Unmögliche Flucht vor der Vergangenheit
Filmkritik: Perla (2025), Alexandra Makarová
Text: Lydia Bißmann - 08.04.2025
Der Spielfilm „Perla“ von Alexandra Makarová wurde bei der Diagonale’25 gleich mit drei Preisen ausgezeichnet. Neben dem Publikumspreis der Kleinen Zeitung erhielt der zweite Langfilm der Filmemacherin Alexandra Makarová auch den Preis für das beste Szenenbild (Klaudia Kiczak) und das beste Kostümbild (Monika Buttinger). Authentisch und uninszeniert sind in dem Drama auch die Figuren gezeichnet.
Die grau-triste Welt eines Wiener Winters Anfang der 80er-Jahre, die schraurig-schaurig schöne Sozialismusarchitektur in der kommunistischen Tschechoslowakei und die Hässlichkeit eines slowakischen Dorfes am Land bilden die Kulisse zum Film Perla, der zu gleichen Teilen vor und hinter dem eisernen Vorhang spielt. Die gleichnamige Protagonistin Perla wird von der slowakischen Star-Schauspielerin Rebeka Polàkovà verkörpert. Lebensfroh und unbeirrbar verbringt sie nach der Flucht aus einem tolitaritär geführtem Land ihr Leben in Wien als talentierte und aufstrebende Künstlerin. Ihrer zehnjährigen Tochter Julia (Carmen Diego) begegnet sie kumpelhaft, aber innig, lässt sich etwa nicht auf pubertäre Diskussionen ein, als es dieser peinlich ist, in der Straßenbahn Slowakisch zu sprechen, und erklärt ihr, wie wichtig es ist, sich nicht um die Meinung anderer zu scheren. Den Ehemann Josef, einen Indologen (Simon Schwarz), hat sie sofort geheiratet – aus Liebe und nicht wegen des Reisepasses.

Perla (2025) (Fotocredit: Golden Girls Filmproduktion)
Alte Liebe, neue Abgründe
Über die Umstände ihrer Flucht will sie allerdings nie sprechen, genauso wenig wie über die Identität von Julias Vater. Dieser ruft natürlich eines Tages an und wirbelt das Leben der Künstleringründlich durcheinander. Mit einer Schwindelei lockt er die selbstbewusste Perla, die mit einem Fuß schon in New York ist, in ihre ehemalige Heimat zurück. Dort beginnt sich die bislang als unantastbar scheinende Frau zu verändern, ihre Schutzmauern bekommen Risse, und sie beginnt sich „unvernünftig“ zu benehmen. Josef ist zwischen Toleranz, aufkeimender Eifersucht auf den Ex und Sorge um Frau und Kind hin- und hergerissen. Er schafft es nicht (wer kennt diese Situation nicht!), zu Perla durchzudringen und sie von ihrer impulsiven Entscheidung abzubringen, alleine in ihr Heimatdorf Košice in der heutigen Slovakei zurückzukehren. Anfangs noch von der alten Liebe betört, beschnuppern sich Perla und ihre große Liebe Andrej (Noël Czuczor) zuerst wohlwollend und finden Andockpunkte. Mit der Zeit gesellen sich zu diesem Gefühl der wiederentdeckten Zuneigung aber andere Emotionen wie Rache, Abscheu und Zwang. Das Schicksal nimmt seinen Lauf.

Josef (Simon Schwarz) schafft es nicht, seine Frau vor der Vergangenheit zu retten. (Fotocredit: Golden Girls Filmproduktion)
Aufrechte Figuren mit vielen Schichten
Perla ist ein Film, der es einem schwer macht, ruhig am Kinosessel sitzenzubleiben. Zu impulsiv, zu unberechenbar sind die Handlungen der Hauptfigur. Genau das macht sie greifbar und menschlich, auch wenn ihr Verhalten nicht nur von ihrem Ehemann als völlig unlogisch bezeichnet wird. In der Ferne werden eben viele Menschen zu glühenden Patriot:innen, auch wenn sie ihren Heimatstaat eigentlich hassen. Rebeka Polàkovà legt in ihrer Interpretation der Perla eine Meisterleistung hin, das Ergebnis ist eine dreidimensionale Figur, die viele Geheimnisse birgt, aber auch Fragilität und Verletzlichkeit zeigt und schließlich von einem totalitären Regime in die Knie gezwungen wird. Simon Schwarz gibt den Ehemann Josef zurückhaltend und in der Dramatik sparsam. Seine grenzenlose Liebe lässt ihn zwischendurch die Worte verlieren, der Loyalität seiner Ehefrau gegenüber tut dies aber keinen Abbruch. Mehrschichtig und sensibel ist auch die Figur der Tochter Julia gezeichnet, was darauf hinweist, dass es sich um eine Figur handelt, die autobiografische Züge hat.

Carmen Diego spielt Perlas Tochter Julia. ((Fotocredit: Golden Girls Filmproduktion)
Authentische Ästhetik der Achtziger
Man kann die preisgekrönte Ausstattung eigentlich auch als Statement verstehen. Räume, Alltagsgegenstände und Kleidung sehen nicht wie aus einem Museum oder einem Hochglanzkatalog aus. Die Szenerie wirkt so, wie man sich die echten Achtziger eben vorstellt – ein wenig schmutziger, grauer, schlechter beleuchtet als die Gegenwart und voll mit nicht kuratierten Details. Etwas schräg gewachsene Zimmerpflanzen, Zierdeckchen und andere nutzlose Accessoires liegen in herrlichen Gründerzeiträumen und Prachtbauten des Sozialismus. Das ist schön und eine sehr angenehme Abwechslung zu oft sehr inhaltsleeren Ausstattungsfilmen, die es in letzter Zeit viel zu oft gegeben hat. Perla ist ein Film, der noch lange nachhängt – Geschichte, schauspielerische Performance und die detailgetreu inszenierten Bilder prägen sich ein und liefern ausreichend Stoff für ausführliche Nachbesprechungen.

Simon Schwarz als Josef in Perla. (Fotocredit: Golden Girls Filmproduktion)
Perla (2025)
Regie: Alexandra Makarová
Drehbuch: Alexandra Makarová
Darsteller:innen: Rebeka Polàkovà, Simon Schwarz, Noël Czuczor, Carmen Diego
Szenenbild: Klaudia Kiczak
Kostümbild: Monika Buttinger
Produktionsland: Österreich / Slowakei
Sprache: Deutsch / Slowakisch (mit Untertiteln)
Länge: ca. 108 Minuten
Premiere: Diagonale’25 (Graz)
Auszeichnungen: Publikumspreis der Kleinen Zeitung, Preis für bestes Szenenbild, Preis für bestes Kostümbild der Diagonale ‘25