Frankensteins Monster als Pseudo-Emanze
Filmkritik: Poor Things von Yorgos Lanthimos
Text: Lydia Bißmann - 16.01.2024
Rubrik: Film und Kino
Der griechische Regisseur Yorgos Lanthimos (The Lobster 2015, The Favourite 2028) hat mit „Poor Things“ einen hochkarätig besetzten Film vorgelegt, der zwischen Steam-Punk-Komödie, Softporno und Science Fiction angelegt ist.
In pittoresken Bildern erzählt der Film mit viel Humor, Slapstick und schauspielerischer Brillanz die Geschichte von Bella Baxter (Emma Stone), der von dem verrückten Dr. Godwin Baxter (Willem Dafoe) neues Leben eingehaucht wird. (Ein Film, in dem Willem Dafoe mitspielt, ist einfach deswegen schon ein guter Film). Die hirntote Selbstmörderin bekommt von einem ehrgeizigen Wissenschaftler das Gehirn ihres ungeborenen Kindes eingepflanzt. Das Resultat ist ein weibliches Frankensteinkonstrukt, das allerdings über einen tadellosen, vitalen Körper und einen geschliffen scharfen Verstand verfügt. Als Bella ihre Sexualität entdeckt, ist die ohnehin schwer zu bändigende Adoleszente auch von dem extra engagierten Assistenten Max McCandles (Ramy Youssef) nicht mehr zu halten. Sie begibt sich schließlich mit ihrem dusseligen Lover Duncan Wedderburn (Mark Ruffalo) auf eine Reise hinaus aus dem viktorianischen London über das Meer nach Lissabon, Alexandria und Paris.
Mark Ruffalo als Duncan Wedderburn in Poor Things (2023)/ (Credits: Atsushi Nishijima/20th Century Studios )
Überzeugendes Schauspiel und Stoffe
Emma Stone performt die Mischung aus Kaspar Hauser, Pipi Langstrumpf und Mr. Spock mit hölzernem Roboter Walk und jeder Menge verbaler Eloquenz. Gesellschaftliche Etikette ist ihr fremd, schließlich wurde sie von ihrem Erschaffer nur in Medizin und Chirurgie unterrichtet und weniger in den Manieren des 19. Jahrhunderts. Damit und mit ihrer unverblümten Promiskuität bringt sie ihren Lover letztlich um den Verstand und um sein Geld, das sie naiv an die Armen verschenkt. Nach dem Jobben in einem Pariser Bordell muss sie aber noch ihre Herkunft ermitteln, was dem Film einen mehr oder weniger dramatischen Showdown gibt.
Das alles spielt sich in einer verträumten, weich gezeichneten Steam-Punk-Welt ab, die die Technik feiert und in der dampfbetriebene Kutschen mit Pferdekopf-Attrappen die Straßen bevölkern. Die durchsichtigen Shorts und nicht zuletzt das Hochzeitskleid Bellas haben mit ihren Texturen und Schnitten das Potenzial zum Modetrend. Die Szenen auf dem Luxusschiff, dem Pariser Liebes-Etablissement oder in Lissabon sind eine Hommage an Agatha Christie-Filme oder den Ausstattungsnerd Wes Anderson. Leider sind die ersten Sequenzen in Schwarz-Weiß gehalten. Der damit beabsichtigte Effekt kommt nicht wirklich an, es ist ein wenig schade um die opulente Ausstattung. Das viel bemühte Fischauge ist anfangs originell, nervt aber irgendwann. Dramatische Wendungen gibt es wenige, auch die Spannung hält sich zeitweise dezent zurück. Ein wenig Straffung würde dem 144 Minuten langem Werk auch nicht schaden, obwohl die Zuseher*innen mit jeder Menge Lacher bei der Stange gehalten werden.
Bella Baxter jobbt als Prostuierte und endeckt den Sozialismus. (Credits: Yorgos Lanthimos/ 20th Century Studios)
Feminismus für Gehirnamputierte
Horrorfilm ist 'Poor Things' definitiv keiner, auch wenn viele Körperflüssigkeiten fließen und manche Szenen die Grenzen des Geschmacks ausloten. Was Poor Things ganz sicher ebenfalls nicht ist, ist feministisch, auch wenn er wie der quietschbunte Marken-Kinderfilm Barbie (2023) von Greta Gerwig so gehandelt wird. Im Gegenteil, – auch hier werden am laufenden Band schnöde Klischees bemüht (ältere, kluge Frauen haben keinen Sex mehr, lesbische Liebe als Antwort auf die Enttäuschung durch die Männer usw.). Die kluge Bella bleibt etwa bei ihrem vertrottelten Liebhaber, auch wenn er sie schlägt und sich eigentlich viel spannendere Möglichkeiten in der Bekanntschaft mit ihrer lakonischen Reisebekanntschaft Martha von Kurtzroc (Hanna Schygulla) auftun. Die zahlreichen Sex-Szenen sind zwar absichtlich nicht besonders erotisch gehalten, trotzdem haftet ihnen einfach ein Male-Gaze an, der dramatisch an die Emmanuelle-Reihe erinnert lässt, nur dass die Szenen und Kostüme dort noch besser waren, weil weniger technisch. Männer in 'Poor Things' sind entweder komplett verrückt, uninspiriert, dumm, "luschig" oder alles zusammen. Das ist vielleicht lustig zum Ansehen, hat aber mit Feminismus wenig zu tun. Bella Baxter ist die Geschichte einer privilegierten Frau aus der Oberschicht, die, mit viel Geld und Bildung ausgestattet, ihre Experimente macht, weil sie es eben kann. Es würde ja auch niemand Queen Viktoria, die Herrscherin über das damals weltgrößte Kolonial-Imperium der Welt, als Emanze bezeichnen.
Poor Things
Regie: Yorgos Lanthimos. Mit Emma Stone, Mark Ruffalo, Willem Dafoe. USA/UK/IRL 2023 | Science Fiction, Romanze | 141 min. Filmstart Österreich: 18. Jänner 2023.
Willem Dafoe spielt den durchgeknallten und schwer lädierten Dr. Godwin Baxter. (Credits: 20th Century Studios)