Alltagspoesie und Coming of Age von Marie Luise Lehner

Filmkritik: Wenn du Angst hast, nimmst du dein Herz in den Mund und lächelst

Text: Lydia Bißmann - 05.04.2025

Rubrik: Film und Kino
Filmkritik: Wenn du Angst hast, nimmst du dein Herz in den Mund und lächelst

Anna (Sienna Popovic) und Mara (Jessica Paar) verbindet eine innige Freundschaft, die beim Heranwachsen hilft. (Fotocredit: Nikolaus Geyrhalter Film)

Mit „Wenn du Angst hast, nimmst du dein Herz in den Mund und lächelst” hat die Autorin, Musikerin und Filmemacherin Marie Luise Lehner ihren ersten Langfilm vorgelegt, der auf der Berlinale 2025 mit dem Spielfilm-Teddy ausgezeichnet wurde.

Der Teddy ist ein LGBTIQ-Filmpreis, das Schöne an Marie Luise Lehners sensibel gestaltetem Spielfilm ist aber der Fakt, dass er sich allen Kategorien entzieht und einfach vom Zusammenleben und Alltag in einer Großstadt erzählt. Im Mittelpunkt des Films mit dem etwas längeren Titel steht die zwölfjährige Anna (Siena Popović), die mit ihrer gehörlosen Mutter (Mariya Menner) in einem Gemeindebau im 2. Bezirk lebt. Die Beziehung ist intakt und innig, wird aber durch das Heranwachsen der Protagonistin ein wenig auf die Probe gestellt. Der Wechsel auf ein Innenstadt-Gymnasium stellt beide vor Herausforderungen, emotionaler und finanzieller Natur. Anna ist die Einzige, die auf einen Geburtstag ein selbstgemachtes Geschenk mitbringt, sie kann auch aus monetären Gründen nicht am Skikurs teilnehmen, der die Bindung zum neuen Klassenverband eigentlich stärken hätte sollen. Trotzdem ist sie keine wirkliche Außenseiterin in ihrer Klasse. Sie ist selbstbewusst, klug, hat von ihrer Mutter das direkte Ansprechen von Problemen und Reflektieren gelernt, kann ihre Frau stellen. Der neue Freund ihrer Mutter wird von ihr nach leichtem Zögern akzeptiert. Ihre eigenen Gefühle sind für sie nicht ganz so leicht einzuordnen. Ihr Mitschüler Paul, ein wohlerzogener Everybody’s Darling aus geordneten Verhältnissen, gefällt ihr sehr, allerdings ist sie sich nicht sicher, ob ihre Faszination für Paul tatsächlich romantischer Natur ist. „Ich möchte so sein wie Paul“, erzählt sie ihrer Freundin Mara (Jessica Paar), die im Elitegymnasium ebenfalls eine kleine Außenseiterin ist und zu der sie nicht zuletzt deshalb eine innige und abwechslungsreiche Freundschaft verbindet.

Filmkritik: Wenn du Angst hast, nimmst du dein Herz in den Mund und lächelst

Mariya Menner und Siena Popović in Wenn du Angst hast nimmst du dein Herz in den Mund und lächelst. (Fotocredit: Nikolaus Geyrhalter Film)

Unaufgeregte Schauspielkunst in buntem Setting

Siena Popović gibt ruhig und unaufgeregt die kluge Anna, die eigentlich alles im Griff hat, aber bei der die Hormone doch langsam für Unfug sorgen. Genauso präsent ist die unglaublich sonnige Jessica Paar, die gekonnt nerdige Direktheit mit einem riesengroßen Herz verbindet. Mariya Menner ist tatsächlich die erste gehörlose Schauspielerin Österreichs. Ihre Mutterrolle ist leise und ohne viel Firlefanz angelegt, verzichtet auf Stereotype oder inszeniertes Drama. Sie bleibt als Erziehungsbeauftragte und Mama mit all ihren Eigenheiten menschlich und nachvollziehbar. Auf liebevolle Art und Weise, aber mit sehr viel Selbstbewusstsein begegnet sie ihrer filmischen Tochter auf Augenhöhe, unterstützt sie, ohne jedoch auf die eigenen Bedürfnisse zu vergessen. Das ist schön anzusehen und fühlt sich auch gut an.

Mit sehr viel Fingerspitzengefühl, einem sachten und genauen Blick für den Alltag und sehr viel Lust an Farbe und Situationen erzählt die Regisseurin eine Geschichte des Heranwachsens in der herrlich bunten und diversen Stadt Wien, die ein wenig anders verläuft, als man es aus Film und Fernsehen gewohnt ist. Themen wie Inklusion, Abtreibung, Queerness oder Armut werden thematisiert, aber keines der Bereiche dominiert den Film, der auch als kleine Hommage an das Zusammenleben in einer Siedlung funktionieren kann.

Filmkritik: Wenn du Angst hast, nimmst du dein Herz in den Mund und lächelst

(Fotocredit: Nikolaus Geyrhalter Film)

Wenn du Angst hast, nimmst du dein Herz in den Mund und lächelst

Regie & Drehbuch: Marie Luise Lehner
Darsteller:innen: Siena Popović, Mariya Menner, Jessica Paar u. a.
Länge: 93 Minuten
Sprache: Deutsch (mit österreichischem Dialekt, teilweise ÖGS)
Produktion: Österreich 2024
Premiere: Berlinale 2025
Auszeichnung: Teddy Award (Bester Spielfilm), Berlinale 2025, Auszeichnung mit dem Spezialpreis der Jury des Thomas-Pluch-Drehbuchpreises (Marie Luise Lehner)