gesang, der die Menschen verbunden hat. Es existiert eine Magie, die das Lied hat, wir hören diese eine Zeile und in allen unseren Köpfen erscheint ein anderes „Gesicht“ zu der Zeile passend, aber auf dieselbe Art. Singen ist ein gemeinschaftlicher, magischer, spiritueller Prozess. Das wird nur vergessen in der Zeit jetzt mit Spotify und allem, was in dem Bereich im Vordergrund steht, was jetzt nicht unbedingt zu diesem gemeinschaftlichen Erleben führt, sondern jeder macht es alleine für sich. Aber trotzdem ist es das immer noch. Aus dem gemeinsamen Erleben, das ein Lied ermöglicht, entspringt auch meine Motivation Musik zu machen.
Es gibt die Tendenz, Spiritualität mit Aluhut, Wissenschaftsfeindlichkeit und brauner Esoterik zu assoziieren. Wie siehst du das?
Es ist natürlich so, dass wir im Zeitalter der Wissenschaft und in einer Daten- und Faktenwelt leben, aber trotzdem gibt es ja gewisse Fragen, auf die es überhaupt keine Antworten gibt. Woher wir kommen, wohin wir gehen, wer wir sind, dazu kann die Wissenschaft letztlich auch nichts sagen. Aber das sind Fragen, die der Mensch auch schon immer hatte und die sich auch nicht durch Technologie wegmachen lassen. Höchstens kann man sich damit besser davon ablenken vielleicht. Daher ist es vermutlich an dieser neuen Zeit eine neue Spiritualität zu finden, die sich deutlich abgrenzt von den Dingen, die waren und in Verruf geraten sind., Stichwort katholische Kirche und so weiter. 'Ich bin ein Ding aus Fleisch und Blut und Liebe sind nur die Botenstoffe im Gehirn‘, mit einem solchen Weltbild will niemand leben. „Sind wir Enzyme, Knochen, Fleisch und Blut, das kann ja sein, doch das ist nicht genug“ lautet eine Zeile des Songs „Meisterstück“ auf meinem neuen Album, der spielt mit diesem Thema.
Du sprichst von einer ‚neuen Zeit‘, glaubst du also an eine spirituelle Revolution oder Evolution oder an eine humanistischere Zukunft?
Ja, ich glaube daran, dass wir das brauchen, dass wir uns nicht damit zufriedengeben, dass wir eine zufällige Zusammensetzung von Atomen sind.
Credits: Z13 Photography