Feminismus, Literatur und Lieder, die man erst jetzt versteht

Interview: Konstantin Wecker

Text: Sigrun Karre & Lydia Bißmann - 02.04.2024

Rubrik: Musik
Konstantin Wecker

Liedermacher, Poet und Pazifist Konstantin Wecker (Thomas Karsten)

Liedermacher, Poet, Autor, Sänger und Schauspieler Konstantin Wecker sprach mit uns anlässlich seines Graz-Konzerts am 5. April im Stefaniensaal über einflussreiche Obermachos, faschistische Mythen und Liebe als Lebensaufgabe.

Auf Ihrem neuen Album Utopia finden sich viele alte Lieder wieder. In Ihrem Lied “Der Krieg“ von 2015 warnen Sie vor dem dritten Weltkrieg. Sie haben im Laufe ihrer Karriere schon viele Krisen und Kriege kommen und gehen sehen – wie schwer ist es für Sie, konsequenter Pazifist zu bleiben? 

Das ist zurzeit wahnsinnig schwer, aber für mich als Künstler gibt es keine Alternative. Die Idee, Frieden zu schaffen ohne Waffen, war einmal der Wahlspruch der Friedensbewegung. Wenn diese Idee auch in der Kunst ausstirbt, wäre das furchtbar. Mein Credo, gewaltfrei Widerstand zu leisten, möchte ich niemandem als Ideologie überstülpen, aber für mich persönlich habe ich entschieden, dass ich mich lieber erschießen lasse, als jemand anderen zu erschießen. Das ist eine persönliche Entscheidung. Ich habe mich ein Leben lang mit Stefan Zweig beschäftigt und es wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, wenn ganz viele Menschen „Die Welt von gestern“ lesen würden. Er schrieb damals, was auch heute gilt – die meisten, die für Lieferung von schweren Waffen sind, ziehen selbst nicht in den Krieg, die schicken andere.

Konstantin Wecker

Konstantin Wecker verbindet seit über 50 Jahren Poesie mit Haltung. (Thomas Karsten)

Rechte setzen sich plötzlich für Grundrechte ein, Linke für Aufrüstung, neue Medien produzieren Fake News, Verschwörungsmythen. Die Welt steht kopf. Sie sind mit dem Programm Utopia 2.0 demnächst in Graz – muss man die alten Utopien heute neu denken? Gibt es noch eine Haltung, mit der man sicher richtig steht?

Ich war als 17-Jähriger ein glühender Verehrer von Henry Miller, bei ihm habe ich gelesen: „Ein Künstler hat die Pflicht, Anarchist zu sein“. Das hat mich ein Leben lang geprägt, daher habe ich meine anarchistische Grundhaltung. Meine Utopie und – wie ich glaube – auch die meines Publikums, ist die Utopie einer herrschaftsfreien Gesellschaft. In diesem Wort ist nicht zufällig das Wort „Herr“ enthalten, gemeint ist also vorrangig eine nicht patriarchale Gesellschaft. In den letzten Jahrtausenden sind wir von patriarchalen Obermachos von Caligula bis Trump immer wieder in Kriege getrieben worden, und sind ihnen dummerweise hinterhergelaufen. Wir haben immer noch keine echte Gleichberechtigung, auch keine Gleichberechtigung von weiblicher und männlicher Denkweise.

Sie haben einmal gesagt, Sie seien selbst ein Macho gewesen, aber im Laufe ihres Lebens zum Feministen geworden, was die wenigsten Männer von sich behaupten. Was beutet es für Sie Feminist zu sein?

Oh ja, ich weiß, wovon ich rede! (lacht). Feminist zu sein bedeutet für mich sich aktiv für Gleichberechtigung von Frau und Mann einzusetzen. Der Anarcho-Grundgedanke (ich verwende diesen Begriff lieber als Anarchismus, denn ich bin gegen alle Ismen und Ideologien) meint auch, dass es Zeit wird, sich nicht mehr den kruden Fantasien einzelner Mannsbilder zu beugen. Ich lebe auch in Italien, wo wir von einer Faschistin regiert werden. Ja, es gibt auch Faschistinnen, Frau Weigel und wie sie alle heißen. Dennoch würde ich sagen, der Faschismus war und ist ein Problem des Patriarchats. Und weil sie vorhin Fake News angesprochen haben. Hier empfehle ich als Lektüre Wilhelm Reichs „Massenpsychologie des Faschismus”. Er beschreibt darin klar, dass der Faschismus auf Mythen beruht. Fake News sind die Mythen von heute.

Meine erste persönliche Begegnung mit dem Künstler Konstantin Wecker war in der Schulzeit im katholischen Gymnasium, in dem noch in den frühen 90ern autoritäre, schwarze Pädagogik keine Ausnahme war. Es gab aber einen sanften, feinsinnigen Deutsch-Lehrer, der regelmäßig Rilke und Wecker zitierte. Ihr Songtext “Es ist schon in Ordnung” hat bei mir als Kind einen Aha-Moment ausgelöst, ich habe mich da erstmals verstanden gefühlt. Sie haben vermutlich bei ganz vielen Menschen solche Aha-Momente im Leben ausgelöst. Henry Miller haben Sie bereits erwähnt, gab es noch andere „Schlüsselfiguren“ in Ihrem Leben?

Seit meinem 12. Lebensjahr beschäftige ich mich mit Poesie und ich glaube ohne Georg Trakl, Arthur Rimbaud und Charles Baudelaire hätte ich meine Pubertät niemals heil überstanden. Und ich bin ein unendlicher Verehrer von Rainer Maria Rilke, dass Sie erzählen, Ihr Deutsch-Lehrer hat Rilke und Wecker zitiert, macht mich richtig glücklich. Als Schüler bin ich – wie man heute sagen würde – gemobbt worden, weil ich ein Einzelgänger war. Ich habe mich mein Leben lang von der Poesie ermutigen lassen, zu mir selbst zu stehen. Faszinierend fand ich mit 17 Jahren Mascha Kaléko, weil sie so wunderbar und offen über ihr Frausein schreibt, später Ingeborg Bachmann. Henry Miller verehre ich bis heute, Erich Fromm und C. G. Jung waren der Grund, warum ich Psychologie studiert habe. Als mir vor 10 Jahren ausgerechnet der Erich Fromm-Preis verliehen wurde, war das natürlich unglaublich für mich! Ich wurde durch die Literatur immer bestärkt darin, meinem Herzen zu folgen.
Konstantin Wecker

Konstantin Wecker ist bekennender Anarcho und Kriegsgegner. (Credit: Thomas Steinborn)

Diesen Mut zum Außenseitertum hatte auch Ihr Vater, er war antiautoritär und Kriegsdienstverweigerer im 2. Weltkrieg. Haben Sie eine Idee woher er diesen großen Mut nahm und wie er es als junger Mann geschafft hat, so ganz immun zu bleiben gegen NS- Propaganda?

Das habe ich nie herausgefunden, er war ein ganz erstaunlicher Mensch und dass er ein antiautoritärer Vater war, war ein kleines Wunder. Denn er wurde 1914 geboren, das war DIE Zeit der schwarzen Pädagogik, mit der Kinder brutal zum Gehorsam gedrillt wurden. Das größte Glück meines Lebens war es wahrscheinlich, in einem nicht autoritären Elternhaus aufgewachsen zu sein. Warum er so anders war, hat mir mein Vater nie verraten, er hat nie über seine Kindheit gesprochen. Wie auch meine Mutter war er immer ein Antifaschist. Dass der Oberst ihn als Kriegsdienstverweigerer im Krieg nicht an die Wand gestellt, sondern ins Irrenhaus gesteckt hat, wo er überleben konnte, war ein Wunder. Vielleicht war das damals in gewisser Weise sogar eine verdeckte antifaschistische Tat dieses Obersts, meinen Vater vor dem Tod zu bewahren.

In den 1980er-Jahren gab es mit „Künstler für den Frieden“ vier Konzerte mit bis zu 200.000 Zuseher:innen und 200 beteiligten Künstler:innen. Können Sie sich vorstellen, dass es wieder so etwas wie Künstler für den Frieden geben wird?

Natürlich würde ich es herzlichst ersehnen, aber da muss ich nun etwas weiter ausholen. Ich werde nie zu den Menschen gehören, die von „Lügenpresse“ reden. Das ist ein rechtsradikaler Kampfbegriff und zudem kenne ich viele wunderbare Journalistinnen und Journalisten. Das aktuelle Kriegsgebrüll in der allgemeinen Tagespresse halte ich dennoch für unerträglich. Es ist schwer geworden, in den offiziellen Zeitungen noch einen Zuspruch zu einer pazifistischen Haltung zu finden. Wir leben also in völlig anderen Zeiten als vor 40 Jahren. Dass der Friedensgedanke zum Großteil aufgegeben wurde, schmerzt mich. Zugleich ist vieles von rechts unterwandert, man muss aufpassen, mit wem man es zu tun hat und sich laufend abgrenzen. Auch das macht ein solches Anliegen schwierig.

Woran könnte das liegen?

Wir dürfen nie vergessen, und das sage ich jetzt als Anarcho, alles, was wir zurzeit erleben, hat mit dem ausufernden Kapitalismus zu tun. Beim Utopia-Konzert werde ich Karl Kraus zitieren: „Als das Wort Frieden aufkam, entstand an der Börse Panik. Wir haben am Krieg verdient, schreien die Börsianer”. Darüber habe ich vor 15 Jahren die Lieder “Wenn die Börsianer tanzen” und “Waffenhändler-Tango” geschrieben. Wir dürfen nicht vergessen und deswegen müssen wir es immer wieder ansprechen: Konzerne verdienen am Krieg unglaublich viel Geld. Ich frage jeden, der für mehr Waffenlieferungen ist: “Bist du selbst bereit in den Krieg zu ziehen oder schickst du andere zum Morden?” Gewaltfreier Widerstand wird als Möglichkeit nicht mehr thematisiert. 

Mit welchen Live-Programmen sind Sie in den kommenden Monaten auf Tour?

In Graz werde ich mit Begeisterung mein Programm Utopia 2.0 spielen, das ich vor einigen Monaten wegen einer Verletzung abbrechen musste. Ich bin zwar bisher nicht frei von Schmerzen, aber ich kann wieder auf der Bühne stehen. Früher kamen nach den Konzerten oft die Physiotherapeuten und meinten „Herr Wecker, ich habe da eine Idee“. Aber mittlerweile merkt auch der Laie, dass an meinem Gang etwas nicht ganz stimmt. (lacht) Aber nichtsdestotrotz freue ich mich schon sehr. Mein eigentliches aktuelles Programm „Lieder meines Lebens“ ist sehr kammermusikalisch. Da bin ich im Trio mit Fany Kammerlander am Cello und Jo Barnikel am Klavier unterwegs. Auf der Bühne zu stehen, hört nie auf, aufregend zu sein. Natürlich wegen des Publikums, und auch, weil ich manche Lieder, die ich vor 40 Jahren geschrieben habe, erst jetzt wirklich verstehe. Die Lieder sind klüger als ich, das sage ich bei den Konzerten auch immer meinem Publikum.

'Fake-Neuws sind die Mythen von heute'.(Credit: Thomas Steinborn)

Haben Sie eine Idee, wie Ihre Gedichte und Lieder entstehen?

Da kann ich nur Ingeborg Bachmann zitieren. „Alle Verse sind schon geschrieben, man muss sie nur pflücken“. Gedichte kommen aus der Tiefe des Bewusstseins, nicht aus den Gedanken. Seit meinem 12. Lebensjahr schreibe ich Gedichte und ich habe noch nie ein Gedicht geschrieben, in dem ich darüber nachgedacht habe.

Hatten Sie je Einfluss darauf, ob und wann Sie die Muse küsst?

Nein, als junger Mann hat mich die Inspiration ein- oder zweimal im Jahr überfallen und dann habe ich tagelang intensiv geschrieben. Jetzt kommt sie nur noch alle paar Jahre; im Alter dauert es offenbar etwas länger und ich habe auch wirklich schon viel geschrieben. Meine eigenen Lieder haben mir selbst geholfen, mich auf dem Weg zu halten.

Sie beschäftigen sich, wie viele Künstler*innen, mit Spiritualität. Was bedeutet es für Sie persönlich, spirituell zu sein?

Die Neigung dazu war immer da. Mit 20 Jahren habe ich mich mit Meister Eckhart beschäftigt, später intensiv mit dem Buddhismus. Ich habe mit dem wunderbaren Bernard Glassman, der ein großer Zen-Meister in New York war, gemeinsam das Buch „Die revolutionäre Kraft des Mitgefühls“ geschrieben. Weil sie vorhin gefragt haben, welche Menschen mit weitergeholfen haben auf meinem Weg: Bernie war so jemand. Auch der vor zehn Jahren verstorbene Quantenphysiker Hans Peter Dürr hat mich inspiriert. Damals war ich zu jung, um ihn zu verstehen. Heute wäre es so schön, aus meinem jetzigen Verständnis heraus, mit ihm zu sprechen. Ich hatte viele Wegbegleiter, die mir auf meinem inneren Weg helfen konnten. Es geht nicht um Reichtum, Ruhm oder Macht, sondern darum, von unserem Ego immer mehr Abstand nehmen zu können. Die Aufgabe in diesem Leben Liebe und Mitgefühl zu lernen, hört nie auf; sie ist die Quintessenz von allem.

Gibt es noch einen Traum, den Sie sich erfüllen möchten?

Bei Utopia 2.0 in Graz werde ich am Ende ein Lied spielen, das heißt „Ich habe einen Traum, wir öffnen die Grenzen und lassen alle rein“. Das ist mein Traum, der, einer grenzenlosen, herrschaftsfreien Welt. Und ich werde ganz im Sinne meines Meisters Erich Fromm die Hoffnung nicht aufgeben, denn wie sagt Fromm so schön „Hoffen heißt, auch dann an etwas zu glauben, wenn man weiß, dass es zu den eigenen Lebzeiten nicht in Erfüllung gehen wird“.
Konstantin Wecker

Konstantin Wecker ist aktuell mit Utopia 2.0 auf Tour. (Credit: Thomas Steinborn)